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Jean Asselborn
"Den Extremisten nicht auf den Leim gehen"

Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn wertet den Ausgang der Europawahl als Erfolg der Pro-Europäer. Sie seien stark genug, um sich gegen die populistischen Parteien durchzusetzen, sagte er im Dlf. Die Wahl sei ein Anreiz, um das Friedensprojekt Europa weiter voranzubringen.

Jean Asselborn im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker |
Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn in Berlin
Luxemburgs Außenminister Asselborn: "Die Europawahl lässt keinen mehr kalt" (Abdulhamid Hosbas / Anadolu Agency / picture alliance)
Ann-Kathrin Büüsker: Wir haben gerade Eindrücke aus dem Osten Europas gehört, aus Polen. Jetzt schauen wir ein bisschen auf die unterschiedlichen nationalen Interessen in Brüssel und wie diese dort zusammenkommen können. Über die Auswirkungen der Wahl auf Europa möchte ich jetzt mit einem überzeugten Europäer sprechen: mit Jean Asselborn, Minister für auswärtige und europäische Angelegenheiten von Luxemburg, Vizepremierminister und Mitglied der Luxemburgischen Arbeiterpartei, also Sozialdemokrat. Einen schönen guten Morgen, Herr Asselborn!
Jean Asselborn: Guten Morgen, Madame Büüsker.
Büüsker: Marine Le Pen hat in Frankreich die Wahl gewonnen, Matteo Salvini in Italien. Europas Kritiker und Gegner, sie sind am Erstarken. Wie kalt wird Ihnen da ums Herz?
Asselborn: Ich glaube, die Europawahl - vielleicht ist es das erste Mal - lässt ja keinen mehr kalt. Sie haben das gesehen: In Deutschland sind 13 Prozent mehr wählen gegangen, generell in Europa zehn Prozent. Ich glaube, dass viele natürlich ihre politischen Familien unterstützt haben, aber auch sie hatten im Kopf, die Salvinis, die Le Pens, der AfD in die Schranken zu setzen. Und wenn Sie schauen: Ziel dieser Parteien und Politiker war es ja, stärkste Fraktion im Europäischen Parlament zu werden. Das ist verfehlt, sie sind nur dritte. Die EVP und die Sozialdemokratie stehen an erster und an zweiter Stelle. Wenn die beiden nicht wären, wären sie die ersten, denn die Grünen und die Liberalen stehen hinter diesen Kaputtschlagern.
Rechtsruck ist ausgeblieben
Büüsker: Der Erdrutschsieg, der von vielen befürchtet worden war für die Rechten, der ist jetzt nicht eingetreten. Und trotzdem wird es eine sehr große europakritische, wenn nicht gar europafeindliche Fraktion im Europaparlament geben. Wieso gelingt es den überzeugten Europäern nicht, ihre Überzeugung tatsächlich auch ausreichend den Bürgerinnen und Bürgern zu vermitteln und damit die Europaskeptiker zu stoppen?
Asselborn: Madame Büüsker, man muss das Verhältnis sehen. Es sind 751 Abgeordnete im Europäischen Parlament. Wenn das für die gut läuft, haben die 110 Sitze, die Extremisten, die Nationalisten. Le Pen hat verloren, hat weniger Stimmen bekommen als noch vor fünf Jahren. Der Durchschlag für die ist natürlich die Lega in Italien - aber die Lega in Italien hat, wenn meine Informationen stimmen, am Ende weniger als 30 Prozent bekommen. Die AfD hatte sich ja auch bei euch ein ganz anderes Resultat erwartet. Also, es ist schon wichtig, dass wir das zur Kenntnis nehmen, dass wir uns auseinandersetzen, vor allem auch im Europäischen Parlament, mit diesen Menschen, mit diesen Politikern, aber ich glaube, dass das keine Katastrophe ist.
Büüsker: Aber macht das nicht Entscheidungsfindungen im Europäischen Parlament unglaublich schwierig unter den neuen Voraussetzungen?
Asselborn: Ich glaube, dass das Europäische Parlament ein demokratisches Gefüge hat. So wie Sie zu kämpfen haben mit diesen Menschen von der AfD im Bundestag, ist, glaube ich, die Argumentation und die Stärke der proeuropäischen Parteien groß genug, um hier Meister zu werden. Wissen Sie, wir dürfen auch nicht den Fehler machen, den Menschen jetzt sagen, die einen sind Pro-Europäer und die anderen sind schlechte Europäer. Unter den Pro-Europäern - wir dürfen nicht den Extremisten auf den Leim gehen - muss es ja eine Kompetition geben, eine demokratische Auseinandersetzung geben, um den besten Weg zu finden, um Europa voranzubringen.
Büüsker: Darf man aus diesem politischen Dialog, dem Diskurs kein Gut gegen Böse machen, wenn ich Sie richtig verstehe?
Asselborn: Ganz richtig.
