Dirk-Oliver Heckmann: Seit Wochen bereits berichten wir immer wieder aus dem Jemen, dem Vormarsch der Huthi-Milizen dort. Zunächst hatten sie die Hauptstadt Sanaa erobert. Präsident Hadi, der ergriff die Flucht. Dann rückten sie weiter Richtung Süden vor. Heute Nacht wird gemeldet, Saudi-Arabien hat mit einigen verbündeten Golfstaaten militärisch eingegriffen. Zugeschaltet ist uns dazu der Nahost-Experte Michael Lüders. Guten Tag, Herr Lüders.
Michael Lüders: Schönen guten Tag! Hallo.
Heckmann: Herr Lüders, die Huthi-Milizen rücken immer weiter vor. Nicht jeder weiß, wie diese Milizen einzuordnen sind. Sind das einfach nur islamische Milizen oder Terroristen, vergleichbar mit dem Islamischen Staat?
Lüders: Bislang sind es keine Terroristen, sondern schiitische Milizionäre, die versuchen, die Macht zu erobern von den sunnitischen Herrschern. Es ist einmal mehr ein Konflikt, wie wir ihn auch im Irak und in Syrien beobachten können: Verschiedene ethnische und religiöse Gruppen, die aufeinander eindreschen und unfähig zu sein scheinen, bestehende machtpolitische Differenzen friedlich zu lösen. Dieser Konflikt hat also noch sehr viel Potenzial in Richtung Eskalation, denn es ist völlig klar, dass Saudi-Arabien sich militärisch massiv engagieren wird im Jemen, kann den Krieg dort aber nicht gewinnen, allein wegen der Topografie nicht, ein sehr unwegsames Gelände, ideal für Guerilla-Kriegsführung, und gleichzeitig sind hier Millionen von Menschen im Jemen bedroht von Hunger, von Arbeitslosigkeit und von Wassermangel.
"Hunderttausende jemenitischer Gastarbeiter in Saudi-Arabien"
Heckmann: Saudi-Arabien kann den Krieg nicht gewinnen, sagen Sie. Dennoch versucht Saudi-Arabien, dort Einfluss zu nehmen. Ist das eine gute oder eine schlechte Nachricht?
Lüders: Es ist keine gute Idee. Es gab schon einmal ein arabisches Land, das in den 1960er-Jahren versucht hat, seinen Willen der jemenitischen Bevölkerung aufzuzwingen, oder gemäß der eigenen Strategie die Politik dort zu ordnen. Das war Ägypten unter Gamal Abdel Nasser. Es gab dann einen dreijährigen Krieg Anfang der 1960er-Jahre und im Ergebnis ist Ägypten darüber fast zerbrochen und der Krieg ging zuungunsten Ägyptens aus. Saudi-Arabien hat natürlich andere militärische und finanzielle Ressourcen, aber es leben diese Huthi - eine schiitische Sekte - ja nicht allein auf der jemenitischen Seite, sondern auch auf der saudischen Seite, und es arbeiten Hunderttausende jemenitischer Gastarbeiter in Saudi-Arabien. Das ist also ein sehr gravierender Konflikt. Und auch der Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten, verkörpert von Saudi-Arabien als Schutzmacht der Sunniten und Iran als Schutzmacht der Schiiten, wird sich zuspitzen, denn die Schiiten haben natürlich nicht vergessen, dass Saudi-Arabien schon einmal gegen Schiiten vorgegangen ist, nämlich in Bahrain 2011, wo die schiitische Bevölkerungsmehrheit sich gegen das dortige sunnitische Königshaus erhoben hat und mit Hilfe saudischer Panzer aus deutscher Produktion wurde dieser Aufstand dann niedergeschlagen.
Heckmann: Das Ziel der militärischen Operation ist es ja erklärtermaßen, den Präsidenten Hadi wieder ins Amt zu hieven. Ist das überhaupt eine realistische Vorstellung?
