Stellen wir uns einen Satz vor, der den ganzen Schrecken der menschlichen Existenz enthüllt.
"Professor Ṧvolba wurde in die Karpatenukraine versetzt." (S. 200)
Die Karpatenukraine! Uns mag sie schlimmstenfalls exotisch erscheinen, für einen Bewoh¬ner Kakaniens – wie Robert Musil das Habsburgerreich verspottete –, für solch einen gefügigen Untertanen klingt dieser Satz fast wie: "Sie werden lebendig begraben!". Zumal wenn diese Verbannung keinen kleinen K.u.K.-Zollbeamten trifft, sondern einen ambitionierten Pädagogen:
"Professor Ṧvolba hatte schon einige Bücher über den persönlichen Umgang von Eltern mit ihren Kindern herausgegeben." (S. 192)
Professor Ṧvolba nun – Achtung, kakanischer Titelprunk, es handelt sich um einen Lehrer –, Professor Ṧvolba macht in seinem Unterricht eindeutig etwas falsch, auch auf seiner vorletzten Station, unmittelbar vor der Karpatenukraine:
"Professor Ṧvolba hatte schon einige Bücher über den persönlichen Umgang von Eltern mit ihren Kindern herausgegeben." (S. 192)
Professor Ṧvolba nun – Achtung, kakanischer Titelprunk, es handelt sich um einen Lehrer –, Professor Ṧvolba macht in seinem Unterricht eindeutig etwas falsch, auch auf seiner vorletzten Station, unmittelbar vor der Karpatenukraine:
"Sein erster Auftritt vor den Schülern der fünften Gymnasialklasse in der Tschechischstunde bestand in einem interessanten Vortrag. (...) Das Kind müsse sich (...) der Schwächen seiner Eltern bewusst sein und solle sich davor hüten, diese nachzuahmen. Die Folge dieses Vortrages war die Hausaufgabe, die er den neuen Schülern stellte, mit dem vielversprechenden Titel: 'Auch wenn die Kinder berechtigten Grund haben, sich der Schwächen ihrer Eltern zu schämen, so bleibt doch die Pflicht zur Dankbarkeit.' Für diese Aufgabe diktierte er den Schülern verschiedene Thesen und Punkte, nach denen sie bei der Bearbeitung vorgehen sollten:
Aufzählung der Schändlichkeiten, Gemeinheiten, Schwächen und Fehler meiner Eltern.
1. Verbergen meine Eltern die oben genannten Mängel vor mir?
2. Warum sollte ich diese Fehler der eigenen Eltern nach Möglichkeit vor der Allgemeinheit verstecken?
3. Warum sollte ich die Fehler meiner Eltern nicht nachahmen?
4. Herrscht zwischen meinen Eltern Zwietracht?
5. Warum sollte ich mich bei häuslichen Skandalen nach Vernunft und Überlegung richten?" (S. 193)
2. Warum sollte ich diese Fehler der eigenen Eltern nach Möglichkeit vor der Allgemeinheit verstecken?
3. Warum sollte ich die Fehler meiner Eltern nicht nachahmen?
4. Herrscht zwischen meinen Eltern Zwietracht?
5. Warum sollte ich mich bei häuslichen Skandalen nach Vernunft und Überlegung richten?" (S. 193)
Man braucht relativ wenig Phantasie, um sich auszumalen, was sich zwischen den eingangs genannten Sätzen abspielt, dem ersten und dem letzten von Jaroslav Hašeks Geschichte: Professor Ṧvolba gerät mit seiner inqui¬sitorischen Hausaufgabe an Eltern einer Gesellschaftsschicht, die Mittel genug besitzt, subalterne Pädagogen in die Karpaten¬ zu entsorgen. Ṧvolba muss ja nur an jemand Ranghöheren aus der K.u.K.-Hierarchie geraten, an einen Bezirkshauptmann etwa:
"Der Herr Bezirkshauptmann hielt (...) seinen Sohn für völlig missraten. Auch missfiel ihm an seinem Sohn dessen komplette Apathie in Bezug auf religiöse Verpflich¬tungen. So war es für ihn eine furchtbare Überraschung, als er auf dem Dienst¬weg erfahren musste, dass sein Sohn, im Vertrauen auf die Vollendung seines vierzehnten Lebensjahrs, bei der Volkszählung zur Kirche der 'Siebenten-Tags-Adventisten' übergetreten war. Der Junge hatte das aus reinem Gewinnstreben getan, weil ihm jemand erzählt hatte, dass man beim Übertritt zu den Siebenten-Tags-Adventisten 250 Kronen und 12 Kilogramm Hammelfleisch erhalte. Der arme Junge hatte angenommen, dass er bei Verkauf des Hammelfleisches, wenn er zu dem so verdienten Betrag noch die weiteren 250 Kronen hinzufügte, die er für den Verrat an der katholischen Kirche erhalten würde, einen schönen englischen Fu߬ball mit Reserveblase kaufen könne. Er hatte einfach aus sportlichen Gründen die Religion gegen einen Ball eintauschen wollen." (Seite 195 f.)
