Gerner: Frau Reding, wie viel Sprachen sprechen Sie?
Reding: Eine ganze Menge, so wie jeder Luxemburger das eben tut, weil wir ja eine spezifische Sprachsituation in Luxemburg haben. Ich spreche das Luxemburgische, das meine Muttersprache ist, dann das Deutsche und das Französische, das wir in Luxemburg ab sechs, sieben Jahren lernen, so dass alle kleinen Luxemburger dreisprachig sind. Dann haben wir ja noch diese vielen Immigrantenkinder; die sprechen noch ihre Immigration, ihre nationale Sprache, ihre Muttersprache, also entweder das Italienische oder das Portugiesische. Dann lernen wir im Alter von zwölf Jahren alle Englisch. Darüber hinaus können wir noch eine oder zwei zusätzliche Sprachen hinzulernen, so dass wenn jemand in Luxemburg die Sekundarschule verlässt er mindestens fünf Sprachen beherrscht.
Gerner: Ist das auch die Anzahl der Sprachen, die Sie sprechen?
Reding: Ich spreche noch ein oder zwei mehr, aber das ist nicht so wichtig. Was ich will ist, dass alle kleinen Europäer das tun, was Luxemburger ihnen vordemonstrieren, nämlich dass es möglich ist, neben seiner Muttersprache noch mindestens zwei Fremdsprachen zu beherrschen. Das ist aber nur möglich, wenn man diesen Unterricht in sehr frühen Jahren anfängt. Ich möchte, dass diese Idee sich im europäischen Jahr der Sprachen durchsetzt.
Gerner: Eine Muttersprache plus zwei Fremdsprachen sind Ihr Ziel. Wie wollen Sie das erreichen?
Reding: Ganz einfach, dass den kleinen Europäern in der öffentlichen und in der privaten Schule ab sechs Jahre Sprachunterricht gegeben wird, denn in dem Alter lernt man die Sprache noch spielend. Dann ist es sehr viel einfacher, das zu erlernen. Nachher wenn man größer ist lernt man die Sprachen nicht mehr so mit dem Herzen, sondern viel mehr mit dem Kopf. Dann wird es schwieriger. Also im frühen Alter anfangen, von Kindesbeinen an, und dann klappt es schon.
Gerner: Woher kommt es, dass in Kindergärten und Grundschulen noch nicht selbstverständlich Fremdsprachen gelehrt werden?
Reding: Weil man vielleicht noch nicht verstanden hat, wie wichtig es ist, dass gerade diese Fremdsprachen erlernt werden, gerade wenn ich diese Statistiken sehe, die Sie angesprochen haben. Die Menschen können nur zur Hälfte in Europa eine Fremdsprache reden. 71 Prozent sagen aber, wir würden gerne eine Fremdsprache lernen, und 90 Prozent der Eltern sagen, es ist wichtig für unsere Kinder, eine Fremdsprache zu lernen. Also zwischen der Realität, der Wirklichkeit, wie es gemacht wird, und den Wünschen der Europäer klaffen Welten, und diese Welten möchte ich überbrücken.
Gerner: Machen dann alte Sprachen wie Griechisch und Latein noch einen Sinn?
Reding: Selbstverständlich macht das einen Sinn. Ich kann Ihnen selbst meinen Fall erklären. Ich habe das Italienische selbst gelernt aufgrund von Französisch- und von Lateinkenntnissen. Wenn man eine Sprache in einem Sprachkreis beherrscht, ist es ja so viel einfacher, eine zweite und eine dritte hinzuzulernen.
Gerner: Wenn Sie zwei Fremdsprachen fordern zusätzlich zur Muttersprache, bedeutet dies Englisch plus eine andere Sprache, oder kann man sich heute erlauben, ohne Englisch auszukommen?
