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Jean Asselborn zur Seenotrettung
"Brauchen schnell europäische Schiffe im Mittelmeer"

Angesichts der Lage in Libyen müsste man im Vorhinein Häfen bestimmen, in die Rettungsschiffe mit Flüchtlingen einlaufen könnten, sagte Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn im Dlf. "Die NGOs können wir nicht alleine lassen", betonte Asselborn.

Jean Asselborn im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn bei einer Veranstaltung im Willy-Brandt-Haus in Berlin.
Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn fordert mehr Schiffe im Mittelmeer zur Rettung von Flüchtlingen (imago / Emmanuele Contini)
Dass Menschen flüchteten, sei absolut normal, sage Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn im Dlf. Besonders angesichts der aktuellen Lage in Libyen brauche man ganz schnell wieder europäische Schiffe im Mittelmeer. "Wir bräuchten mehr Schiffe und wir müssten im Vorhinein bestimmen, wo diese Schiffe einlaufen können", so Asselborn. Es müssten Strukturen geschafft werden, um die Schiffe anlanden lassen zu können. "Die NGOs können wir nicht alleine lassen", so Asselborn.
Gemeinsam mit der UNO sei es hinzubekommen, dass Menschen, die im Mittelmeer gerettet werden, ausschließlich in Camps kommen, die bewacht werden - und Asylanten an einen sicheren Ort. Migranten ohne Aussicht auf Asyl müssten würdevoll in ihre Länder zurückschickt werden.
Wichtig sei aber, dass alle Mitgliedsstaaten solidarisch seien: "Wir sind sechs, sieben oder acht. Die anderen schauen in die andere Ecke", so Asselborn.

Das Interview in voller Länge:
Dirk-Oliver Heckmann: Als das Atomabkommen mit dem Iran zustande kam, im Jahr 2015 nach jahrelangen zähen Verhandlungen, da war die Hoffnung groß, die Hoffnung, den Iran nachhaltig davon abzuhalten, eine Atombombe zu bauen. Im Gegenzug sollte Teheran wieder in die internationale Gemeinschaft aufgenommen, Sanktionen gegen das Land schrittweise wieder aufgehoben werden. Doch das Gegenteil trat ein. Vor einem guten Jahr kündigte US-Präsident Trump das Abkommen auf, auch wegen des aggressiven Verhaltens des Iran in der Region, und ließ die schwersten Sanktionen verhängen, die bisher verhängt worden waren. Gestern dann hat Teheran angekündigt, die Uran-Anreicherung über das erlaubte Maß wieder aufzunehmen - ein schwerer Verstoß gegen das Atomabkommen, so sieht es jedenfalls der Westen.
Darüber können wir jetzt sprechen mit Jean Asselborn, Sozialdemokrat, Außenminister Luxemburgs. Schönen guten Morgen, Herr Asselborn!
Jean Asselborn: Guten Morgen, Herr Heckmann.
Iran: "Sind wieder da, wo wir waren... vor 2012"
Heckmann: Ein Verstoß Teherans, der Sie nicht überrascht haben dürfte, oder?
Asselborn: Nein, ganz klar nicht. Ich glaube, es ist nicht abwegig, daran zu erinnern, Sie haben das auch gemacht: Wir haben uns in der Europäischen Union mit den Vetomächten ja 13 Jahre lang abgerackert. Warum? – Damit der Iran keine Atombomben weder auf Europa, noch auf Amerika schießen kann, wobei geografisch natürlich Europa etwas näher liegt beim Iran.
Die UNO-Behörde – das muss man immer wiederholen – hat ja bis jetzt immer bestätigt, dass der Iran sich an das Abkommen gehalten hat. Und Sie haben das auch angedeutet: Präsident Trump – ich glaube vor allem, weil Präsident Obama das hinbekam – hat ja de facto den Vertrag zerschlagen. Jetzt sind wir im Grunde genommen wieder da, wo wir waren, schon bei den Zentrifugen, bei Ahmadinedschad, also vor 2012, und das ist schlecht.
Ohne Abkommen kein Einfluß auf Iran
Heckmann: Jetzt weisen Sie dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump die Verantwortung für die Entwicklung zu, entnehme ich Ihren Worten. Der sagt wiederum, Iran verhalte sich extrem aggressiv in der Region, siehe Jemen, siehe Syrien, und daran besteht eigentlich auch kein Zweifel, oder?