Jaroslav Hašek, das weltberühmte Ein-Buch-Wunder
Wirkt das ein wenig sprunghaft zitiert? Es ist sprunghaft geschrieben. Jaroslav Hašek, das weltberühmte Ein-Buch-Wunder des frühen 20. Jahrhunderts, hat es geschafft, mit einem literarischen Helden in die Alltagsspra¬che einzu¬wandern. Wer von einer Schweijk¬iade spricht, kennt nicht notgedrungen auch das dazugehörige Buch vom tapferen Soldaten. Trotzdem wissen alle, was gemeint ist, eine Art bauernschlaue Überführung der Verhältnisse von repressivem Ernst in entlarvende Komik. Was Hašek allerdings nie geschafft hat, ist ein echtes Buch zu schreiben; der "Schweijk" blieb ein Fragment. Hašeks Spezialität war die ganz kurze Form des oft szenisch aufblitzenden Witzes, das Anekdotische, so wie die hier geschilderte Konvertierung aus sportlichen Gründen. Mit dem Rest der Handlung hat sie gar nichts zu tun. Sie ist nur so in den Text hineinfabuliert und könnte als Hebel'sche Kalendergeschichte auch ganz für sich alleine stehen. Weil es Hašek nur mit Mühe schafft, einen literarischen Bogen zu schlagen – statt Anekdoten und Beobachtungen einfach hintereinander aufzureihen –, gelingt es ihm auch selten, diesen Bogen straff zu spannen; irgendwo in der Mitte erschlafft er meistens. Das hat – so wunderlich es zunächst klingen mag – biochemische Gründe:
"In all den Jahren seiner Bohémezeit hatte Hašek einen ärztlich festgestellten Alkoholkonsum von fünfunddreißig halben Litern Bier pro Tag." (S. 413)
... schreibt sein Herausgeber und Übersetzer Antonin Brousek im Nachwort. Man muss kein Mediziner sein, um zu erkennen, dass Jaroslaw Hašek schlicht die Kraft zu durchgearbeiteter Literatur fehlte. Nun gibt es in der Literaturgeschichte zwar viele Literaten als Säufer – aber wenige Säufer als Literaten. Im 20. Jahrhundert sind nur zwei wirklich bekannt geworden: Ha¬šek und der Amerikaner Charles Bukowski. Der Unterschied zwischen schreibendem Säufer und saufendem Schreiber ist klein, aber gewichtig: Beim Literaten steht immer die Literatur im Vordergrund; er wird alles tun, um sie zu befördern, und das Saufen dient ihm als Stimulanz. Der Säufer als Literat hingegen schreibt, um an den nächsten Alkohol zu kommen. Die Literatur ist nicht sein Leitgestirn, sondern ein reiner Fusel-, pardon Broterwerb. Unausweichliche Folge: kurze Texte.
"Im Alter von 35 hatte ich 18 Jahre fleißiger und fruchtbarer Arbeit hinter mir. Bis zum Jahre 1914 überschwemmte ich mit meinen Satiren, Humoresken und Kurzgeschichten alle tschechischen Zeitschriften. Ich hatte einen großen Leserkreis. Ich füllte ganze Nummern von humoristischen Blättern dadurch, dass ich die verschiedensten Pseudonyme benutzte. Meine Leser aber haben mich dabei zumeist erkannt. Ich dachte damals naiv, dass ich ein Schriftsteller sei.
