Der zwei Jahre ältere Bruder von Gershom Scholem, einem der wichtigsten jüdischen Denker im 20. Jahrhundert, Werner Scholem war 1924 ein Jahr KPD-Führer. Er wurde 1933 von den Nazis verhaftet. Zuletzt befand er sich im Konzentrationslager Buchenwald. Jay Howard Geller schreibt:
"Am 17. Juli 1940, kamen zwei SS-Männer auf Werner zu und sagten, dass sie jemanden für die Arbeit jenseits der Postenkette benötigten. Einer begleitete ihn dorthin und erschoss ihn mit seinem Revolver. Auf Werners Häftlingsakte wurde vermerkt: ‚Auf der Flucht erschossen'."
Zum Ärger der Familie hatte Werner eine nicht-jüdische und für eine bürgerliche Familie nicht standesgemäße Arbeiterin Emmy Wichelt geheiratet, die 1940 längst aus Deutschland geflohen war und in London weilte. Ihr schrieb die Mutter der Scholem-Brüder, Betty Scholem:
"‚So ist unser Werner tot‘. Das Einzige was mich trösten könnte, ist, dass ich ihn nie im Stich gelassen und das Menschenmögliche für seine Befreiung getan habe."
"Am 17. Juli 1940, kamen zwei SS-Männer auf Werner zu und sagten, dass sie jemanden für die Arbeit jenseits der Postenkette benötigten. Einer begleitete ihn dorthin und erschoss ihn mit seinem Revolver. Auf Werners Häftlingsakte wurde vermerkt: ‚Auf der Flucht erschossen'."
Zum Ärger der Familie hatte Werner eine nicht-jüdische und für eine bürgerliche Familie nicht standesgemäße Arbeiterin Emmy Wichelt geheiratet, die 1940 längst aus Deutschland geflohen war und in London weilte. Ihr schrieb die Mutter der Scholem-Brüder, Betty Scholem:
"‚So ist unser Werner tot‘. Das Einzige was mich trösten könnte, ist, dass ich ihn nie im Stich gelassen und das Menschenmögliche für seine Befreiung getan habe."
Die Scholems im 19. Jahrhundert: Von Glogau nach Berlin
Die beiden älteren Brüder Reinhold und Erich, die die väterliche Druckerei übernahmen, waren bereits im Sommer 1938 nach Sydney geflohen und holten ihre Mutter Betty nach. Fast im letzten Augenblick, bevor der Zweite Weltkrieg ausbrach und Ausreisen unmöglich wurden, verließ sie Deutschland.
Im Vordergrund von Gellers Familienbiographie stehen die vier Scholem-Brüder, die zwischen 1891 und 1897 im Abstand von zwei Jahren geboren wurden. Sie vertraten vier verschiedene politische Positionen: Reinhold Scholem war ein nationalliberaler deutscher Patriot. Erich orientierte sich an der liberalen Demokratie. Werner war lange Jahre kommunistischer Politiker und Gerhard, der sich nach seiner Emigration nach Palästina 1923 Gershom nannte, vertrat einen gemäßigten Zionismus, der in Palästina einen gemeinsamen Staat mit der arabischen Bevölkerung anstrebte.
Geller erzählt auch die Vorgeschichte der Familie Scholem, die aus dem schlesischen Glogau in der Nähe von Breslau stammt:
"Dieser Bericht zeigt den Weg seiner Protagonisten von Berlin nach Zielorten auf der ganzen Welt, aber auch in die Konzentrationslager Europas. Vor allem aber zeichnet er ihren Weg von Glogau, Breslau und anderen Städten in die Metropole Berlin."
1809 starb in Glogau der arme Großvater von Siegfried Scholem, der die erste Druckerei in Berlin gründete und dort 1901 starb. Sein Sohn Arthur Scholem, der Vater der vier Brüder, gründete eine eigene Druckerei. Alle vier Kinder gingen auf das Gymnasium, während in Preußen anfangs des 20. Jahrhunderts nur acht Prozent der Kinder weiterführende Schulen besuchten.
Deutschland hatte sich im 19. Jahrhundert von einer ländlich geprägten Agrar- in eine urbane Industriegesellschaft verwandelt, in der ein vermögendes und gebildetes Bürgertum entstanden war. Geller skizziert im ersten von neun Kapiteln diese Entwicklung, die auch das jüdische Leben veränderte. Davor wohnten die meisten Juden unter ärmlichen Bedingungen auf dem Land und waren in ihren sozialen Entfaltungsmöglichkeiten stark eingeschränkt.
