Der Philosoph Jacques Rancière kann heute in Deutschland als ein neu einzuführender Autor gelten. Kaum jemand erinnert sich an ihn als Mitarbeiter und Kritiker des Marxisten Louis Althusser, obwohl entsprechende Texte zu Beginn der 70er Jahre auch auf deutsch zu lesen waren. Er existierte als Gerücht vom in den Archiven vergrabenen Forscher. Ranciéres Bücher wurden nicht übersetzt, erst 1994 erschien ein wenig beachtetes im Fischer Verlag. Jetzt taucht der Philosoph wieder auf, und der Suhrkamp- Verlag stellt ihn als Emeritus an der Universität Paris-Vincennes vor.
Als grundlegender Eindruck bei der Lektüre seines jetzt deutsch erschienenen Buches: "La Mésentente", Das Unvernehmen, stellt sich der Respekt vor seiner Unbeirrtheit ein, die er gegen die zahllosen Gehirnwäschen, aus denen unser intellektueller Fortschritt sich zusammensetzt, durchgehalten hat, und die sich andererseits in einer gewissen Bitterkeit des Tons zeigt, in dem sein Buch gehalten ist.
Bitter wirken vor allem Ranciéres stets leicht karikierenden Wiedergaben philosophischer Argumentationen. "Politik und Philosophie", der Untertitel seines Buches, ist für ihn eher ein Gegensatz als eine Entsprechung, der wieder auferstandenen politischen Philosophie zum Trotz. Was er durch die überlieferten philosophischen Texte hindurch von Politik auszumachen vermag, beginnend mit einer bohrenden Interpretation von Aristoteles, beansprucht selbst nicht die argumentative Allgemeinheit und Notwendigkeit der Philosophie. Im Gegenteil ist die Politik aus kontingenten Ereignissen entstanden, und ihre Leistung ist das Kontingentsetzen der ganzen sozialen Ordnung. Eben deswegen stellt sie für die Philosophie mit ihrer Suche nach zureichenden Gründen einen Skandal dar.
Das Unvernehmen, la mésentente, ein Terminus, der auf deutsch ebenso wie auf französisch wie ein archaisierender Neologismus sich anhört, benennt einen Indifferenzpunkt zwischen Konflikt und Missverständnis: Unvernehmen als Gegensatz zu Einvernehmen. Es gibt für ihn ebenso wenig eine Klärung des Missbrauchs der Sprache wie eine daraus folgende Rückführbarkeit auf konfligierende Positionen in der Sozialordnung. Ranciére beschreibt eine solche Situation in der Entstehung der Demokratie in Athen:
Dadurch, dass nach der Reform des athenischen Gesetzgebers Solon Schuldner nicht mehr versklavt werden können, wird die Ausübung des Bürgerrechts von der Eigentumsordnung unabhängig, und es erscheint eine sozial undefinierte Menge von Eigentumslosen in der politisch beratenden und entscheidungsberechtigten Versammlung. Folglich lassen sich die Eigentumsterminologie der sozialen Ordnung und die Benennung politischer Positionen nicht mehr aufeinander abbilden. Die sprachliche Ordnung ist dadurch gestört, dass eine eigenschaftslose Menge sich die Eigenschaft der politischen Entscheidungsbefugnis aneignet. Damit wird die Freiheit der politischen Gemeinschaft zur Eigenschaft ihres eigenschaftslosen Teils. Statt der soliden eigentumsbegründeten "Tugend" grassiert der Selbstwiderspruch, der noch heutige Demokraten beunruhigt. Es erscheinen Arme, die keine Sklaven sind, vielmehr politische Entscheidungsrechte haben. Und sie sind es, die die politische Freiheit über die einfache Verdoppelung der sozialen Knechtschaft hinausheben.
Nach Rancière existiert die Politik so lange, wie sie Gegenstände wie sich selbst, die Rechte der Eigentumslosen, erzeugt, bei denen nicht nur die Berechtigung, sondern die Existenz strittig ist, und trotzdem politisch geltend gemacht wird, und die folglich weder durch Konsens noch durch Gewalt zu beseitigen sind. Die politische Philosophie hat immer das Gegenteil versucht: die Politik zu beseitigen, indem sie die Gewalt konsensuell begründete, etwa in der allgemein verbreiteten Figur des Gesellschaftsvertrages. Damit wurde sie allerdings ihrerseits eins der politischen Objekte, und trug zum Weiterbestehen von Politik bei. Alle ihre Begründungen waren kontrovers. Erst mit der heutigen Etablierung der Kombination von Akademismus und Massenmedien wird die Ununterscheidbarkeit von Konsens und Gewalt und die Beseitigung aller kontroversen Objekte erreicht. Für Rancière sind die Auferstehung der originären politischen Philosophie und die Deklaration des Endes der Politik dieselbe Sache.
