Der Soziologe Friedrich Pollock reklamierte die Idee zur Gründung des Frankfurter Instituts für Sozialforschung spätestens in den 1970er-Jahren alleine für sich. Der Ruhm des Hauses war über die Jahrzehnte stetig gewachsen, und es ging nun darum, die Geschichte der Entstehung für die Nachwelt ins rechte Licht zu rücken. Einer der maßgeblichen Gründungsväter wurde dabei an den Katzentisch verwiesen: Der Millionärssohn Felix Weil, so wurde Pollock zitiert, habe zwar das erste Institut gestiftet, aber das hätte jeder andere mit so viel Geld ebenfalls gekonnt. Die großen Bildersammler in New York könnten ja auch nicht malen, soll Pollock Dritten gegenüber ziemlich herablassend verlautbart haben. Es genüge ja vollauf, wenn einer seinen Namen unter einen Scheck malen könne.
Für Felix Weil, der sein gesamtes Vermögen in das Projekt eines interdisziplinären, marxistischen Theorien verpflichteten Instituts gesteckt hatte, musste das wie eine Verhöhnung klingen. Nach Friedrich Pollocks Tod allerdings schien sich seine Deutung durchgesetzt zu haben: Im Nachruf der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" war zu lesen, dass Pollock in einem kleinen Kreis von Freunden den Plan einer von den Fakultäten unabhängigen Forschungsstätte entwickelt habe. Felix Weil, damals bereits in seinen 70ern, reagierte empfindlich: Denn nicht Pollock, sondern er habe zuallererst die Idee gehabt, ein solches Institut aufzubauen.
Die Rolle als Mäzen, verbannt in die Fußnoten, war festgeschrieben. Eine Autobiografie von Felix Weil, die das verwackelte Bild zurechtrücken sollte, blieb unveröffentlichtes Fragment. Nun aber bekommt dieses Bild immerhin deutlichere Konturen: Die 1964 geborene Ethnologin, Dokumentarfilmerin und Autorin Jeanette Erazo Heufelder hat das Leben Felix Weils akribisch recherchiert und die spannende Biografie eines Mannes vorgelegt, der nicht nur entscheidend an der Entwicklung der Frankfurter Schule beteiligt war, sondern auch viele andere wissenschaftliche und künstlerische Projekte in den 1920er- und 30er-Jahren mitgestaltet hat.
"Meine Gefühle waren auf Seiten des Sozialismus"
"Der Argentinier Felix Weil unterstützte in Deutschland kommunistische Freunde, sozialistische Gelehrte, linke Theatermacher, Buchverleger und Künstler, beteiligte sich an avantgardistischen Kinoproduktionen und politischen Wissenschaftspublikationen, ließ zur Geschichte der Arbeiter- und Sozialbewegungen forschen und sammeln und baute eine wertvolle marxistische Spezialbibliothek auf – ein geborener Mäzen wie sein Freund, der Maler George Grosz, einmal bemerkte. Er pendelte zwischen Ländern und Kontinenten, Gelehrten- und Kaufmannswelt, Großbürgertum und Arbeiterbewegung, war in der Kommunistischen Internationale und in der US-Air Force aktiv."
Ganz schön viel für ein Leben, das 1898 in Buenos Aires begann und 1975 in den USA endete. Das Schicksal meinte es einerseits gut mit Felix Weil, andererseits war sein Werdegang ziemlich vorbestimmt: Als Sohn eines aus einem Dorf im Kraichgau stammenden jüdischen Kaufmanns, der in Argentinien mit Weizenhandel ein fantastisches Vermögen erwirbt, ist ihm die Rolle des künftigen Generaldirektors auf den Leib geschneidert. Es kommt dann aber doch etwas anders: Die Familie kehrt zurück nach Frankfurt, der Sohn studiert Volkswirtschaft. Und dann hat Felix Weil im November 1918, als er sich voller Begeisterung dem revolutionären Arbeiter- und Soldatenrat anschließt, sein Erweckungserlebnis – als ihm das Erfurter Programm der Sozialdemokratie in die Hände fällt:
"Keine Frage: Meine Gefühle waren auf Seiten des Sozialismus, und schon seit langem. Ich war mir nur dessen nicht bewusst gewesen! Die Metamorphose geschah in einer einzigen Nacht. Einer kurzen, schlaflosen und aufgewühlten Nacht, der eine jahrelange, sich intensivierende Beschäftigung mit marxistischer Theorie folgen sollte."
Förderer von Theaterproduktionen und Verlagen
Er verkehrt fortan im Kreis der sozialistischen Frauenrechtlerin Clara Zetkin und des marxistischen Philosophen Karl Korsch, versucht sich selbst als Wissenschaftler, kümmert sich nebenbei noch um die Firmengeschäfte, ist Geburtshelfer der Kommunistischen Partei Argentiniens und weiß doch recht früh, dass die dogmatische Parteipolitik nicht der Motor des Fortschritts sein kann. Vielmehr müsse die Theorie empirisch aus der Gegenwart heraus bestimmt werden. Aus der Freundschaft mit Max Horkheimer und Friedrich Pollock entsteht die Idee zur Gründung eines Instituts: Es bedarf einigen taktischen Geschicks, die Etablierung der Forschungseinrichtung zu betreiben – sowohl gegenüber der Universität Frankfurt, an die das Institut angeschlossen ist, als auch gegenüber dem Vater Weil, der eine Stiftung einrichtet. Felix Weil hat das richtige Händchen und Gespür. Bei der Eröffnung im Jahr 1923 verkündet Gründungsdirektor Carl Grünberg, um was es gehen soll:
"Felix Weil hatte mit angehaltenem Atem Grünbergs Worten gelauscht, die zum ersten Mal den marxistischen Charakter des Instituts vor den Vertretern der Universitätsbehörde offenlegten. Ihren versteinerten Gesichtern war anzusehen, dass sie sich überrumpelt fühlten. Wie ein Kuckucksei hatte man ihnen ein marxistisches Institut untergejubelt."
Erazo Heufelder zeigt in ihrem detailreichen, anschaulich geschriebenen Buch, wie das Institut dank Felix Weils finanzieller Zuwendungen und seiner strategischen Weitsicht ausgebaut wird, wie es durch die Zeit des Faschismus kommt, wie es nach dem Krieg auf soliden Beinen steht, nachdem Weil sein gesamtes verbliebenes Vermögen in die Zukunft des Hauses gesteckt hat. Sie schildert mit großer Sorgfalt die vielen Aktivitäten Weils, etwa seine Mitarbeit beim Malik Verlag Wieland Herzfeldes oder die Unterstützung von Theater-Produktionen Erwin Piscators. Sie erzählt daneben aber auch von einem zerrissenen Leben, von Zerwürfnissen und persönlichen Krisen Felix Weils, der sich nie nur als der "man with the money" versteht und am Ende doch auf sein Dasein als Mäzen reduziert wird. Erazo Heufelder lässt ihm in ihrer Darstellung Gerechtigkeit widerfahren. Und sie erinnert an einen wichtigen Teil der Geschichte der Frankfurter Schule: die ökonomische Basis, auf der der theoretische Überbau erst gedeihen konnte.
Jeanette Erazo Heufelder: "Der argentinische Krösus", Berenberg Verlag, Berlin 2017, 208 Seiten, 24 Euro