Während des 19. Jahrhunderts verbesserte sich ihre Situation. Viele zogen in die wachsenden Städte, wo nicht wenige zu Reichtum gelangten. Das kann man über Arthur Scholem nicht unbedingt sagen. Aber es reichte zu einem sorgenfreien Leben mit Ferienreisen ins benachbarte Ausland. Jay Howard Geller schreibt:
"Schon in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg erlebten die deutschen Juden neue Herausforderungen. Ein in den Jahrzehnten zuvor vermeintlich zurückgegangener sozialer und wirtschaftlicher Antisemitismus lebte wieder auf. Unter diesem Druck begann die jüdische Welt Deutschlands sich sozial und politisch aufzuspalten: die Entwicklungen innerhalb der Familie Scholem waren damit gleichsam ein Mikrokosmos der veränderten Lage."
Im Vordergrund von Gellers Familienbiographie stehen die vier Scholem-Brüder, die zwischen 1891 und 1897 im Abstand von zwei Jahren geboren wurden. Sie vertraten vier verschiedene politische Positionen: Reinhold Scholem war ein nationalliberaler deutscher Patriot. Erich orientierte sich an der liberalen Demokratie. Werner war lange Jahre kommunistischer Politiker und Gerhard, der sich nach seiner Emigration nach Palästina 1923 Gershom nannte, vertrat einen gemäßigten Zionismus, der in Palästina einen gemeinsamen Staat mit der arabischen Bevölkerung anstrebte.
Geller erzählt auch die Vorgeschichte der Familie Scholem, die aus dem schlesischen Glogau in der Nähe von Breslau stammt:
"Dieser Bericht zeigt den Weg seiner Protagonisten von Berlin nach Zielorten auf der ganzen Welt, aber auch in die Konzentrationslager Europas. Vor allem aber zeichnet er ihren Weg von Glogau, Breslau und anderen Städten in die Metropole Berlin."
1809 starb in Glogau der arme Großvater von Siegfried Scholem, der die erste Druckerei in Berlin gründete und dort 1901 starb. Sein Sohn Arthur Scholem, der Vater der vier Brüder, gründete eine eigene Druckerei. Alle vier Kinder gingen auf das Gymnasium, während in Preußen anfangs des 20. Jahrhunderts nur acht Prozent der Kinder weiterführende Schulen besuchten.
Deutschland hatte sich im 19. Jahrhundert von einer ländlich geprägten Agrar- in eine urbane Industriegesellschaft verwandelt, in der ein vermögendes und gebildetes Bürgertum entstanden war. Geller skizziert im ersten von neun Kapiteln diese Entwicklung, die auch das jüdische Leben veränderte. Davor wohnten die meisten Juden unter ärmlichen Bedingungen auf dem Land und waren in ihren sozialen Entfaltungsmöglichkeiten stark eingeschränkt.
Während des 19. Jahrhunderts verbesserte sich ihre Situation. Viele zogen in die wachsenden Städte, wo nicht wenige zu Reichtum gelangten. Das kann man über Arthur Scholem nicht unbedingt sagen. Aber es reichte zu einem sorgenfreien Leben mit Ferienreisen ins benachbarte Ausland. Jay Howard Geller schreibt:
"Schon in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg erlebten die deutschen Juden neue Herausforderungen. Ein in den Jahrzehnten zuvor vermeintlich zurückgegangener sozialer und wirtschaftlicher Antisemitismus lebte wieder auf. Unter diesem Druck begann die jüdische Welt Deutschlands sich sozial und politisch aufzuspalten: die Entwicklungen innerhalb der Familie Scholem waren damit gleichsam ein Mikrokosmos der veränderten Lage."
