Archiv

Jasmin Ramadan
Schöne Menschen, verkorkste Leben

In ihrem Roman "Kapitalismus und Hautkrankheiten" lässt Jasmin Ramadan die Figuren leiden: Teresa Kugler bekommt immer, wenn sie unglücklich ist, eine imaginäre Schleimschicht auf der Haut. Dagegen helfen vor allem One-Night-Stands. Da ihr Umfeld diese Promiskuität teilt, stößt Teresa schließlich auf ein düsteres Geheimnis.

Von Hartmut Kasper |
    Ein Mann hat einen Kussmund am Hemdkragen.
    Die Nächte sind kurz, die Tage trist in der Welt von Teresa Kugler. (picture alliance / dpa - Oliver Berg)
    "Teresa Kugler exte ihren Wodka und sah sich den Typen genauer an. Er hatte schon die ganze Zeit geglotzt und sich dann durch die kleine, volle Bar zu ihr hindurchgekämpft".
    Der Typ hat ein Glasauge, was ihn der Heldin "erträglich" macht. Ein Drink, ein Zungenkuss, kurz darauf landen sie für die Nacht bei ihm. Der nächste Morgen ist trist.
    Teresas Welt ist eine, in der die Männer Typen sind, die Frauen tough, mit jeder Menge One-Night-standing, eine Welt, in der jedermann irgendwie modelt oder schauspielert und alles irgendwie politisch ist.
    Autoren lieben Titel, in denen zwei Hauptwörter in ein spannungsreiches Verhältnis gesetzt werden: "Dichtung und Wahrheit" zum Beispiel, "Krieg und Frieden", "Schuld und Sühne", "Mohn und Gedächtnis"; beim späten Günter Eich heißt ein Hörspiel "Zeit und Kartoffeln". Nun kombiniert die Hamburger Autorin Jasmin Ramadan also "Kapitalismus und Hautkrankheiten".
    Der etwas morbide Titel verspricht nicht zu viel. Tatsächlich leiden die Hauptfiguren des Romans an diversen Hautkrankheiten, eingebildeten wie realen: Teresa Kugler, erfolglose Schauspielerin und Tochter der erfolgreichen Schauspielerin Bärbel Kugler, spürt immer wieder widerlichen Schleim, den ihre Haut absondert.
    "Es fühlt sich an, als hätte ich einen dünnen Schleimfilm auf der Haut, aber ich kann ihn nicht sehen. Wenn ich mich an irgendeinen der Männer erinnere, mit denen ich geschlafen habe, verschwindet der Schleim. Je kürzer und oberflächlicher die Begegnung war, desto besser hilft mir die Erinnerung, mich wieder zu beruhigen. Ist das nicht seltsam, Papa?"
    Den Papa selbst plagt eine Neurodermitis selbst im Intimbereich. Vater ist ein ehemaliger Hochschuldozent. Doch er hat sich von der Universität wie auch aus seiner - ach, man ahnt es: - wenig freudvollen Ehe längst zurückgezogen. Er haust im Dachgeschoss des Hauses und schreibt seit zwei Jahrzehnten an einem Buch; Arbeitstitel: "Kapitalismus und Hautkrankheiten".
    Hautkrankheiten und Familiengeheimnisse
    Ein Buch im Buch also. Das väterliche Werk steht dabei ganz in der Tradition gutmenschlicher Gesellschaftskritik mit reichlich Alt-68ertum und einer Prise Verschwörungstheorie:
    "Stetig fand er im Internet neue Hinweise auf mysteriöse Hautveränderungen von Menschen in westlichen Ländern. Auch in Dritte-Welt-Staaten und insbesondere in den Schwellenländern wurden oft sehr junge Menschen von psychonervösen und durch die Folgen profitorientierter Umweltzerstörung beeinflussten Hauterkrankungen befallen. Dort, auf der menschlichen Oberfläche, dem größten Sinnesorgan, zeigten sich früher oder später alle organischen oder seelischen Schäden."
    Teresa hat einen Zwillingsbruder, Ture. Der leidet auch, und zwar an Urtikaria, an Nesselsucht also, bei der die Haut allergisch auf gewisse Lebensmittel reagiert und Quaddeln bildet. Nun macht ein Haufen Hautkrankheiten und jede Menge Leid noch keinen Roman. Darum gibt es ein altes Familiengeheimnis, das Teresa zu lüften sucht. Zeit dafür hat sie reichlich, denn ihre Karriere als Schauspielerin und Model lässt zu wünschen übrig.
    Das Geheimnis erzählt sich etwa wie folgt: Teresas Eltern hatten einst ein anderes Paar zu besten Freunden, Götz und Viola Tinn. Tinns aber hatten einen Sohn, einen Adoptivsohn. Auf einer gemeinsamen Reise mit Teresas späteren Eltern ins revolutionäre Nicaragua haben Götz und Viola Francisco adoptiert und nach Deutschland importiert.
    Dann ist da noch Tinns Tochter Annabelle, die allzu gerne Teresas beste Freundin gewesen wäre. Vor vielen Jahren ist diese andere Familie ganz plötzlich verschwunden. Warum? Wohin? Teresa sucht und findet Franciscos Adoptiveltern Viola und Götz. Teresa schläft mit Götz. Sie findet auch Francisco und schläft mit ihm. Und endlich erfährt Teresa den Grund, warum die Eltern von Francisco und Annabelle fluchtartig weggezogen sind: Teresas Vater hat sich von Tinns frühreifer Tochter Annabelle fellationieren lassen. Von Annabelle, die, man weiß es nicht genau, vielleicht Spross eines Seitensprungs von Teresas Vaters war – Abgründe voller Abgründe tun sich auf.
    "Du Menschenmolch, du Mann"
    Kein Wunder, dass die Ehe von Teresas Eltern diesen Enthüllungen dunkler Flecken nicht standhält, zumal Teresas Mutter ihren Gatten mit Sätzen wie diesen anfährt:
    "Rede nicht so schlecht, du ekelhafter, stinkender Menschenmolch ohne Selbstzweifel, du Widerling, du ... du ... du Mann!"
    Francisco, erfährt Teresa ferner, ist auch keineswegs ein Waisenknabe gewesen; Götz und Viola haben ihn seinen armen, aber lebendigen Eltern abgekauft, das Kapital dazu haben ihnen die Kuglers zur Verfügung gestellt. Versteht sich, dass in einem so kaputten Biotop auch fleißig gekokst wird und unverbindlich herumkoitiert.
    Am Ende haben sich Teresas Eltern doch noch zu einer Trennung durchgerungen. Der Zwillingsbruder ist in Therapie, und Teresa landet mal wieder in ihrer Lieblings-Bar, bereit, sich vom Nächstbesten abschleppen zu lassen für die Nacht.
    Verkorkste Leben, wohin man blickt. Wer trägt die Schuld? Die Autorin findet in der Elterngeneration ihre allzu leichten Opfer. Man spürt als Leser, dass die Kinder eigentlich zu bemitleiden wären, aber der Sympathiebefehl geht unter im schnodderig-bekenntnishaften, zugleich wichtigtuerischen Ton des Vortrags. Immerhin bleibt Geschichte sicher von Interesse für literarisch ambitionierte Dermatologen.
    Jasmin Ramadan: "Kapitalismus und Hautkrankheiten".
    Roman, 220 Seiten, Tropen in der J. G. Cotta´schen Buchhandlung, 18,95 EUR