'Keine langwierigen Erörterungen. Was war Er wirklich?'
'Ich stockte, bekam in meiner Tasche den Nekrolog zu fassen und brachte verwirrt hervor: »Mit Verlaub, ich war ein Säufer mit dicklichen Ärmchen.'
'Und woher ist Er?' – 'Mydlovary, Kreis Hluboká.'
'Geboren wann?' – '1883.'
Und dann schloss sich hinter mir das Meer der Ewigkeit." (S. 370)
... schreibt sein Herausgeber und Übersetzer Antonin Brousek im Nachwort. Man muss kein Mediziner sein, um zu erkennen, dass Jaroslaw Hašek schlicht die Kraft zu durchgearbeiteter Literatur fehlte. Nun gibt es in der Literaturgeschichte zwar viele Literaten als Säufer – aber wenige Säufer als Literaten. Im 20. Jahrhundert sind nur zwei wirklich bekannt geworden: Ha¬šek und der Amerikaner Charles Bukowski. Der Unterschied zwischen schreibendem Säufer und saufendem Schreiber ist klein, aber gewichtig: Beim Literaten steht immer die Literatur im Vordergrund; er wird alles tun, um sie zu befördern, und das Saufen dient ihm als Stimulanz. Der Säufer als Literat hingegen schreibt, um an den nächsten Alkohol zu kommen. Die Literatur ist nicht sein Leitgestirn, sondern ein reiner Fusel-, pardon Broterwerb. Unausweichliche Folge: kurze Texte.
"Im Alter von 35 hatte ich 18 Jahre fleißiger und fruchtbarer Arbeit hinter mir. Bis zum Jahre 1914 überschwemmte ich mit meinen Satiren, Humoresken und Kurzgeschichten alle tschechischen Zeitschriften. Ich hatte einen großen Leserkreis. Ich füllte ganze Nummern von humoristischen Blättern dadurch, dass ich die verschiedensten Pseudonyme benutzte. Meine Leser aber haben mich dabei zumeist erkannt. Ich dachte damals naiv, dass ich ein Schriftsteller sei.
'Keine langwierigen Erörterungen. Was war Er wirklich?'
'Ich stockte, bekam in meiner Tasche den Nekrolog zu fassen und brachte verwirrt hervor: »Mit Verlaub, ich war ein Säufer mit dicklichen Ärmchen.'
'Und woher ist Er?' – 'Mydlovary, Kreis Hluboká.'
'Geboren wann?' – '1883.'
Und dann schloss sich hinter mir das Meer der Ewigkeit." (S. 370)
Hašek wusste, wie es um ihn stand
Da wusste einer, wie es um ihn stand, als er sich mit 35 den eigenen Tod ausmalte; tatsächlich wurde Hašek keine 40 Jahre alt. Buchstäblich totgesoffen, nach einem unsteten Leben bar aller bürgerlichen Stützen, trotz einer Lehre als Drogist, anschließendem Abitur, Han¬delsakademie und einer Kurzzeitanstellung bei einer Bank. Monatelang vagabundierte er als Landstreicher durch die Gegend. Schon der Vater war dem Alkohol verfallen gewesen, die mangelnden Widerstandskräfte hat er dem Sohn wohl vererbt. Geblieben ist neben dem »Braven Soldaten Schweijk« ein Mammutwerk an Kurzgeschich¬ten, Skiz¬zen, Feuilletons, aus dem Antonin Brousek eine Auswahl getroffen hat. Im Nachwort urteilt der Herausgeber und Übersetzer allerdings nicht immer freundlich über seinen Schützling:
"Der Humor ist vordergründig, die Darstellung der Personen holzschnittartig. Hinzu kommt eine zuweilen überzeichnete Kritik an den Verhältnissen." (S. 417)
Zuweilen – zuweilen aber auch nicht. Sonst gäbe es kaum einen Grund, die vergessenen Texte Hašeks neu zu edieren. Im Feuilleton "Die Abenteuer eines geselligen Menschen" schlägt der Vielschreiber etwa einen still-verzagten Ton an, dem man sich schwer entziehen kann. Sein Ich-Erzähler will nur eines: dazugehören.