Die Scholems zwischen Assimilierung und jüdischer Tradition
So schildert die Biographie im zweiten Kapitel jüdisches Leben in Berlin um die Jahrhundertwende, das auch dann noch vom Judentum geprägt war, selbst wenn es sich um assimilierte Juden handelte, die sich wenig religiös orientierten. Gleichzeitig aber fühlten sich auch viele gläubige Juden zugleich als Deutsche. Die vier Scholem-Brüder präsentieren die Vielfalt und Unterschiedlichkeit jüdischen Lebens. Gershom interessierte sich für die religiösen Traditionen und wird sich wissenschaftlich in die jüdische Mystik vertiefen. Die beiden älteren Brüder blieben gemäßigt religiös und sahen sich in die deutsche Gesellschaft doch weitgehend integriert, mit deren Kultur sie sympathisierten. Werner verließ das Judentum und wechselte ins Lager des Marxismus. Geller schreibt:
"Die Scholems feierten Weihnachten wie viele andere deutsche Juden auch. Im Dezember zierte ein Weihnachtsbaum das Wohnzimmer und an Heiligabend wurden Weihnachtslieder gesunden und es kamen Gänse- oder Hasenbraten auf den Tisch."
Der Vater Arthur Scholem lehnte den Kommunismus wie den Zionismus ab. So kam es mit beiden jüngeren Söhnen es zu scharfen Auseinandersetzungen und zu Brüchen, beispielsweise als Ende 1917 Werner Emmy heiratete, über die er schrieb:
"Sie kann wirklich für würdig erachtet werden, meine Kinder zur Welt zu bringen. Sie ist frei von christlichem Geist und frei von germanischen Fehlern. Sie ist äußerlich und innerlich gut gebaut, und wird, wenn sie was gelernt hat, eine sehr gute Mutter abgeben."
Viele Juden teilten die nationale Begeisterung am Anfang des Ersten Weltkrieges in der Hoffnung, dass sich damit der Antisemitismus überwinden lässt und sie sich endgültig und vollständig in die deutsche Gesellschaft integrieren können. Trotzdem blieben ihre militärischen Aufstiegsmöglichkeiten begrenzt, herrschten gerade im preußischen Offizierskorps massive antisemitische Neigungen. Es gab aber auch noch ganz andere mit dem Ersten Weltkrieg verbundene jüdische Hoffnungen.
"Obwohl prominente deutsche Juden und Zionisten, so auch Martin Buber, den Krieg befürworteten, missbilligte ihn Gerhard gerade aus jüdischer Sicht. Wortführer der Zionisten hofften, dass sie im Fall eines deutschen Sieges dank ihres Beitrags zum Krieg ihre Ziele verwirklichen könnten."
Doch die Hoffnungen auf den Frieden trügen. Nicht nur dass der Antisemitismus während des Krieges zunahm. In den unmittelbaren Nachkriegsjahren entwickelte er ungeahnte Ausmaße. Geller weist darauf hin, dass die antisemitische Gewalt auch davon beflügelt wurde, dass an den deutschen Nachkriegsregierungen sehr viele Juden beteiligt waren. Außerdem schreibt er über diese Jahre:
"Politisches Chaos und Gewalt waren an der Tagesordnung. Bald schrieb Betty an Gerhard: ‚Die schweren Zeiten glaubten wir hinter uns zu haben, es scheint jedoch, als ständen sie uns erst bevor'."
"Die Scholems feierten Weihnachten wie viele andere deutsche Juden auch. Im Dezember zierte ein Weihnachtsbaum das Wohnzimmer und an Heiligabend wurden Weihnachtslieder gesunden und es kamen Gänse- oder Hasenbraten auf den Tisch."
Der Vater Arthur Scholem lehnte den Kommunismus wie den Zionismus ab. So kam es mit beiden jüngeren Söhnen es zu scharfen Auseinandersetzungen und zu Brüchen, beispielsweise als Ende 1917 Werner Emmy heiratete, über die er schrieb:
"Sie kann wirklich für würdig erachtet werden, meine Kinder zur Welt zu bringen. Sie ist frei von christlichem Geist und frei von germanischen Fehlern. Sie ist äußerlich und innerlich gut gebaut, und wird, wenn sie was gelernt hat, eine sehr gute Mutter abgeben."
Viele Juden teilten die nationale Begeisterung am Anfang des Ersten Weltkrieges in der Hoffnung, dass sich damit der Antisemitismus überwinden lässt und sie sich endgültig und vollständig in die deutsche Gesellschaft integrieren können. Trotzdem blieben ihre militärischen Aufstiegsmöglichkeiten begrenzt, herrschten gerade im preußischen Offizierskorps massive antisemitische Neigungen. Es gab aber auch noch ganz andere mit dem Ersten Weltkrieg verbundene jüdische Hoffnungen.
