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Jasper Johns-Retrospektive
Witzig, sinnlich und wegweisend

Gemälde, Plastiken und Grafikserien - der US-amerikanische Künstler Jasper Johns hat mit seinen Arbeiten aus den 1950er- und 60er-Jahren die Pop Art vorbereitet. Nun wird in London eine Retrospektive gezeigt, die auch beweist, wie viel Witz sich in seiner Arbeit verbirgt.

Von Hans Pietsch |
    Besucher der Ausstellung "Something Resembling the Truth" in der Royal Academy of Arts in Piccadilly
    Jasper Johns' Größe besteht darin, dass er auf äußerst sinnliche Weise bildlich artikuliert (imago/Stephen Chung)
    Ein strahlender Jasper Johns begrüßt den Besucher am Eingang der Ausstellung. Auf dem 1964 entstandenen Foto sitzt er auf einem Hocker in seinem Atelier, neben ihm ein Regal mit Pinseln, Farbtuben und einem Kochtopf. Nicht nur ist der Künstler angeblich ein begeisterter Hobbykoch, er muss auch das Bienenwachs erhitzen und verflüssigen, mit dem er seine Farbpigmente bindet.
    Enkaustik ist eine uralte Maltechnik. Das schnell trocknende Wachs macht es möglich, Farbschichten in schneller Folge zu einer pastosen Oberfläche übereinanderzulegen. Johns verwendete die Technik schon bei seinem ersten großen Gemälde, das dann zu seinem Markenzeichen wurde: "Flag", entstanden 1954, eine getreue Nachbildung der amerikanischen Nationalflagge "Stars and Stripes".
    Abstrakter Expressionismus
    Wie die Flagge sind auch seine anderen zu Ikonen gewordenen Gemälde der 50er- und 60er-Jahre Darstellungen vertrauter Alltagsmotive - Zielscheiben, Buchstaben, Zahlen und Landkarten werden durch die Übertragung in den Kunstkontext verfremdet und überhöht. Wahrnehmung ist hier das Thema, und so stellt er sich gegen den damals dominanten abstrakten Expressionismus, dem es um den Ausdruck des Innenlebens des Künstlers ging. Und Johns' Verfremdung weist auf die beginnende PopArt hin.
    Die menschliche Figur erscheint auf seinen Arbeiten meist als Fragment - am oberen Bildrand von "Watchman", 1964 in Japan entstanden, hängt ein männliches Bein auf einem Stuhl, "Souvenir" aus demselben Jahr zeigt ein fotografisches Selbstporträt auf einem aufgeklebten Teller. Seine Collagentechnik erinnert an die von Dadaisten wie Kurt Schwitters.
    Die thematisch gehängte Ausstellung zeigt die ganze Bandbreite von Johns' Schaffen. Neben den Gemälden und Plastiken sind auch einige seiner Grafikserien zu sehen, in den verschiedensten grafischen Medien wie Siebdruck, Radierung oder Lithografie, deren Technik er souverän beherrscht. Etwa die vor vier Jahren entstandene Aquatint-Serie "Regrets", die auf ein Foto des englischen Malers Lucian Freud zurückgeht.
    Mit Kreuzschraffur gemalte Bilder
    Ganz besonders schön ist der Raum, der seine mit Kreuzschraffur gemalten Bilder vorstellt. Johns entdeckte die Technik, mit der auf Zeichnungen und Grafiken räumliche Illusion hergestellt wird, Anfang der 80er-Jahre für sich und schuf nahezu abstrakte Gemälde, deren zurückgenommene Farben trotzdem leuchten. Eine Arbeit wie "Between the Clock and the Bed" von 1981, deren Titel auf ein spätes Selbstporträt von Edvard Munch zurückgeht, ist voller Melancholie und spricht von Vergänglichkeit.
    Sein Werk ist aber auch voller Witz. 1960 nannte ein Bekannter seinen Galeristen Leo Castelli einen "Gauner", der alles als Kunst verkaufen könne, sogar Bierdosen. Am nächsten Tag ließ Johns zwei Dosen in Bronze gießen und nannte die Plastik "Painted Bronze". Sie ist in der Schau ebenso zu sehen wie das im selben Jahr entstandene "Painting with Two Balls". Auch hier darf man schmunzeln: Die beiden Bällchen drücken eine Naht der dreiteiligen Leinwand auseinander, als lugten zwei Augäpfel heraus.
    Immer wieder die selben Motive
    Anders als sein Kollege und langjähriger Lebensgefährte Robert Rauschenberg ist Johns nicht, was man einen großen Künstler nennen würde. Rauschenberg erneuerte ständig sich selbst und seine Kunst, ohne sich dabei zu verlieren. Johns bleibt im Grunde, wie der Schuster, bei seinen Leisten. Seine Kunst umkreist immer wieder dieselben Motive, setzt sich mit denselben Fragen und Problemen auseinander. Seine Größe besteht darin, dass er auf äußerst sinnliche Weise bildlich artikuliert, was wir Normalverbraucher nur schwer in Worte zu fassen vermögen.
    Jasper Johns: "Something Resembling the Truth", Royal Academy London, Ausstelung bis 10. Dezember 2017.