"Ich sitze allein an meinem Tisch im Repräsentationshaus. Ich komme mir vor wie das fünfte Rad am Wagen. Mir gegenüber sitzt eine Gesellschaft von Herren und Damen, die man mit dem Begriff »Geschlossene Gesellschaft zusammenfassen könnte. Ich gehe zu ihnen, bringe meinen Stuhl und meinen Kaffee mit hinüber, setze mich an ihren Tisch und sage ganz höflich: »Verzeihen Sie bitte. Ich sitze ganz allein, mir ist traurig zumute. Ich sehe, dass Sie sich sehr gut unterhalten. Ich fühle das Verlangen, mich mit Ihnen zu unterhalten."
Ich bemerke, wie das Gespräch und die Unterhaltung, die zuvor geführt worden war, verstummen. Alle sitzen wie versteinert da, bis einer von ihnen sagt: 'Mein Herr, was erlauben Sie sich. Das ist ja wohl die Höhe.'
Ich versuche, ihnen zu erklären, dass ich gesellig veranlagt und kein Einzelgänger bin, dass ich Geselligkeit lieben würde und bereit bin, mich ihnen anzupassen. Und da steht einer von ihnen auf und sagt kategorisch: 'Gehen Sie jetzt oder gehen Sie nicht? Ich werde den Oberkellner rufen lassen.'
'Dann rufen Sie ihn', antworte ich ohne jeden Zorn. Als der Kellner kommt, denunzieren sie mich, ich würde mich gewaltsam in ihre Gesellschaft drängen. Ich kann sehen, wie die Herren vor Wut kaum sprechen können, während die Damen vernichtende Blicke auf mich werfen. Ich bestehe darauf, dass ich nicht allein sitzen möchte und nicht Weggehen werde, dass ich gesellig veranlagt bin usw. Das ist aber ebenso sinnlos, wie Erbsen auf eine Wand zu werfen. Zum Schluss führt man mich aus dem Kaffeehaus." (S. 65 f.)
Zuweilen – zuweilen aber auch nicht. Sonst gäbe es kaum einen Grund, die vergessenen Texte Hašeks neu zu edieren. Im Feuilleton "Die Abenteuer eines geselligen Menschen" schlägt der Vielschreiber etwa einen still-verzagten Ton an, dem man sich schwer entziehen kann. Sein Ich-Erzähler will nur eines: dazugehören.
"Ich sitze allein an meinem Tisch im Repräsentationshaus. Ich komme mir vor wie das fünfte Rad am Wagen. Mir gegenüber sitzt eine Gesellschaft von Herren und Damen, die man mit dem Begriff »Geschlossene Gesellschaft zusammenfassen könnte. Ich gehe zu ihnen, bringe meinen Stuhl und meinen Kaffee mit hinüber, setze mich an ihren Tisch und sage ganz höflich: »Verzeihen Sie bitte. Ich sitze ganz allein, mir ist traurig zumute. Ich sehe, dass Sie sich sehr gut unterhalten. Ich fühle das Verlangen, mich mit Ihnen zu unterhalten."
Ich bemerke, wie das Gespräch und die Unterhaltung, die zuvor geführt worden war, verstummen. Alle sitzen wie versteinert da, bis einer von ihnen sagt: 'Mein Herr, was erlauben Sie sich. Das ist ja wohl die Höhe.'
Ich versuche, ihnen zu erklären, dass ich gesellig veranlagt und kein Einzelgänger bin, dass ich Geselligkeit lieben würde und bereit bin, mich ihnen anzupassen. Und da steht einer von ihnen auf und sagt kategorisch: 'Gehen Sie jetzt oder gehen Sie nicht? Ich werde den Oberkellner rufen lassen.'
'Dann rufen Sie ihn', antworte ich ohne jeden Zorn. Als der Kellner kommt, denunzieren sie mich, ich würde mich gewaltsam in ihre Gesellschaft drängen. Ich kann sehen, wie die Herren vor Wut kaum sprechen können, während die Damen vernichtende Blicke auf mich werfen. Ich bestehe darauf, dass ich nicht allein sitzen möchte und nicht Weggehen werde, dass ich gesellig veranlagt bin usw. Das ist aber ebenso sinnlos, wie Erbsen auf eine Wand zu werfen. Zum Schluss führt man mich aus dem Kaffeehaus." (S. 65 f.)