Asselborn: Ja. Das war aber nicht das Problem. Wir wollten mit diesem Abkommen verhindern, dass die nukleare Spirale im Nahen Osten nach oben zeigt, dass der Iran keine Atombombe bauen kann. Das war das Ziel. So wie ja Herr Trump auch versucht, mit Nordkorea nicht aus Nordkorea eine Schweiz zu bauen, sondern, dass Nordkorea keine Atombomben schießen kann. Das heißt, auf diesem Punkt haben wir immer eine Feuerschneise gemacht zwischen natürlich der Politik des Irans, die wir nicht gutheißen können, in der Region. Die Menschenrechtsfrage – nehmen Sie nur die Unterdrückung der Bahai, aber auch die Todesstrafe und so weiter. All das hätten wir, glaube ich, versuchen können, wenigstens zu enttauen. Wenn wir dieses Abkommen gehabt hätten und der Iran wirtschaftlich wieder stärker an uns gebunden wäre, hätten wir auch viel mehr Einfluss auf das Regime im Iran gehabt.
"Den Iran ersticken, das ist fatal für die ganze Region"
Heckmann: Die Europäer hatten ja Teheran vor einem Bruch des Abkommens gewarnt, auch nachdem die USA ausgestiegen waren. Müssen jetzt nicht auch folgerichtig europäische Sanktionen folgen?
Asselborn: Es ist jetzt so: Am Mittwoch wird eine Sondersitzung der UNO-Behörde in Wien stattfinden. Wenn der Verstoß festgestellt wird - und das ist ja offenkundig -, dann kann der Sicherheitsrat damit befasst werden, und dann können die UNO-Sanktionen wieder angehoben werden. Aber ich hoffe, dass ein Außenministertreffen zwischen den EU3 plus China plus Russland plus Iran zustande kommt, dass man ganz klar sich der Verantwortung stellt, die jetzt natürlich dem Iran obliegt, eines der wichtigsten Punkte, dieser Anreicherung über 3,67 Prozent, dass das nicht definitiv ist.
Heckmann: Sie setzen auf Verhandlungen?
Asselborn: Was soll man in dieser Lage als Außenminister und als Europäer anders hoffen, dass wirklich da wieder Vernunft einkehrt. Natürlich: Sie wissen, der Iran ist in einer Lage, wenn er kein Öl verkauft, dann wird er nicht mehr atmen können. Dieser wirtschaftliche Druck auf den Iran, wo ja Millionen und Millionen Menschen leben, ich glaube, wo 80 Millionen Menschen leben, das ist schon etwas, wessen wir uns bewusst sein müssen. Den Iran ersticken, das ist fatal für die ganze Region und fatal auch, glaube ich, für die Welt, ja.
"Perspektivlosigkeit und eine große Angst"
Heckmann: Es gab ja Vorfälle in den letzten Wochen militärischer Art zwischen dem Iran und auch den USA. Wie groß ist die Gefahr eines militärischen Konflikts jetzt?
Asselborn: Ich glaube, dass für den direkten Konflikt eigentlich keine große Gefahr besteht, soviel ich das einschätzen kann natürlich. Aber Sie wissen, was geschehen ist in der Straße von Hormus. Der Iran ist ja kein Land jetzt, wo einer allein die Gewalt hat, alles zu entscheiden. Sie haben diesen religiösen Führer, sie haben natürlich die Hisbollah, sie haben die Revolutionsgarden. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist natürlich auch dieser große, große Streit zwischen Saudi-Arabien und dem Iran. Da können Splitter produziert werden und man weiß dann nie, was die Konsequenz ist. Aber eine militärische Intervention – wir hatten den jordanischen Außenminister auf Besuch vor 14 Tagen hier in Luxemburg bei den europäischen Außenministern. Er hat gesprochen von einer Perspektivlosigkeit und von einer großen Angst, die in dieser Region der Welt geschieht, und Sie wissen, dass das nicht sehr weit von Europa weg ist.