"Obwohl prominente deutsche Juden und Zionisten, so auch Martin Buber, den Krieg befürworteten, missbilligte ihn Gerhard gerade aus jüdischer Sicht. Wortführer der Zionisten hofften, dass sie im Fall eines deutschen Sieges dank ihres Beitrags zum Krieg ihre Ziele verwirklichen könnten."
Doch die Hoffnungen auf den Frieden trügen. Nicht nur dass der Antisemitismus während des Krieges zunahm. In den unmittelbaren Nachkriegsjahren entwickelte er ungeahnte Ausmaße. Geller weist darauf hin, dass die antisemitische Gewalt auch davon beflügelt wurde, dass an den deutschen Nachkriegsregierungen sehr viele Juden beteiligt waren. Außerdem schreibt er über diese Jahre:
"Politisches Chaos und Gewalt waren an der Tagesordnung. Bald schrieb Betty an Gerhard: ‚Die schweren Zeiten glaubten wir hinter uns zu haben, es scheint jedoch, als ständen sie uns erst bevor'."
Der Kommunist Werner Scholem als Hassobjekt der Nazis
In diesen gerade für Juden gefährlichen Zeiten machte Werner in der KPD Karriere. 1921 wurde er mit 26 Jahren Abgeordneter im preußischen Landtag und der verantwortliche Redakteur der Parteizeitung "Rote Fahne", was ihm Prozesse und kurzzeitige Gefängnisaufenthalte einbrachte. 1924 wurde er Mitglied des Reichstags und stieg zu einem der Parteiführer auf, der die Parteiorganisation hierarchisch nach sowjetischem Vorbild straffte. Geller schreibt über das Jahr 1924:
"Arthur und seine ältesten Söhne, Reinhold und Erich, hatten sich als Drucker und erfolgreiche selbständige Geschäftsleute etabliert, während Werners politischer Aufstieg unmittelbar bevorstand. Bald würde er einer der berühmt-berüchtigtsten Männer Deutschlands sein."
Doch nachdem die KPD in der Präsidentenwahl 1925 unglücklich taktierte und indirekt dem antirepublikanisch eingestellten ehemals führenden Weltkriegsgeneral Hindenburg zum Sieg verhalf, fiel Werner bei Stalin in Ungnade. Noch im selben Jahr wurde er aus der Führungsspitze der KPD und 1927 aus der Partei ausgeschlossen. Ein Wiedereinstieg in die Politik scheiterte, so dass Werner sich einen anderen Beruf suchen musste, Jura studierte und Rechtsanwalt wurde. Als man ihn 1933 verhaftete, geschah das unter einem fadenscheinigen Grund, den selbst ein NS-Gericht 1935 zurückwies und ihn freisprach. Trotzdem hielt man ihn weiterhin in Gefängnissen und Konzentrationslagern fest. Geller vermutet:
"Als die NSDAP 1937 und 1938 ihre bombastische Wanderausstellung ‚Der ewige Jude‘ zeigte, diente eine Büste Werner Scholems als Beispiel dessen, was sie für typisch jüdische Gesichtszüge hielten. Kurzum, Werner Scholem war möglicherweise zu berühmt, der NS-Führung zu verhasst und für ihre Propaganda zu wertvoll, als dass sie ihn laufenlassen konnte."
Mit dem Nazi-Regime begann die systematische Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung. Jüdische Arbeitslose bekamen keine Arbeit mehr. Jüdische Beschäftigte wurden systematisch aus staatlichen Ämtern entfernt. Zunehmend machte man Juden das Leben in Deutschland unmöglich.
"Allmählich wurde Juden der Zutritt zu öffentlichen Schwimmbädern, Spielplätzen, Parks, Kinos, Theatern, Konzertsälen und Sportanlagen verboten. Juden durften keine öffentlichen Bibliotheken mehr benutzen, jüdische Studenten durften ab 1937 keinen Doktortitel mehr erwerben und ab dem November 1938 wurden sie vollständig aus den Universitäten verbannt."
Jüdische Geschäfte wurden systematisch boykottiert und gerieten dadurch in finanzielle Schwierigkeiten. Die Druckerei von Reinhold und Erich bekam keine Aufträge von nichtjüdischen Auftraggebern mehr. Sie konnten aber ihre Druckerei 1934 noch zu einem schlechten Preis verkaufen und wurden 1936 gezwungen auch den Buchhandel aufzugeben. 1938 sind jüdische Betriebe praktisch wertlos geworden. Aber nicht immer stießen die diskriminierenden Maßnahmen auf Widerspruch der Betroffenen.