Reding: Deshalb habe ich ja gesagt zwei Fremdsprachen, weil wir genau wissen, dass das Englische sich irgendwie zur lingua franca entwickelt hat. Es ist realistisch zu wissen, dass ganz einfach Englisch als erste Fremdsprache auf der Tagesordnung steht, aber Englisch allein genügt nicht. Was mich immer schockiert ist zum Beispiel, dass man nicht mehr die Sprache des Nachbarn in den Regionen lernt, zum Beispiel dass die kleinen Deutschen nicht mehr unbedingt das Französische lernen und die kleinen Franzosen nicht mehr unbedingt das Deutsche in Grenzregionen. Wenn wir aber das Europa der Regionen aufbauen wollen - und das müssen wir in nächster Zukunft aufbauen -, dann ist es unerlässlich, dass in Grenzregionen die Sprache des Nachbarn gelehrt wird.
Gerner: Wir haben in der Statistik von der Fremdsprachenunlust der Briten gehört. Wo würden Sie die Deutschen einordnen, sprachfleißig oder sprachfaul?
Reding: Die Deutschen halten sich in der Mitte. Nur muß ich etwas sagen, was in den Statistiken interessant ist. Wenn man die Deutschen nämlich gefragt hat, ob sie finden, dass ihr Lernangebot für Sprachen den Bedürfnissen entspricht, haben nur 42 Prozent mit ja geantwortet. Das heißt fast 60 Prozent sind der Meinung, dass der Sprachunterricht nicht nur in den Schulen, aber auch im Angebot außerhalb der Schulen verbessert werden müsste.
Gerner: Angesichts der Vorliebe für das Englisch die Frage: Wird die bevorstehende Osterweiterung der EU andere Sprachen mehr in den Vordergrund bringen, etwa das Deutsche?
Reding: Das muß man wirklich sehen. Ich glaube schon, wenn ich davon rede, dass man die Sprache des Nachbarn lernen sollte. Wenn ich dann die Osterweiterung sehe und die Nachbarn Deutschlands betrachte, dann wäre es ja notwendig, dass die Polen zum Beispiel Deutsch lernen, weil ihr Nachbar eben Deutschland ist. Man muß sehen, wie sich das entwickelt. Ich rechne aber damit, dass wir in die Richtung gehen, dass alle offiziellen Sprachen, alle Landessprachen respektiert werden und im Lernangebot angeboten werden.
Gerner: Sie haben eben, als sie vom Modell Luxemburg sprachen, das Wort Immigration benutzt. Ist Einwanderung prinzipiell etwas Positives für mehr Sprachen?
Reding: Einwanderung tut sich ja dann, wenn es notwendig ist. Man sollte ja unterscheiden zwischen Asyl aus politischen Gründen, das ja limitiert ist, und Einwanderung aus wirtschaftlichen Gründen. Wenn die Einwanderung aus wirtschaftlichen Gründen akzeptiert wird und gewollt wird, dann muß man auch Konsequenzen daraus ziehen. Dann muß selbstverständlich diese Mehrsprachigkeit gefördert werden. Man muß die Einwanderer auf das Leben in ihrem neuen Land vorbereiten. Man muß ihnen aber auch die Möglichkeit geben, im Sinne des Respekts aller Muttersprachen ihre Sprache weiter zu hegen und zu pflegen.
Gerner: Frau Reding, in Frankreich gibt es so etwas wie ein staatliches Reinheitsgebot für die Sprache. In Deutschland dagegen werden mehr Anglizismen im Alltag benutzt. So wird in der deutschen Wirtschaft etwa outgesourct und dergleichen mehr. Wie sollte man mit der Muttersprache umgehen?
Reding: Ohne Komplexe. Eine Sprache ist ja nicht ein fixiertes Element, was sich überhaupt nicht mehr ausdehnt. Ganz im Gegenteil! Eine Sprache ist etwas Lebendiges, das sich ändert. Die Sprache sollte man ändern, ohne hinzugehen und sie zu verstümmeln. Einer gesunden Aufnahme von anderen Wörtern würde ich mich nicht widersetzen. Eine Verstümmelung der Sprache, das wäre schade!
Gerner: Frau Reding, in welcher Sprache ist der Satz "ich liebe Dich" am schönsten?
Reding: In der Muttersprache immer, oder in der Sprache desjenigen, an den man diese Worte richtet.
Gerner: Die EU-Kommissarin für Bildung war das, Viviane Reding. - Vielen Dank dafür nach Brüssel!
Link: Interview als RealAudio