Kommissionspräsident nur im Paket
Büüsker: Schauen wir vielleicht mal auf die Machtkämpfe, die da in den kommenden Tagen und wahrscheinlich auch Wochen, wenn nicht gar Monaten auf uns zukommen, und zwar zu allererst der Machtkampf an der Kommissionsspitze, der Kampf darum, wer Chef der neuen EU-Kommission wird. Im Vorfeld hatten viele Staats- und Regierungschefs ihre Skepsis gegenüber dem Spitzenkandidaten-Modell geäußert. Sie wollen den Chef lieber selbst bestimmen. Wieso tut der Rat hier etwas, was der europäischen Idee so sehr widerstrebt?
Asselborn: Probieren wir mal, einen Schritt nach dem anderen zu machen. Ich glaube, wir beide sind uns eins: Diesmal wird es kein Luxemburger werden. Und wir sind uns auch vielleicht einig, dass wir den heute Morgen um 7:50 Uhr nicht finden. Aber der Bürgermeister von Bremen ist ja auch noch nicht bestimmt. Was muss vorher kommen? In einer Demokratie, wo keine Chaoten dabei sind, werden Gespräche geführt, und ich glaube, das Wichtigste ist jetzt in Europa, dass Gespräche geführt werden, weniger im Rat, sondern im Europaparlament. Im Europaparlament muss sich eine Koalition bilden. Das ist die normale Prozedur.
Spitzenkandidaten - wissen Sie, hier liegen wir ja ganz, ganz nah beisammen. Die Grünen stehen für den Spitzenkandidaten, die Sozialdemokraten stehen für den Spitzenkandidaten, die EVP auch. Die Liberalen haben keinen gefunden. Sie hatten sieben, aber seit gestern Abend wird nur von einer Person gesprochen, die sie als Kommissionspräsident wollen. Es ist kein großer Unterschied.
Die Schwierigkeit, Madame Büüsker, ist, glaube ich, folgende. Erstens: Man muss wissen, das wird ein Paket. Das war doch immer so. Der Kommissionspräsident, der Ratspräsident, der Parlamentspräsident - und es könnte sein, dass auch Frankfurt, die Europäische Zentralbank, die Nachfolge von Draghi in diesem Paket sich zurückfindet.
Das zweite, was man wissen muss, das darf ich vielleicht als Luxemburger sagen: Ich glaube, dass in diesem Duett oder Duo zwischen Deutschland und Frankreich eigentlich leicht Sand im Getriebe ist. Das ist nicht unmöglich, dass es kein Franzose wird und kein Deutscher wird, weil die beiden sich selbst neutralisieren. Dann käme ein kleineres Land, was ja schon oft der Fall war, in Frage, wie die Holländer oder die Dänen, und wenn Sie mich als Sozialdemokrat fragen, natürlich Frans Timmermans, finde ich, ist von der Kompetenz hochrangig und er kommt aus der zweitwichtigsten Fraktion. Auch Madame Vestager ist ja eine anerkannte Politikerin, Kommissarin. Man muss sehen: Das Wichtigste, noch einmal, ist, glaube ich, dass im Europaparlament Gespräche stattfinden zwischen den vier großen Parteienfamilien, nehme ich an, um eine Koalition zu bilden und dann zu schauen, wie man zum Ziel kommt, auch Personenfragen zu lösen.
EU-Parlament mit gewichtiger Rolle
Büüsker: Heißt aber, wenn ich Sie richtig verstehe, die Frage des Kommissionsvorsitzes darf nicht in irgendwelchen Hinterzimmern ausbaldowert werden?
Asselborn: Nein! Das geht nicht. Das Europaparament hat eine entscheidende Rolle hier zu spielen. Ich glaube, am nächsten Dienstag - das ist alles richtig, was Herr Tusk da macht, dass er sagt, die Regierungschefs sollen sich sehen. Das ist auch richtig so, das sollen sie tun. Aber wir dürfen nicht die Erwartung hegen, dass am Dienstagabend fixe Namen kommen. Das einzige, was, glaube ich, schnell geschehen muss, selbstverständlich, ist der Präsident des Europäischen Parlaments. Und der wird entschieden Ende Juni. Und weil alles zusammenhängt, kann man sich jetzt nicht aufs Ohr legen, sondern man muss schauen. Der Grünen-Politiker, der vor mir gesprochen hat, hat gesagt, wir haben drei Prioritäten: Themen, Themen, Themen. Ja! Aber wissen Sie, die Europäische Union ist kein unkomplexes Ding im institutionellen Gefüge. Da gibt es Regeln, es gibt Zeitabschnitte und die müssen eingehalten werden. Ich glaube nicht, dass es gut wäre, wenn die neue Kommission erst in einem Jahr antreten würde. 1. November ist das Datum, wo die neue Kommission stehen muss, und dann müssen auch alle anderen Posten stehen. Das Europaparlament stimmt ja dann darüber ab. Es gibt jetzt genug zu tun, um, glaube ich, hier durchzukommen. Aber die Wahl gestern für mich jedenfalls, das Resultat europäisch gesehen, ist wirklich keine Katastrophe, sondern ist ein Anreiz, um das Projekt Europa, das Friedensprojekt Europa weiterzubringen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.