"Als die Nazis Mischehen verboten, begrüßte Betty die Maßnahme mit dem Kommentar: ‚Gegen das Verbot der Mischehe kann ja kein Jude etwas haben‘ und ihr Bruder Hans solle doch erleichtert sein, dass seine Tochter ihren christlichen Freund jetzt nicht mehr heiraten durfte."
"Arthur und seine ältesten Söhne, Reinhold und Erich, hatten sich als Drucker und erfolgreiche selbständige Geschäftsleute etabliert, während Werners politischer Aufstieg unmittelbar bevorstand. Bald würde er einer der berühmt-berüchtigtsten Männer Deutschlands sein."
Doch nachdem die KPD in der Präsidentenwahl 1925 unglücklich taktierte und indirekt dem antirepublikanisch eingestellten ehemals führenden Weltkriegsgeneral Hindenburg zum Sieg verhalf, fiel Werner bei Stalin in Ungnade. Noch im selben Jahr wurde er aus der Führungsspitze der KPD und 1927 aus der Partei ausgeschlossen. Ein Wiedereinstieg in die Politik scheiterte, so dass Werner sich einen anderen Beruf suchen musste, Jura studierte und Rechtsanwalt wurde. Als man ihn 1933 verhaftete, geschah das unter einem fadenscheinigen Grund, den selbst ein NS-Gericht 1935 zurückwies und ihn freisprach. Trotzdem hielt man ihn weiterhin in Gefängnissen und Konzentrationslagern fest. Geller vermutet:
"Als die NSDAP 1937 und 1938 ihre bombastische Wanderausstellung ‚Der ewige Jude‘ zeigte, diente eine Büste Werner Scholems als Beispiel dessen, was sie für typisch jüdische Gesichtszüge hielten. Kurzum, Werner Scholem war möglicherweise zu berühmt, der NS-Führung zu verhasst und für ihre Propaganda zu wertvoll, als dass sie ihn laufenlassen konnte."
Mit dem Nazi-Regime begann die systematische Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung. Jüdische Arbeitslose bekamen keine Arbeit mehr. Jüdische Beschäftigte wurden systematisch aus staatlichen Ämtern entfernt. Zunehmend machte man Juden das Leben in Deutschland unmöglich.
"Allmählich wurde Juden der Zutritt zu öffentlichen Schwimmbädern, Spielplätzen, Parks, Kinos, Theatern, Konzertsälen und Sportanlagen verboten. Juden durften keine öffentlichen Bibliotheken mehr benutzen, jüdische Studenten durften ab 1937 keinen Doktortitel mehr erwerben und ab dem November 1938 wurden sie vollständig aus den Universitäten verbannt."
Jüdische Geschäfte wurden systematisch boykottiert und gerieten dadurch in finanzielle Schwierigkeiten. Die Druckerei von Reinhold und Erich bekam keine Aufträge von nichtjüdischen Auftraggebern mehr. Sie konnten aber ihre Druckerei 1934 noch zu einem schlechten Preis verkaufen und wurden 1936 gezwungen auch den Buchhandel aufzugeben. 1938 sind jüdische Betriebe praktisch wertlos geworden. Aber nicht immer stießen die diskriminierenden Maßnahmen auf Widerspruch der Betroffenen.
"Als die Nazis Mischehen verboten, begrüßte Betty die Maßnahme mit dem Kommentar: ‚Gegen das Verbot der Mischehe kann ja kein Jude etwas haben‘ und ihr Bruder Hans solle doch erleichtert sein, dass seine Tochter ihren christlichen Freund jetzt nicht mehr heiraten durfte."
Gershom Scholem in Palästina
Knapp die Hälfte des Buches widmet sich der Zeit zwischen 1900 und dem Ende der Weimarer Republik. Es legt das Augenmerk darauf, dass Juden sich in dieser Zeit längst nicht nur fleißig assimilierten wie Arthur Scholem, sondern dass viele auch betont an ihren religiösen Traditionen festhielten, ja sich wie Gershom wieder auf diese besannen.
