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"Jedermann" trifft Popkultur

Am 1. Dezember 1911 wurde Hugo von Hofmannsthals Bühnenwerk "Jedermann" uraufgeführt. Wie ein verspätetes Geburtstagsgeschenk wirkt da ein Film, in dem sich Regisseur Hannes Rossacher mit dem "Jedermann" auf ganz ungewöhnliche und neuartige Weise auseinandersetzt.

Von Kerstin Peetz | 09.01.2012
    Gottlos, arrogant, habgierig. Hofmannsthals "Jedermann" ist nicht gerade ein Sympathieträger.

    Seit über 90 Jahren gehört "Jedermann" zu Salzburg wie Mozart und die Nockerln. Vor der imposanten Kulisse des Doms versammeln die Inszenierungen der Sommerfestspiele das Who is Who der deutschsprachigen Theaterbühnen, in letzter Zeit aber auch zunehmend Film- und Fernsehprominenz. Wer für die Buhlschaft, den Tod oder erst recht für die Titelrolle engagiert wird, darf das getrost als einen Höhepunkt seiner Laufbahn empfinden – schon allein wegen des hohen Popularitätswerts der Festspiele.

    Will Quadflieg, Curd Jürgens, Maximillian Schell, Klaus Maria Brandauer, Gert Voss, Ulrich Tukur und viele andere – aus einzelnen Sequenzen der zahllosen Fernsehaufzeichnungen hat Regisseur Hannes Rossacher ein Puzzle zusammengeschnitten. Das Ergebnis ist eine Komplettfassung des Jedermann als eine Art Zeitreise durch die Salzburger Aufführungsgeschichte. Hans Theessink hat dazu einen blueslastigen Soundtrack beigesteuert.

    Die Schnitttechnik in diesem Film ist aufwendig und kunstvoll: Jeder Szenenübergang erinnert an einen Mini-Stummfilm, in dem der Bildschnitt dem Groove der Musik folgt. Der Mix der unterschiedlichen Aufführungen setzt auf Dynamik: Mal wechseln Szenerie und Darsteller innerhalb eines einzigen Dialog-Satzes und es reihen sich frühe Schwarzweiß- und spätere Farbaufnahmen kurz getaktet aneinander. Dann wieder stammt ein ganzer Dialog nur aus einer Produktion.

    Diesen Rhythmus unterstreicht Regisseur Rossacher wirkungsvoll durch Überblendungen von Ton und Bild oder durch Zwischenschnitte, die Impressionen aus Salzburg zeigen.

    Mit dem Titel "Jedermann Remixed" sucht Hannes Rossacher bewusst die Nähe zur Popkultur, denn der Film überträgt die Bildästhetik von Videoclips à la MTV auf die große Form. Dabei entsteht eine Collage, die keine weitere Inszenierung sein will, sondern eine am Verlauf des Stücks orientierte, künstlerisch hoch ambitionierte Dokumentation. Als zusätzliche Ebene kommentiert Hans Theessinks Soundtrack die einzelnen Szenen: Zum Beispiel, wenn Johnny Cashs "When a man comes around" den Auftritt des Todes begleitet und Nina Simones "Sinnerman" als Leitmotiv für den Sünder Jedermann fungiert. All diese Songs hat der Bluesmusiker Theessink für den Film neu eingespielt und durch Eigenkompositionen ergänzt.

    Wer an Theatergeschichte interessiert ist, erlebt in diesem Film den Wandel, dem Hofmannsthals bekanntestes Stück in puncto Diktion, Kulissen, Kostüme und auch Bühnenaction unterliegt.
    Besonders reizvoll ist es, wenn die Grenzen der Schauspieler-Generationen verschwimmen und etwa Curd Jürgens und Veronica Ferres in einen Dialog treten.

    Leuten, die mit dem Stück bislang noch nicht in Berührung gekommen sind, verschafft die DVD einen ungewöhnlichen und großartigen Einstieg. Denn Rossachers Jedermann-Remix ist ein gelungenes Experiment, das Kunst und Dokumentation auf neuartige Weise ineinanderfließen lässt.