Allein die Bühne von Olaf Altmann ist ein Pfund, mit dem sich wuchern lässt: eine monumentale goldene Wand, und in der Mitte – ein klaffendes Loch, ein Höllenschlund, und auch ein Hamsterrad, das sich drehen kann, rasend rotieren; innen drin: der reiche Jedermann, der sich zum Crescendo der anschwellenden Klangkulisse von Komponist Sven Kaiser immer atemloser abstrampeln muss, um Schritte zu halten; einer, der sich dem Turbokapitalismus verschrieben hat, und nun zu Tode hetzt.
Die Öffnung ist aber auch ein schwarzes Loch, hinter dem das Nichts lauert, und zugleich ein Geburtskanal, in den Regisseur Stefan Bachmann das Ensemble der Inszenierung zu Beginn hineinzwängt, nackt wie die ersten Menschen, die gerade das Licht der Welt erblicken. Die Schauspielerinnen und Schauspieler tragen dabei hautenge, hautfarbene Ganzkörper-Überzüge. Ein langer Bart macht dann Oliver Stokowski zu Gottvater, der hier zugleich Jedermanns armer Nachbar ist, und in der Version von Ferdinand Schmalz ein Flüchtling dazu; eine goldene Weste und glänzende Schuhe verwandeln Markus Hering in den Titelhelden.
Teuflisch gute Gesellschaft
Und so werden alle nach und nach durch Accessoires und Kostüme zu den Stückfiguren, bilden gemeinsam aber immer auch die "teuflisch gute Gesellschaft", zu der Schmalz den Teufel, Jedermanns guten Gesellen und die Tischgesellschaft fusioniert hat, die sich am Ende zur schwarz-gewandeten Trauergemeinde formiert, davor aber in Glitzer-Outfits zu Technobeats tanzt, verschanzt hinter einem Zaun, der sie vor dem Elend der Welt schützt. Kein Fest ohne Festung, heißt es bei Ferdinand Schmalz.
Der reiche Jedermann ist bei Schmalz ein knallharter Kapitalist von heute, der die Welt mit all ihrem Elend nur durch die Scheiben seiner Limousine wahrnimmt. Doch obwohl in den Dialogen immer wieder gänzlich unpoetisch von "Investment", "Analysten" oder "Kleinanlegern" die Rede ist, handelt es sich bei diesem "Jedermann 2.0" keineswegs um eine platte Aktualisierung. Dagegen steht allein schon die Sprache von Ferdinand Schmalz. Sie ist melodisch und rhythmisiert, und Stefan Bachmann begreift den Text daher als Partitur. Er inszeniert das Stück streckenweise als fulminante Sprechoper.
Kluge Überschreibung
Autor und Regisseur gelingt es außerdem, die allegorische Ebene der Vorlage zu erhalten. Es gibt den Tod als Sensenfrau und Teufelshörnchen, ja selbst die Guten Werke treten auf, nur dass sie sich hier als "Charity" vorstellen. Ferdinand Schmalz hat den Jedermann einerseits konsequent ins heute fortgeschrieben, andererseits gibt er dem Stoff eine andere Richtung. Bei Hugo von Hofmannsthal ist Jedermanns Anbetung des Götzen Mammon ein Problem auf dem Weg in ein Leben nach dem Tod. Bei Schmalz geht es eher um das Leben davor. "Das Leben schmeckt nach nichts ohne den Tod", heißt es einmal bei ihm. So wirft er die Frage nach einem reichen Leben im Hier und Jetzt auf, das sich nicht primär durch materiellen Wohlstand definiert. Hauptdarsteller Markus Hering ist übrigens der Mann von Bettina Hering, der amtierenden Schauspiel-Chefin der Salzburger Festspiele, die im vergangenen Sommer ein wenig überzeugendes Inszenierungs-Update des Hofmannsthal-Klassikers gezeigt haben. In zwei Jahren gilt es in Salzburg 100 Jahre "Jedermann" auf dem Domplatz zum Feiern. Würde Bettina Hering den abgenutzten Hofmannsthal-Text durch diese kluge Überschreibung von Ferdinand Schmalz ersetzen – es wäre todesmutig. Aber auch die goldrichtige Entscheidung. Zu befürchten ist allerdings, dass Salzburg von Hofmannsthals "Jedermann" für ebenso alternativlos hält, wie die Welt derzeit den Kapitalismus.