Jaques Rancières Buch sei allen empfohlen, die mit diesem Ergebnis sich nicht zufrieden geben wollen - auch wenn es nicht leicht zu lesen ist.
Das Unvernehmen. Politik und Philosophie von Jaques Ranciére, übersetzt von Richard Steurer. Das Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft hat 148 Seiten und kostet 10 Euro.
Als grundlegender Eindruck bei der Lektüre seines jetzt deutsch erschienenen Buches: "La Mésentente", Das Unvernehmen, stellt sich der Respekt vor seiner Unbeirrtheit ein, die er gegen die zahllosen Gehirnwäschen, aus denen unser intellektueller Fortschritt sich zusammensetzt, durchgehalten hat, und die sich andererseits in einer gewissen Bitterkeit des Tons zeigt, in dem sein Buch gehalten ist.
Bitter wirken vor allem Ranciéres stets leicht karikierenden Wiedergaben philosophischer Argumentationen. "Politik und Philosophie", der Untertitel seines Buches, ist für ihn eher ein Gegensatz als eine Entsprechung, der wieder auferstandenen politischen Philosophie zum Trotz. Was er durch die überlieferten philosophischen Texte hindurch von Politik auszumachen vermag, beginnend mit einer bohrenden Interpretation von Aristoteles, beansprucht selbst nicht die argumentative Allgemeinheit und Notwendigkeit der Philosophie. Im Gegenteil ist die Politik aus kontingenten Ereignissen entstanden, und ihre Leistung ist das Kontingentsetzen der ganzen sozialen Ordnung. Eben deswegen stellt sie für die Philosophie mit ihrer Suche nach zureichenden Gründen einen Skandal dar.
Das Unvernehmen, la mésentente, ein Terminus, der auf deutsch ebenso wie auf französisch wie ein archaisierender Neologismus sich anhört, benennt einen Indifferenzpunkt zwischen Konflikt und Missverständnis: Unvernehmen als Gegensatz zu Einvernehmen. Es gibt für ihn ebenso wenig eine Klärung des Missbrauchs der Sprache wie eine daraus folgende Rückführbarkeit auf konfligierende Positionen in der Sozialordnung. Ranciére beschreibt eine solche Situation in der Entstehung der Demokratie in Athen:
Dadurch, dass nach der Reform des athenischen Gesetzgebers Solon Schuldner nicht mehr versklavt werden können, wird die Ausübung des Bürgerrechts von der Eigentumsordnung unabhängig, und es erscheint eine sozial undefinierte Menge von Eigentumslosen in der politisch beratenden und entscheidungsberechtigten Versammlung. Folglich lassen sich die Eigentumsterminologie der sozialen Ordnung und die Benennung politischer Positionen nicht mehr aufeinander abbilden. Die sprachliche Ordnung ist dadurch gestört, dass eine eigenschaftslose Menge sich die Eigenschaft der politischen Entscheidungsbefugnis aneignet. Damit wird die Freiheit der politischen Gemeinschaft zur Eigenschaft ihres eigenschaftslosen Teils. Statt der soliden eigentumsbegründeten "Tugend" grassiert der Selbstwiderspruch, der noch heutige Demokraten beunruhigt. Es erscheinen Arme, die keine Sklaven sind, vielmehr politische Entscheidungsrechte haben. Und sie sind es, die die politische Freiheit über die einfache Verdoppelung der sozialen Knechtschaft hinausheben.
Nach Rancière existiert die Politik so lange, wie sie Gegenstände wie sich selbst, die Rechte der Eigentumslosen, erzeugt, bei denen nicht nur die Berechtigung, sondern die Existenz strittig ist, und trotzdem politisch geltend gemacht wird, und die folglich weder durch Konsens noch durch Gewalt zu beseitigen sind. Die politische Philosophie hat immer das Gegenteil versucht: die Politik zu beseitigen, indem sie die Gewalt konsensuell begründete, etwa in der allgemein verbreiteten Figur des Gesellschaftsvertrages. Damit wurde sie allerdings ihrerseits eins der politischen Objekte, und trug zum Weiterbestehen von Politik bei. Alle ihre Begründungen waren kontrovers. Erst mit der heutigen Etablierung der Kombination von Akademismus und Massenmedien wird die Ununterscheidbarkeit von Konsens und Gewalt und die Beseitigung aller kontroversen Objekte erreicht. Für Rancière sind die Auferstehung der originären politischen Philosophie und die Deklaration des Endes der Politik dieselbe Sache.
Jaques Rancières Buch sei allen empfohlen, die mit diesem Ergebnis sich nicht zufrieden geben wollen - auch wenn es nicht leicht zu lesen ist.
Das Unvernehmen. Politik und Philosophie von Jaques Ranciére, übersetzt von Richard Steurer. Das Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft hat 148 Seiten und kostet 10 Euro.