Berichte über Sklavenhandel und Erpressung
Heckmann: Und ein militärischer Konflikt ist sicherlich auch nicht ausgeschlossen. Wenn es dazu kommen sollte, dann dürfte das eine neue Flüchtlingsbewegung auslösen, und auch auf diesem Gebiet der Flüchtlingspolitik bietet Europa nach Ansicht vieler Beobachter ein schwaches Bild. Private Seenotretter springen in die Bresche. Für Italiens Innenminister Salvini sind diese privaten Seenotretter kriminelle Schlepper und der frühere österreichische Regierungschef, der ÖVP-Chef Sebastian Kurz, der meinte jetzt am Wochenende, er halte es für falsch, wenn diese Seenotretter Menschen illegal nach Europa bringen. Die Helfer weckten damit nur falsche Hoffnungen und lockten womöglich unabsichtlich noch mehr Menschen in Gefahr. Sehen Sie das auch so? Können Sie dem was abgewinnen?
Asselborn: Ich würde anfangen, Ihnen zu antworten auf das Letzte, was Sie gesagt haben. Ich finde es wirklich erschreckend, dass Politiker wie Herr Kurz aus Österreich ohne Zögern behaupten – in ihrer Präsidentschaft 2018 haben sie das gemacht -, dass es die maritime Migration eigentlich nicht mehr gibt (hat Österreich gemacht), nur noch Schlepper und dass, was er jetzt sagt, im Grunde genommen es falsch ist, denn wenn wir Menschen retten und an Land bringen, dann geben wir viele falsche Hoffnungen. Damit gewinnt man Wahlen, so ist das, aber man ist dann auf einer Linie total von Orbán und von Salvini. Das ist, glaube ich, wie wenn ich behaupten würde, in Österreich wäre die Hilfe bei Lawinenunglücken im Grunde genommen falsch und überflüssig, denn wenn sie wirksam ist, dann lockt sie immer mehr Menschen abseits der Pisten.
Wirt haben es zu tun, glaube ich, mit zwei Problemen. Das erste Problem ist, dass wir jetzt Kriegshandlungen haben in Libyen seit Wochen. Sie wissen um dieses Lager in Tagiura, wo 50 Menschen gestorben sind, 100 schwer verletzt sind, ein Militärlager, wo die Menschen hingebracht werden, die von der libyschen Küstenwache gerettet werden. Hier ist ein wirklicher Aufschrei notwendig, auch vom UNHCR, vom UNO-Flüchtlingswerk, die das gemacht haben. Die Idee der Küstenwache war ja eine Idee, die nicht falsch war, die in Italien entstanden ist, dass man 500 Libyer ausbildet in Rechtsstaatlichkeit, in Menschenrechten. 355 davon sind in Funktion und die haben über 3.600 Menschen aus dem Meer geholt 2019. Aber dann kommt das Problem: Die Berichte des UNHCR sagen, dass Menschen verschwinden, wenn sie gerettet sind, dass Geschäftsleute sie mieten oder kaufen können wie Sklaven, dass sie gefangen halten werden, dass die Familien um Lösegeld erpresst werden, dass sie auch in Militärlagern eingesperrt werden. Und wir haben ja seit der Operation Sophia keine Schiffe mehr zur Verfügung, die vor Ort Kontrollen machen.
Strukturen schaffen für Seenotrettung
Heckmann: Müsste es einen neuen Einsatz europäischer Art geben? Der Entwicklungshilfeminister Müller aus Deutschland hatte das gefordert.
Asselborn: Nur um meinen Satz fertigzumachen: Ich glaube, dass wir es hinbekommen müssen, mit der UNO, die Europäische Union mit der UNO, dass die Menschen, die gerettet werden von den Coast Guards, dass sie ausschließlich in Camps kommen, die kontrolliert werden vom UNO-Flüchtlingswerk und von der OEM. Es gibt eine solche Struktur, ich habe sie selbst gesehen bei Tripolis. Derer bräuchten wir mindestens sechs, wo die Migranten dann in ihre Heimatländer zurückgeschickt, zurückgeführt werden und die Asylanten dann an einen sicheren Ort kommen können.