Lüders: Nein, das ist nicht realistisch. Der Zug ist gewissermaßen abgefahren. Ali Abdullah Saleh, der über 30 Jahre lang diktatorisch den Jemen regiert hat, hat dieses Land vor allem regiert, indem er den einzigen Devisenbringer des Landes, nämlich die Erdöleinnahmen, verwendet hat, um die Loyalität miteinander rivalisierender Stämme zu kaufen und auf sich einzuschwören. Das Dilemma ist, dass diese Öleinkünfte seit etwa fünf Jahren kontinuierlich zurückgegangen sind. Die Ölvorkommen im Süden des Jemen sind mittlerweile erschöpft, der Jemen ist de facto bankrott. Es gibt kein Geld mehr zu verteilen und auch keine Loyalitäten zu kaufen, und jetzt entbrennt hier ein Machtkampf, der eigentlich in dieser Form gar nicht hätte entbrennen müssen, denn Ali Abdullah Saleh, der alte Diktator, hat sich immer geweigert, mit den Huthi-Rebellen, die ja schon seit 20 Jahren einen Guerilla-Krieg führen gegen die Zentralmacht, Kompromisse zu schließen. Er hat sie bombardieren lassen, bekämpfen lassen, und jetzt haben die Huthi-Rebellen Oberwasser und sie rächen sich jetzt für Jahrzehnte der Unterdrückung.
"Einen Flächenbrand wird es wohl erst einmal nicht geben"
Heckmann: Iran unterstützt die Huthi-Milizen, Saudi-Arabien steht auf der Seite des gewählten Präsidenten Hadi. Inwieweit ist das Ganze ein Stellvertreterkrieg und wie groß ist die Gefahr eines Flächenbrandes?
Lüders: Einen Flächenbrand wird es wohl erst einmal nicht geben. Der Iran wird natürlich nicht glücklich sein über diese Entwicklung. Er unterstützt die Huthi-Rebellen, aber doch sehr gemäßigt. Und der Iran wird auch nicht so töricht sein, massiv militärisch dort zu intervenieren. Aber man kann einen solchen Krieg natürlich auch durch Intervention von außen, durch Waffenlieferungen und dergleichen, über Jahre hinweg am Kochen halten, und das kann eigentlich nicht im Interesse Saudi-Arabiens liegen. Saudi-Arabien ist noch ein vergleichsweise stabiler Staat, gemessen an dem, was im Irak und in Syrien passiert und jetzt im Jemen, aber dieser Konflikt hat das Potenzial, überzugreifen auf Saudi-Arabien, weil wie erwähnt Huthis auch in Saudi-Arabien im Süden leben und es viele jemenitische Gastarbeiter gibt. Also es ist ein Spiel mit dem Feuer. Der neue saudische König Salman wollte zeigen, dass er Stärke bereit ist anzuwenden. Das hat er nunmehr geleistet. Sein Sohn gleichen Namens, der Verteidigungsminister ist, sie beide zusammen vertreten die Hardliner-Fraktion innerhalb des saudischen Establishments. Sie setzen jetzt auf Gewalt. Das kann aber schiefgehen und dann kann auch in Saudi-Arabien die Lunte anfangen zu brennen.
Heckmann: Derzeit laufen ja Verhandlungen mit dem Iran über das iranische Atomprogramm. Dass der Iran jetzt die Huthi-Rebellen unterstützt - das haben wir ja schon mehrfach erwähnt -, sollte das Einfluss haben auf die Entscheidung, ein solches Abkommen abzuschließen, ja oder nein?
Lüders: Nein, denn die Atomverhandlungen drehen sich ausschließlich um den atomaren Konflikt mit Blick auf das iranische Atomprogramm. Alle regionalen Konflikte, darunter auch der in Syrien, sind von den Verhandlungsparteien bislang ausgenommen worden - aus gutem Grund.
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