Das ist allerdings ein eher untypischer, weil melancholischer Text Hašeks. Normalerweise lockt dieser Autor wie ein Jahrmarktsschreier Leser in seine literarische Bude hinein, indem er merkwürdige Vorgänge annonciert:
"Ich hatte in der Zeitung folgendes Inserat gelesen: Zahle eine große Belohnung an denjenigen, der sich eine geeignete Bezeichnung für einen Gegenstand ausdenkt, der in keinem Haushalt fehlen darf. Bitte melden im Hotel Stephan,Zimmer Nr. 12." (S. 36)
Und es geht erst mal spannend weiter. Im Hotel wartet "ein Herr von gutmütigem Aussehen und intelligentem Gesicht". Er hat einen speziellen Kinderwagen erfunden ...
"... der die Eigenschaft habe, dass er von Ort zu Ort getragen werden könne. Wenn er aber ins Wasser falle, dann verwandele er sich selbsttätig in ein kleines Boot. Er sei ungewöhnlich leicht und könne mit einem Hebeldruck sofort in einen Schaukelstuhl verwandelt werden. Eine ganz besonders hervorragende Eigenschaft an ihm sei aber, dass er umgestürzt als Schreibtisch genutzt werden könne. In seiner Fabrik habe er schon achthundert solcher Kinderwagen hergestellt, jetzt aber gehe es ihm darum, seine Erfindung auch zu taufen. Er selbst habe sich den Namen 'Kinderfuhr' ausgedacht, der ihm aber nicht zusage." (S. 36)
So weit, so glaubwürdig. Da fährt ein Satz in den Text hinein, der so gar nicht hineinpassen will:
"Mir lief es kalt den Rücken hinunter beim Gedanken daran, dass ich mit diesem Herrn ganz allein im Zimmer war." (S. 36)
Warum? "Kinderfuhr" – was immer auch auf Tschechisch dort stehen mag – klingt ja nicht signifikant psychopathisch. Der Autor versucht nachzuliefern:
"Er aber fuhr fort: 'Ich habe schon mehr als die ganze Woche über den Namen nachgedacht, habe so viele Nächte nicht geschlafen, und dennoch ist mir nichts anderes eingefallen als dieser verdammte Name Kinderfuhr. Der Name verfolgt mich Tag und Nacht. Aus jeder Ecke höre ich dieses Wort. Auch Sie sagen Kinderfuhr, Kinderfuhr zu mir. Warum machen Sie sich über mich lustig, ich sehe Sie zum erstenmal. Oder glauben Sie nicht, dass man einen Kinderwagen in ein Boot verwandeln kann? Hier sind Skizzen." (S. 36)
Und jetzt nimmt die Geschichte eine effekthascherische und völlig unglaubwürdige Wen¬dung:
"Ich schlug ihn mit einem Faustschlag gegen die Schläfe bewusstlos und verließ eilig die Nr. 12."
Unvermögen Text zu einem konsistenten Ende zu führen
... um dann sofort wieder in eine Anekdote über den nächsten seltsamen Auftrag hinüberzugleiten. Schließlich heißt die Geschichte »Über passende Bezeichnungen«. Das ist kein Einzelfall, sondern Hašeks Methode. Schief und willkürlich wird die Groteske in einen Kleine-Leute-Realismus à la Zille hineinmontiert und unterminiert dort die durchaus überzeugende Figurenzeichnung. Darin liegt – neben der völlig anderen Sprache – der große Unterschied zum Prager Zeitgenossen Kafka, dessen Abgründigkeit Hašek bei weitem nicht erreicht. Zwar hantiert er unentwegt mit erzählerischen Falltüren und jähen Szenenwechseln, Verwandlungen und menschlichen Unwägbarkeiten, aber es bleibt ein Papp¬ma¬ché-Budenzauber ohne Tiefgang und bar jeder metaphysischen Komponente. Besonders ärgerlich ist das vom Saufen erzeugte Unvermögen, einen Text zu seinem konsistenten Ende zu führen. So hört die Benennungsgeschichte nach zwölf Seiten mit dem denkbar simpelsten Rondo-Schluss auf:
