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Japanische Klischees im Bild

Fotoalben mit Geishas, Sumoringern und Lotusblüten verkauften Fotoateliers schon 1890 an europäische Touristen. Entstanden ist ein romantisiertes Bild Japans, welches noch heute tief in unseren Gedanken verwurzelt ist.

Von Jörg Albrecht | 30.04.2013
    "Hier sehen wir einen Bauern, der mit dem typischen Strohumhang, der ihn vor Regen schützen soll, in einer Studiosituation gezeigt wird. Der Hintergrund ist ein gemalter Hintergrund mit dem Fuji, vor dem er posiert. Und koloriert ist an dieser Fotografie einzig der Rettich, den er an seiner Picke über die Schulter hängen hat."

    Ester Ruelfs, Kuratorin der Ausstellung, beschreibt eine um 1890 entstandene Fotografie. Weitere Motive im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe zeigen zum Beispiel drei in Kimono gekleidete Damen, die Tee servieren; ein am ganzen Körper tätowierter Mann, der halbnackt eine Riksha zieht oder zwei zu dürre Männer, die einen Sumo-Ringkampf darzustellen versuchen. Typisch Japan, könnte man denken, doch einen Ausschnitt aus dem realen japanischen Leben findet man auf diesen Motiven nicht. Diese Bilder zeigen ausnahmslos gestellte Szenen aus dem Fotoatelier. "Kostüme" nannte der italienische Fotograf Felice Beato diese Art der inszenierten Studioszenen, die über europäische Fotografen auch nach Japan gelangten.

    Fotoalben mit diesen Abzügen dienten westlichen Touristen als Reiseandenken, die von europäischen Fotografen in der Hafenstadt Yokohama, nahe den Touristenhotels, in ihren Ateliers hergestellt wurden.

    Gleich zu Beginn der Ausstellung zeichnen Landschaftsaufnahmen den typischen Reiseverlauf des vor 130 Jahren noch "Globetrotter" genannten Reisenden nach. Heute noch beliebte Motive, wie man sie auf unzähligen Digitalkameras moderner Japantouristen wiedererkennen könnte: Tokyo, großer Buddha in Kamakura, die Schreinstadt Nikko. Blickwinkel, Reisezeit, Einstellung – alles unverändert.

    Die Fotos wurden im ausgehenden 19. Jahrhundert als Massenware produziert, trotzdem steckt eine große Kunstfertigkeit in jedem der Bilder. Denn das eigentlich typisch Japanische daran ist ihre aufwändige Handkolorierung. Bis zu sechs Stunden Arbeit haben die Koloristen in jedes einzelne Foto investiert. Die Fertigkeit dazu brachten sie mit aus dem japanischen Holzschnittdruck, den Ukiyo-e-Bildern.

    "Dieses exzessive Kolorieren von Fotografien gab es eigentlich in Europa so nicht. Und in Japan gab es eben durch den Holzschnitt sehr viele Koloristen, die dann von europäischen Fotografen, die in Japan Studios eröffnet haben, engagiert wurden, diese Fotografien zu kolorieren."

    Während heutige moderne Drucke in der Regel aus vier Farben gemischt werden, musste bei den Ukiyo-e-Drucken jede Farbnuance einzeln auf den Druckstock aufgetragen werden. Oft benötigte man über 20 verschiedene Farben für einen Druck, die einzeln per Hand von Holzschnittdruckern aufgetragen wurden.

    Obwohl auch japanische Fotografen in das Geschäft mit der Reisefotografie einstiegen, die Motive spiegeln stets die Erwartungen des europäischen Touristen, also des Kunden, wieder. Deshalb zeigen sie weder die japanische Realität, noch eine idealisierte Welt aus japanischer Sicht. Es handelt sich vielmehr um eine vollkommen westlich geprägte Inszenierung mit Japan als Bühne. Die realen Bedingungen im Land, das sich nach jahrhundertelanger Isolation rasch den Entwicklungen Europas angepasst hatte, finden darin keinen Raum.

    Lediglich einige Serien von Stereoskopien, also frühen 3D-Bildern, zeigen Japan authentischer. Nämlich dann zum Beispiel, wenn Kinder bei der Arbeit zu sehen sind, wie sie billige Lack- und Porzellansouvenirs herstellen. Ein "Making of", sozusagen, der eigenen Reiseandenken.

    Die meisten Motive, die die Ausstellung "Typisch Japan" präsentiert, sind so klischeehaft, dass sie auch heute noch auf jedem x-beliebigen Reiseführer zu finden sind. Und das ist das eigentlich Beeindruckende daran. Trotz Atomunfall, trotz japanischer Wirtschaftskrise: Das europäisch romantisierte Japanbild scheint seit dem vorletzten Jahrhundert unverändert in unserem Gedächtnis verwurzelt zu sein.