Zu Anfang der Weimarer Republik liebäugelte er nur kurz mit dem Kommunismus seines Bruders Werner. Doch dann schreibt er in sein Tagebuch:
"Wir predigen den Anarchismus. Das ist: wir wollen keinen Staat, sondern eine freie Gesellschaft.‘"
Gerhard wandte sich dem Judentum zu und vertrat einen primär kulturell verstandenen Zionismus, der in Palästina einen Staat anstrebte, der weniger kapitalistisch als gemeinschaftlich strukturiert sein sollte. Das realisierte sich teilweise in der Kibbuz-Bewegung, die landwirtschaftliche Gemeinschaften gründete.
Gershom lebte seit 1923 in Jerusalem. Schon in Deutschland hatte er sich intensiv mit der jüdischen Mystik der um 1200 entstandenen Kabbala beschäftigt. Dadurch kam er schnell an die 1925 eröffnete Hebräische Universität Jerusalem, an der er 1933 eine Professur erhielt.
Als der Vater 1925 starb, geriet die Mutter in finanzielle Schwierigkeiten. Trotzdem unterstützte sie Gershom und dessen erste Frau Escha, so Geller.
"Wenngleich sie sich mitunter über die verschwenderischen Angewohnheiten der beiden beschwerte. Es war ihr unverständlich, wie das Paar einer bezahlten Arbeit nachgehen, Geld von den Eltern erhalten und trotzdem ständig chronisch verschuldet sein konnte. Sie stellte fest, dass ihr schlechtbezahlter kommunistischer Sohn weniger verdiente als die beiden und dennoch nie Schulden hatte. Reinhold und Erich steckten alles, was sie besaßen, in das Familienunternehmen."
Zu Anfang der Weimarer Republik liebäugelte er nur kurz mit dem Kommunismus seines Bruders Werner. Doch dann schreibt er in sein Tagebuch:
"Wir predigen den Anarchismus. Das ist: wir wollen keinen Staat, sondern eine freie Gesellschaft.‘"
Gerhard wandte sich dem Judentum zu und vertrat einen primär kulturell verstandenen Zionismus, der in Palästina einen Staat anstrebte, der weniger kapitalistisch als gemeinschaftlich strukturiert sein sollte. Das realisierte sich teilweise in der Kibbuz-Bewegung, die landwirtschaftliche Gemeinschaften gründete.
Gershom lebte seit 1923 in Jerusalem. Schon in Deutschland hatte er sich intensiv mit der jüdischen Mystik der um 1200 entstandenen Kabbala beschäftigt. Dadurch kam er schnell an die 1925 eröffnete Hebräische Universität Jerusalem, an der er 1933 eine Professur erhielt.
Als der Vater 1925 starb, geriet die Mutter in finanzielle Schwierigkeiten. Trotzdem unterstützte sie Gershom und dessen erste Frau Escha, so Geller.
"Wenngleich sie sich mitunter über die verschwenderischen Angewohnheiten der beiden beschwerte. Es war ihr unverständlich, wie das Paar einer bezahlten Arbeit nachgehen, Geld von den Eltern erhalten und trotzdem ständig chronisch verschuldet sein konnte. Sie stellte fest, dass ihr schlechtbezahlter kommunistischer Sohn weniger verdiente als die beiden und dennoch nie Schulden hatte. Reinhold und Erich steckten alles, was sie besaßen, in das Familienunternehmen."
Der Schwerpunkt von Gellers Familienbiographie liegt zwar auf dem jüdischen Leben in Deutschland zwischen 1900 und 1940. Zwei der neun Kapital beschäftigen sich mit Gershoms Leben in Palästina sowie dessen politischer und sozialer Entwicklung. Das Schlusskapitel muss Deutschland zwangsläufig verlassen und beobachtet die drei Brüder in Sydney und in Jerusalem.
Gershom Scholem lehnte den politischen Zionismus ab, der einen rein jüdischen Staat in Palästina gründen wollte.
"Er konnte die Befürchtungen von Arabern nachvollziehen, dass ihnen Juden Moscheen oder muslimisches Grundeigentum in der Jerusalemer Altstadt wegnehmen wollten."
Mit der zunehmenden Einwanderung von Juden vor allem aus Deutschland während der 30er-Jahre verschärften sich die Konflikte mit der arabischen Bevölkerung in eklatant gewalttätiger Weise. Es entstand eine jüdische Untergrundorganisation namens Irgun, die Terroranschläge gegen Araber wie gegen die britische Kolonialmacht verübte. Deprimiert schreibt Gershom:
"Die Chance, eine lebensfähige palästinensische Siedlung durch die Welt des nächsten Weltkriegs zu retten wird von uns selbst nicht weniger als von Engländern und Arabern gefährdet. Auch bei uns kommt Greuliches herauf."