"Sich Bezeichnungen auszudenken, gehört zu den interessantesten und schwierigsten Problemen überhaupt ... " (S. 44)
Unvermögen Text zu einem konsistenten Ende zu führen
... um dann sofort wieder in eine Anekdote über den nächsten seltsamen Auftrag hinüberzugleiten. Schließlich heißt die Geschichte »Über passende Bezeichnungen«. Das ist kein Einzelfall, sondern Hašeks Methode. Schief und willkürlich wird die Groteske in einen Kleine-Leute-Realismus à la Zille hineinmontiert und unterminiert dort die durchaus überzeugende Figurenzeichnung. Darin liegt – neben der völlig anderen Sprache – der große Unterschied zum Prager Zeitgenossen Kafka, dessen Abgründigkeit Hašek bei weitem nicht erreicht. Zwar hantiert er unentwegt mit erzählerischen Falltüren und jähen Szenenwechseln, Verwandlungen und menschlichen Unwägbarkeiten, aber es bleibt ein Papp¬ma¬ché-Budenzauber ohne Tiefgang und bar jeder metaphysischen Komponente. Besonders ärgerlich ist das vom Saufen erzeugte Unvermögen, einen Text zu seinem konsistenten Ende zu führen. So hört die Benennungsgeschichte nach zwölf Seiten mit dem denkbar simpelsten Rondo-Schluss auf:
"Sich Bezeichnungen auszudenken, gehört zu den interessantesten und schwierigsten Problemen überhaupt ... " (S. 44)
... nach dem Motto: »Jetzt hab ich keine Lust mehr, wo bleibt mein Bier!« Wenn Hašek tatsächlich längere Geschichten konzipiert – und im Bau durchhält – strapaziert er oft eine ein¬zige Grundidee durch stupide Wiederholung. Über 52 Seiten mäandriert beispielsweise die Mediensatire »Glückliches Heim«, in der Jaroslaw Hašek gleichermaßen mit der blühenden Hausfrauen-Ratge-ber-Presse der Jahrhundertwende wie mit seiner eigenen bürgerlichen Kurzzeit-Ehe abrechnet: Die Frau als Monster, das von einem heimtückischen Medienimperium gesteuert wird:
"Als ich abends nach Hause kam, fand ich im Esszimmer drei Kisten vor, im vorderen Zimmer zwei Kisten, während meine teure Frau in der Küche bei einer Kiste stand und mit einer kleinen Säge Bretter aus einer weiteren Kiste sägte. 'Ich warte schon auf dich', sagte sie gnädig. 'Im Glücklichen Heim habe ich entdeckt, dass jede sparsame Hausfrau aus alten Kisten ganz allein ein Bett für das Dienstmädchen herstellen kann. Als du weggegangen bist, habe ich das Bett des Dienstmädchens dem Tischler verkauft und dafür diese Kisten und Tischlerinstrumente gekauft.' Ach Gott, ach Gott! Ich schreibe dies aus dem türkischen Saloniki, wohin ich vor dem 'Glücklichen Heim' geflohen bin, welches das Ziel hat, einen jeden Haushalt glücklich und zufrieden zu machen." (S. 144f.)
Immer tiefer ins Leben einschneidende, "praktische Vorschläge" der Zeitschrift "Glückliches Heim" machen dem Ich-Erzähler das Leben zu Hölle – und dem Leser die Lektüre zum Schlafmittel. Nun kann man mit Recht fragen, warum man dieses Buch dann nicht einfach links liegen lassen soll? Die Antwort findet sich im letzten Drittel, das Herausgeber Brousek mit "Autobiographisches und Biographienahes" überschrieben hat. Hašek war ja bekanntlich Materialist, was nichts Philosophisches besagt, sondern seinen Lehrberuf bezeichnet. Wer unter den Preußen als "Drogist" agierte, war unter den Habsburgern ein "Materialist" – einer, der mit vielerlei Materie in der Drogerie hantierte.
