Zu den liebenswert antiquierten Begriffen, die mit der US-Präsidentschaftswahl eine Renaissance erlebten, gehört das "Commonwealth", übersetzt: Gemeinwesen oder auch Gemeinwohl. Das "Commonwealth of Pennsylvania" etwa ließ uns die Luft anhalten, bis endlich feststand, wer die Wahl dort für sich entschieden hatte. Jedediah Purdy macht ernst mit dem Begriff. Er fragt, weshalb es nicht gelungen sei, die USA im Laufe der Geschichte zu einem echten Gemeinwesen zu formen, das auf Kooperation statt Konkurrenz, auf sozialer Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit basiert. Einen Grund dafür sieht Purdy darin, dass von Beginn an Reichtum und Wohlergehen an den Besitz von Land gekoppelt gewesen seien.
"Das Land ist schon immer die Gemeinsamkeit gewesen, die uns voneinander trennt."
Das große, weite Land, der "common wealth", verbindet und trennt zugleich. So bringt Purdy das Paradox auf den Punkt und untermauert seine Argumentation mit einem Blick auf die Geburtsstunde der Vereinigten Staaten, eine "Landnahme welthistorischen Ausmaßes":
"Dass sie den indigenen Bewohnern das Land wegnahmen, ‚rechtfertigten‘ die Kolonisten durch unbeirrtes Beharren auf dem Axiom, Eigentum an einem Terrain könne nur der erwerben, der es – wie die Siedler beziehungsweise Farmer – adäquat bearbeite. Ihr Besitzanspruch beruhte auf Äxten, Pflügen und Vermessungslinien."
Einstige Siedler wurden zu Sozialverlierern
Wer der Natur am meisten abringen kann, egal um welchen Preis, hat gewonnen – so die zynische Logik. Wie diese Mentalität und die daraus resultierende Ungleichheit das Land bis heute prägt und die Zerstörung des Planeten befeuert, führt der renommierte Jurist und Autor in apokalyptischen Berichten aus den abgehängten Regionen seines Landes vor Augen. Die Appalachen an der Ostküste etwa, wo Kohle seit Jahrzehnten durch Gipfelabsprengung gewonnen wird.
"Die Unternehmen reißen mehrere hundert Kubikfuß Gestein aus einem Gipfel, um die Kohlenflöze darunter freizulegen. Die Schürfkübelbagger mit ihren gigantischen Auslegern, die den gesprengten Dreck und die Kohle abtransportieren, sind zwanzig Stockwerke hoch und können hundertdreißig Tonnen Fels pro Schaufel bewegen. Der Schutt, der übrig bleibt, lässt sich nicht wieder zu einem Gipfel zusammensetzen."
Man stelle sich vor, was hierzulande los wäre, wenn sich Energiekonzerne derart über den Harz oder den Schwarzwald hermachten. Oder wenn Menschen auch hier und heute noch an vergifteten Flüssen leben müssten. Purdy zitiert aus einer Studie der Soziologin Arlie Russell Hochschild von 2016 zu den Ansichten von Tea-Party-Anhängern in Louisiana:
"Eine Familie gläubiger Mitglieder einer Pfingstkirche, die Hochschild besucht, lebt an einem vergifteten Flussarm inmitten abgestorbener Bäume. Die Leute erzählen ihr, dass sich ihre Großeltern an diesem Ort noch von Fischfang und Jagd ernähren konnten – eine Generation später seien Kühe und Schweine binnen Tagen verendet, wenn sie aus dem verschmutzten Wasserlauf getrunken hätten."
Umweltbewegung sollte weniger "elitär" sein
Dass in diesen trostlosen Landstrichen vorwiegend Angehörige sozial schwacher Bevölkerungsgruppen leben, muss nicht eigens erwähnt werden. Warum aber unterstützen sie mit Trump ausgerechnet denjenigen, der die industrielle Ausbeutung vorantreibt? Purdy meint: Ihr Misstrauen gegenüber dem politischen "Establishment" in Washington – zu dem Trump nicht gerechnet wird – sei noch größer als das gegenüber den Konzernen.
"Ihrer Ansicht nach unterstützt Washington gewisse Leute dabei, sich in der Warteschlange zum amerikanischen Traum vorzudrängeln – eine Form des Betrugs, die auf ‚Affirmative Action‘, Sozialhilfe und illegaler Einwanderung basiert. Sich selbst betrachten sie als hart arbeitende, geduldige, realistisch denkende Leute, die wissen, dass man manchmal das Land versehren muss, wenn man ihm Wohlstand abringen will."
Purdy möchte diesen Kampf gegen die Natur und der Menschen untereinander stoppen, um die Folgen des Klimawandels zu mildern. Die Umweltbewegung dürfe sich nicht länger auf die Belange und Protestformen der Wohlhabenden konzentrieren, sondern müsse die Benachteiligten stärker einbeziehen. Purdy plädiert deshalb für einen "Green New Deal", der Ökologie, Ökonomie und soziale Gerechtigkeit – im Sinne einer Gemeinwohl-Ökonomie – miteinander verbindet.
"Die Transformation dieser Bereiche bedeutet viel Arbeit – den Aufbau einer neuen Infrastruktur, die Energieerzeugung, Transportwesen, Heizung und Kühlung auf CO2-neutrale Weise ermöglicht –, denn sie wäre eine Transformation der Anthroposphäre, die uns zu einer Gattung macht, die den Planeten als ihr Zuhause behandelt. Das wäre zugleich ein Arbeitsbeschaffungsprogramm, und manche Leute finden das belächelnswert. Aber auch das Heimatschutzministerium ist mit seiner Viertelmillion Beschäftigten ein Arbeitsbeschaffungsprogramm."
Plädoyer für ökologisch nachhaltiges "Commenwealth"
Um globale Krisen zu bewältigen, bedürfe es – anders als viele glaubten – keineswegs eines globalen Staates, sagt Purdy:
"Und das ist eine gute Nachricht, weil die Krisen jeglicher Aussicht auf einen Weltstaat weit voraus sind. Es kommt weniger auf die Größe eines Gemeinwesens an als darauf, ob es als Commonwealth verfasst ist. Wenn es gelingt, eine freie Gemeinschaft gleichberechtigter Menschen auf der Grundlage einer nichtdestruktiven Wirtschaft zu schaffen, dann sind auch die Aussichten für die Entstehung einer internationalen Gemeinschaft solcher Commonwealths gut."
Purdys Buch ist ein Augenöffner. Es hilft uns, jenes Land besser zu begreifen, das uns immer wieder vor Rätsel stellt, und gibt wertvolle Denkanstöße für die Gestaltung eines globalen Miteinanders. In "Die Welt und wir" gießt Purdy kompromisslose Argumentation und feinsinnigen Humor in elegante Sprache, die Frank Jakubzik sorgfältig ins Deutsche übertragen hat. Eine aufrüttelnde und großartige Lektüre.
Jedediah Purdy: "Die Welt und wir - Politik im Anthropozän"
aus dem Englischen von Frank Jakubzik
Suhrkamp Verlag, Berlin. 187 Seiten, 18 Euro.
aus dem Englischen von Frank Jakubzik
Suhrkamp Verlag, Berlin. 187 Seiten, 18 Euro.