Wir brauchen, glaube ich – und das ist ja die Frage -, ganz schnell wieder europäische Schiffe im Mittelmeer, in der Situation, wo Libyen sich jetzt befindet. Dass Menschen in dieser Situation flüchten, ist absolut normal. Und dann bräuchten wir, glaube ich, wie auch Herr Müller das, glaube ich, schematisch gedacht hat, meines Erachtens bräuchten wir mehr Schiffe. Es ist ganz klar, wir können die NGOs nicht allein lassen. Und wir müssten im Vorhinein Häfen bestimmen, wo diese Schiffe einfahren können. Die müssen nicht nur auf Malta oder auch nicht nur in Italien sein. Es ist ganz klar, dass wir dann Strukturen schaffen in diesen Häfen, wo die Menschen aufgenommen werden, auch wieder mit dem UNO-Flüchtlingswerk und mit der OEM.
Migranten "würdevoll in ihre Länder zurückschicken"
Heckmann: Aber glauben Sie, Herr Asselborn – Pardon, wenn ich da reingrätsche -, dass das politisch durchsetzbar ist? Denn bisher hat sich doch Europa nicht mal auf einen Verteilschlüssel für die wenigen Flüchtlinge, die im Moment aufgegriffen werden, einigen können. Bei jedem neuen Schiff, das aufkreuzt, gibt es eine riesen Diskussion in Europa, wer nimmt wie viele Flüchtlinge auf.
Asselborn: Ich kann Ihnen nur einen Plan sagen, der, glaube ich, doch machbar wäre für Menschen, die noch irgendetwas übrig haben für die elementarste Menschlichkeit, dass wir Schiffe wieder schicken. In dieser Situation gibt es eine maritime Migration. Menschen wollen fort aus Libyen und kommen auch übers Meer. Die NGOs können wir nicht alleine lassen. Häfen bestimmen, das, glaube ich, ist das erste Ziel, was man haben muss, dass dann Strukturen bestehen, wie ich gesagt habe, wo die Schutzbedürftigen hinkommen, wo sie bleiben, die Migranten mit der OEM würdevoll in ihre Länder zurückgeschickt werden. Hier handelt es sich, Herr Heckmann, um einige tausend im Jahr. Es sind keine Hunderttausenden, keine Zehntausenden; es sind einige tausend im Jahr. Und dass dann der Punkt da ist, wo Sie recht haben: Alle Mitgliedsstaaten müssen solidarisch sein.
Was haben wir jetzt? – Jedes Mal, wenn ein Schiff kommt, haben wir grundsätzlich vier Länder: Deutschland, Frankreich, Portugal und Luxemburg, die helfen. Dazu kommen, ein kleiner Lichtblick jetzt, einige mehr. Wir sind, glaube ich, jetzt sieben oder acht. Aber alle anderen, da muss man sich fragen, was die tun. Die schauen in die andere Ecke und sagen, wir haben nichts damit zu tun, Solidarität in Sachen von Flüchtlingen, das interessiert uns nicht, wir lassen das liegen. Das geht nicht!
"Es geht um die Solidarität der Mitgliedsstaaten"
Heckmann: Weil unsere Zeit jetzt langsam zu Ende geht, Herr Asselborn, die letzte Frage an Sie. Eine Aufgabe für die mögliche neue EU-Präsidentin Ursula von der Leyen?
Asselborn: Egal wer Präsident jetzt wird, Sie müssen wissen: Die Kommission hat die richtigen Lösungen auf den Tisch gelegt. Hier geht es um die Solidarität der Mitgliedsstaaten. Es geht nicht allein um die Kommission. Die Kommission hat ihre Arbeit gut gemacht. Sie hat alles da hingelegt, auch die Reform von Dublin. Und ich hoffe, dass jetzt die Debatten über die Personen ein wenig in den Hintergrund gestellt werden und dass man vor allem in der Substanz schaut, Solidarität und natürlich Rechtsstaatlichkeit. Man kann nicht in eine Situation kommen, wo man mit Rechtsstaatlichkeit mit einer anderen Kommission legerer umgeht. Das hat mich sehr betroffen gemacht, als ich hörte, dass Frans Timmermans eine Beleidigung wäre für Herrn Orbán. Frans Timmermans war der erste Vizepräsident der Kommission und er hat für Rechtsstaatlichkeit sich eingesetzt. Das war die Aufgabe der Kommission, mehr nicht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.