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Japan
Streit um versöhnende Worte

Als Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrem Japan-Besuch die positive Wirkung der Geschichtsaufarbeitung beschrieb, sorgte das in Tokio für einige Verstimmung. Denn Regierungschef Shinzo Abe versucht seit zwei Jahren die "nationale Ehre" seines Landes, wie er es nennt, wiederherzustellen. Auch zum 70. Jahrestag des Kriegsendes will der nationalistische Politiker neue Akzente setzen.

Von Martin Fritz |
    Bundeskanzlerin Angela Merkel und der japanische Ministerpräsident Shinzo Abe in Tokio.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel und der japanische Ministerpräsident Shinzo Abe in Tokio. (AFP / Kazuhiro Nogi)
    Zwei Wochen nach der Japan-Reise der Kanzlerin hat der Deutschland-Korrespondent der einflussreichen Wirtschaftszeitung Nikkei eine kritische Bilanz ihres Besuchs gezogen. Merkels größter Fehler sei es gewesen, ohne ausreichende Vorbereitung über das Thema Geschichte zu sprechen, schrieb die Zeitung. Tatsächlich hatte die Kanzlerin Japan indirekt zur Aussöhnung mit seinen Nachbarn gedrängt und ihre Aussage sogar bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Premierminister Shinzo Abe wiederholt.
    "Ich bin nicht nach Japan gekommen, um Japan Hinweise zu geben, was es zu tun hat. Ich kann nur davon berichten, was Deutschland getan hat. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat es in Deutschland immer wieder sehr intensive Diskussionen über die Frage gegeben - zum Teil auch sehr harte Diskussionen -, über die Frage, wie man die Vergangenheit aufarbeitet."
    Der konservative Regierungschef verzog dazu keine Miene. Im Vorfeld des 70. Jahrestags der japanischen Kapitulation im Zweiten Weltkrieg steht er unter großem Druck. Nicht nur Deutschland, auch die USA als Japans Sicherheitspartner erwarten, dass sich Tokio am 15. August unverändert zu seiner Kriegsschuld bekennt.
    Die Nachbarn in der Region denken ähnlich. Chinas Premier Li Keqiang verlangte, Tokio müsse die Verantwortung für die "Verbrechen der Vergangenheit" übernehmen. Südkoreas Präsidentin Park Geun-hye forderte Japan zum "ehrlichen Umgang" mit der Kriegsvergangenheit auf. Insbesondere solle man die Verantwortung für die sexuelle Ausbeutung koreanischer Frauen durch die japanische Armee übernehmen.
    Den Worten folgten gegenteilige Taten
    Doch genau in diesem Punkt laviert Abe. Vor einem Jahr stellte er im Parlament zwar klar, er stehe zu einer 22 Jahre alten Entschuldigung für die Versklavung dieser Frauen:
    "Wenn ich an die Trostfrauen denke, werde ich beim Gedanken an ihr unbeschreibliches Elend tieftraurig. Zu diesem Thema gibt es die Erklärung des Regierungssprechers Yohei Kono von 1993. Meine Regierung plant keine Änderung der Kono-Erklärung."
    Doch diesen Worten folgten gegenteilige Taten. Schon wenige Monate später stellte das Kabinett Abe in Frage, ob es die Versklavung der Frauen für japanische Soldatenbordelle überhaupt gegeben habe. Japans Entschuldigung beruhe nur auf dem ungeprüften Zeugnis von 16 Koreanerinnen, betonte seine Regierung. Außerdem hätte Südkorea an der Formulierung der Entschuldigung mitgewirkt.
    Im Oktober wurde eine Kommission eingesetzt, die konkrete Maßnahmen entwickeln soll, wie sich Japans "Ehre" in Bezug auf diese sogenannten Trostfrauen wiederherstellen lässt. Das japanische Außenministerium verlangte von US-Verlagen sogar entsprechende Korrekturen in US-Schulbüchern.
    Auch zur bisher einzigen offiziellen Entschuldigung für den japanischen Krieg in Asien will die Regierung Abe auf Distanz gehen. 1995 erklärte der sozialistische Premierminister Tomiichi Murayama "tiefes Bedauern" über Japans "koloniale Herrschaft und Aggression". 2005 wiederholte der konservative Premier Junichiro Koizumi die Formulierungen fast wortwörtlich.
    Doch Abe möchte in diesem Jahr die Aussagen von Murayama lediglich "als Ganzes" bekräftigen, ohne die Worte zu wiederholen. Sein Außenminister Fumio Kishida wischte daher die Merkel-Mahnungen über eine Aussöhnung mit den Nachbarn unmittelbar nach ihrer Abreise aus Japan vom Tisch.
    Sogar die Kaiserfamilie ist auf den Plan gerufen
    "Was im Krieg passiert ist, wie die Beseitigung der Probleme des Krieges erfolgte, die Haltung der Nachbarländer - all das ist unterschiedlich zwischen Japan und Deutschland. Es ist also nicht angemessen, beide Länder einfach zu vergleichen."
    Die offizielle Reaktion in Tokio auf die Kanzlerin fiel so deutlich aus, weil die Regierung Abe den Weltkrieg anders bewerten will als ihre Vorgänger. Ein Gremium von Historikern, Journalisten und Intellektuellen, das seit Ende Februar zwei Mal getagt hat, soll Vorschläge für angemessene Formulierungen erarbeiten.
    Bei der zweiten Sitzung stritten Historiker zum Beispiel darüber, ob Japan seine Rolle im Krieg weiter als "Aggressor" beurteilen soll. Rechte Historiker in Japan behaupten nämlich, das Land habe sich nur gegen die damaligen Kolonialmächte verteidigt.
    Die Aussicht, dass Abe die Kriegsschuld tatsächlich kleinreden könnte, hat nun sogar die Kaiserfamilie auf den Plan gerufen. Eigentlich verbietet die Verfassung dem Tenno und seiner Familie politische Aussagen. Dennoch verlangte Kronprinz Naruhito jetzt öffentlich ein "korrektes" Kriegsgedenken.
    "Ich gehöre selber der Nachkriegsgeneration an und habe keine Kriegserfahrung. Aber heute, während die Erinnerung an den Krieg immer mehr verblasst, halte ich es für wichtig, dass wir mit Bescheidenheit auf die Vergangenheit zurückblicken. Tragische Erlebnisse und die Geschichte, die Japan geprägt hat, müssen von der Kriegs- zur Nachkriegsgeneration korrekt übermittelt werden."
    Das Risiko ist jedenfalls groß, dass Regierungschef Abe am 15. August mit als unangemessen empfundenen Worten die Nachbarstaaten und die Verbündeten vor den Kopf stoßen wird.