"Herr Tauben öffnete die Tür eines Holzverschlages und sagte, indem er auf einen Blechballon zeigte: 'Sie sehen, hier steht das Olivenöl, obwohl Leinöl drauf steht. Wenn Radix Sie in den Keller schickt, damit Sie eine Flasche mit Olivenöl auffüllen, dann füllen Sie die Flasche mit diesem Leinöl, weil uns vor einem halben Jahr der Ballon mit dem Olivenöl kaputtgegangen ist. Die Leute geben das Öl manchmal zurück, und der Alte hat schon so viele Briefe an die Firma, wo er das Olivenöl bestellt hat, geschrieben, warum die ihm so eine schlechte Sorte geliefert hätten. Radix kommt hier nie runter, um nachzuschauen, er hat große Angst vor Mäusen, und deshalb, wenn Sie mal aus dem Keller zurückkommen, dann jammern Sie, dass so viele Mäuse im Keller seien, dass man Angst bekäme. Und jetzt machen wir, dass wir wieder rauskommen." (S. 239)
Biographische Fragmenten aus den Bürgerkriegswirren: das Beste seines Gesamtwerks
Hier schreibt der Autor ohne große Übertreibungen, mit Verständnis fürs Milieu und ohne Zwang zum Paukenschlag. Noch besser wird Hašek allerdings bei der Schilderung jenes Lebensabschnitts, in dem er einigen Zeitzeugen zufolge beinahe trocken gewesen sein soll – was umso erstaunliche wäre, vergegenwärtigt man sich die Begleitumstände. Im Februar 1918 schloss sich Jaroslav Hašek den Bolschewiki in Russland an und avancierte in der 5. Roten Armee ungewöhnlich rasch zum Stellvertretenden Kommandanten der Stadt Bu¬gul¬ma. Mit seinem paranoiden Vorgesetzten hatte er allerdings meist nur Ärger:
"Towarischtsch Jerochimow (...) äußerte tagtäglich einen gewissen Verdacht, dass die Petersburger Kavallerie auf die Seite des Feindes gewechselt sei, und schlug vor: 1. sie zu Verrätern der Republik zu erklären. 2. nach Moskau an Trotzki ein Telegramm zu schicken, in dem ich alle Einzelheiten ihres schandvolles Frontwechsels schildern sollte. 3. ein revolutionäres Fronttribunal zu organisieren und vor dieses den Vorsteher des Telegraphenamtes der Petersburger Kavallerie zu stellen. (...) Towarischtsch Jerochimow war in seinen Hetzreden sehr detailliert. Er stellte sich morgens um acht Uhr ein und hetzte bis halb zehn. Dann ging er fort und kam um zwei Uhr mit einer neuen Hetze zurück, die er bis vier Uhr fortführte. Abends kam er abermals und hetzte beim Tee so bis zehn oder elf Uhr weiter gegen die Petersburger. (...) 'Alles wird sich zum Besseren wenden', beruhigte ich ihn." (S. 302)
Tatsächlich überlebte Jaroslav Hašek die Bürgerkriegswirren in Russland, um mit den biographischen Fragmenten aus dieser Zeit das Beste seines Gesamtwerks abzuliefern. Hier halten sich Realität und Groteske die Waage – vermutlich, weil Letztere nicht erfunden werden musste: Nie zu wissen, aus welcher Richtung gerade der Winde wehte, in den der aus Feigheit höchst gefährliche Kommandant Jerochimow sein Fähnlein hängte, schafft eine beklemmende Atmosphäre. Sie erreicht Hašek in seinen frei fabulierten Geschichten sonst nirgendwo. Und der schon in der K.u.K.-Armee erlebte, irrwitzige Kontrast zwi¬schen tödlicher Gefahr und stumpfsinniger Bürokratisierung setzt sich bei den Revolutionären auf bizarre Weise fort. Hier klingt Hašek glaubwürdig, ganz anders als in seinem humori¬stischen Werk, das stellenweise mit kaum noch ironisch zu begreifender Selbstbesoffenheit aufwartet:
"Was sehen Sie, wenn Sie Seite für Seite umblättern? Dass jeder Satz seinen ganz tiefen Sinn hat, dass jedes Wort an seinem richtigen Platz steht, dass alles in Übereinstimmung mit der Wirklichkeit ist." (S. 362)
Von wegen.
Literaturhinweis: Jaroslav Hašek: "Die Ausrottung der Praktikanten der Speditionsfirma Kobkán", Herausgegeben und aus dem Tschechischen übersetzt von Antonin Brousek, Reclam Verlag, 424 Seiten, 19,95 Euro