Nach der Gründung Israels arrangierte sich Gershom Scholem mit den politischen Realitäten und verlegte sich stärker auf eine Kritik an der kulturellen Entwicklung Israels wie des Judentums. Vor allem aber avancierte Scholem zu einem der führenden jüdischen Denker im 20. Jahrhundert, nämlich zu einem international renommierten Wissenschaftler der Judaistik, der die jüdische Mystik zu einem neuen Forschungsfeld machte.
"Mit seinen Kabbala-Studien hatte er ein neues wissenschaftliches Feld erschlossen und sich ungeheures Ansehen erworben. Seine Autorität auf diesem Gebiet konnte nicht umgangen werden."
Geller attestiert Gershom, der deutschen Kultur verhaftet geblieben zu sein, obwohl er ja bereits mit 26 Jahren auswanderte und zudem zutiefst in die jüdische Gedankenwelt eintauchte. Zu häufig schrieb er denn auch weiterhin auf Deutsch. Allerdings bleibt diese Affinität zur deutschen Kultur unterschwellig. Die Hoffnungen seines ältesten Bruders Reinhold teilte er nicht. Die Juden kamen für Gershom nie in der deutschen Kultur an. Da hätten sie sich nur etwas vorgemacht, widerspricht er seinem Bruder:
"Reinhold weigerte sich, Hitler die Definitionsmacht darüber zu überlassen, was ein Deutscher sei. In seinem Briefwechsel mit Gershom während der 60er- und 70er-Jahre betonte er die historische Bedeutung der Juden für die deutsche Kulturgeschichte; sie seien in die deutsche Gesellschaft integriert gewesen, bevor Hitler an die Macht kam."
Gershom Scholem lehnte den politischen Zionismus ab, der einen rein jüdischen Staat in Palästina gründen wollte.
"Er konnte die Befürchtungen von Arabern nachvollziehen, dass ihnen Juden Moscheen oder muslimisches Grundeigentum in der Jerusalemer Altstadt wegnehmen wollten."
Mit der zunehmenden Einwanderung von Juden vor allem aus Deutschland während der 30er-Jahre verschärften sich die Konflikte mit der arabischen Bevölkerung in eklatant gewalttätiger Weise. Es entstand eine jüdische Untergrundorganisation namens Irgun, die Terroranschläge gegen Araber wie gegen die britische Kolonialmacht verübte. Deprimiert schreibt Gershom:
"Die Chance, eine lebensfähige palästinensische Siedlung durch die Welt des nächsten Weltkriegs zu retten wird von uns selbst nicht weniger als von Engländern und Arabern gefährdet. Auch bei uns kommt Greuliches herauf."
Nach der Gründung Israels arrangierte sich Gershom Scholem mit den politischen Realitäten und verlegte sich stärker auf eine Kritik an der kulturellen Entwicklung Israels wie des Judentums. Vor allem aber avancierte Scholem zu einem der führenden jüdischen Denker im 20. Jahrhundert, nämlich zu einem international renommierten Wissenschaftler der Judaistik, der die jüdische Mystik zu einem neuen Forschungsfeld machte.
"Mit seinen Kabbala-Studien hatte er ein neues wissenschaftliches Feld erschlossen und sich ungeheures Ansehen erworben. Seine Autorität auf diesem Gebiet konnte nicht umgangen werden."
Geller attestiert Gershom, der deutschen Kultur verhaftet geblieben zu sein, obwohl er ja bereits mit 26 Jahren auswanderte und zudem zutiefst in die jüdische Gedankenwelt eintauchte. Zu häufig schrieb er denn auch weiterhin auf Deutsch. Allerdings bleibt diese Affinität zur deutschen Kultur unterschwellig. Die Hoffnungen seines ältesten Bruders Reinhold teilte er nicht. Die Juden kamen für Gershom nie in der deutschen Kultur an. Da hätten sie sich nur etwas vorgemacht, widerspricht er seinem Bruder:
"Reinhold weigerte sich, Hitler die Definitionsmacht darüber zu überlassen, was ein Deutscher sei. In seinem Briefwechsel mit Gershom während der 60er- und 70er-Jahre betonte er die historische Bedeutung der Juden für die deutsche Kulturgeschichte; sie seien in die deutsche Gesellschaft integriert gewesen, bevor Hitler an die Macht kam."
Die Erinnerung an die Scholems in Deutschland
Im Vordergrund von Gellers lebendig und spannend geschriebener Familienbiographie, die den Leser in den Bann zu ziehen vermag, steht wenig verwunderlich Gershom Scholem. Die beiden ältesten Brüder, die es zu keinerlei Berühmtheit brachten, bleiben dagegen etwas blass. Das ist auch die Schwäche des Buches, nämlich das normale Leben eher am Rande zu behandeln. Insgesamt aber darf man Geller attestieren, dass es ihm gelingt, die Entwicklung des jüdischen Lebens in Deutschland vor und während dessen Auslöschung so eindrucksvoll wie erschreckend zu schildern. Auch wenn man sich der deutschen Verantwortung bewusst ist und die Geschichte gut zu kennen glaubt, lernt man dazu.
Werner Scholem wurde im Alter von 45 Jahren ermordet. Erich Scholem, der sich in Australien beruflich eher schwer tat, starb 1965 überraschend an Herzversagen. Gershom starb 1982 in Jerusalem. Reinhold, beruflich auch in Australien erfolgreich, überlebte ihn noch drei Jahre und starb mit 94.
Nichts erinnert in Deutschland an Reinhold und Erich, obwohl sie sich um die deutsche Kultur verdient gemacht haben. Gershom Scholem, der auch die Bundesrepublik mehrfach besuchte, erfuhr öffentliche Ehrungen, obwohl er den deutsch-jüdischen Dialog verständlicherweise ablehnte. Aber Geller wendet zu recht ein:
"Kein deutsches Forschungsinstitut, keine deutsche Straße trägt seinen Namen, obgleich es kurz nach seinem Tod in seiner Heimatstadt Anträge dazu gab."
Werner Scholems Name steht immerhin auf einem Denkmal vor dem Reichstagsgebäude zusammen mit 95 anderen von den Nazis ermordeten Reichstagsabgeordneten und auf einer Liste des Bundestag, auf der alle demokratisch gewählten Abgeordneten seit 1919 angeführt werden. Außerdem weist Geller darauf hin:
"Auf dem Bürgersteig der Klopstockstraße nahe seiner ehemaligen Wohnung im Hansaviertel ist ein Stolperstein für ihn verlegt."
Aber mit Kommunisten tat man sich in der Bundesrepublik von Anfang an schwer.
Werner Scholem wurde im Alter von 45 Jahren ermordet. Erich Scholem, der sich in Australien beruflich eher schwer tat, starb 1965 überraschend an Herzversagen. Gershom starb 1982 in Jerusalem. Reinhold, beruflich auch in Australien erfolgreich, überlebte ihn noch drei Jahre und starb mit 94.
Nichts erinnert in Deutschland an Reinhold und Erich, obwohl sie sich um die deutsche Kultur verdient gemacht haben. Gershom Scholem, der auch die Bundesrepublik mehrfach besuchte, erfuhr öffentliche Ehrungen, obwohl er den deutsch-jüdischen Dialog verständlicherweise ablehnte. Aber Geller wendet zu recht ein:
"Kein deutsches Forschungsinstitut, keine deutsche Straße trägt seinen Namen, obgleich es kurz nach seinem Tod in seiner Heimatstadt Anträge dazu gab."
Werner Scholems Name steht immerhin auf einem Denkmal vor dem Reichstagsgebäude zusammen mit 95 anderen von den Nazis ermordeten Reichstagsabgeordneten und auf einer Liste des Bundestag, auf der alle demokratisch gewählten Abgeordneten seit 1919 angeführt werden. Außerdem weist Geller darauf hin:
"Auf dem Bürgersteig der Klopstockstraße nahe seiner ehemaligen Wohnung im Hansaviertel ist ein Stolperstein für ihn verlegt."
Aber mit Kommunisten tat man sich in der Bundesrepublik von Anfang an schwer.
Jay Howard Geller: "Die Scholems – Geschichte einer deutsch-jüdischen Familie"
aus dem Englischen von Ruth Keen und Erhard Stölting
Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, Berlin. 462 Seiten, 25 Euro.
aus dem Englischen von Ruth Keen und Erhard Stölting
Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, Berlin. 462 Seiten, 25 Euro.