Hisham versucht den Ramadan möglichst so wie jedes Jahr zu begehen – und doch ist alles anders.
Die Luftangriffe der von Saudi-Arabien geführten Koalition haben auch in den ersten Tagen des heiligen Fastenmonats nicht nachgelassen. Hisham hat etliche Einschläge ganz in der Nähe gehört. Manchmal war die Druckwelle der Explosion auch in seiner Wohnung zu spüren.
In den ersten Tagen des Ramadan kommen üblicherweise abends die Großfamilien zusammen, um gemeinsam das Fasten zu brechen. Eltern, Großeltern, Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen, sagt Hisham. Diesmal seien sie am ersten Abend nur zu fünft gewesen.
"Viele meiner Verwandten konnten nicht zu mir kommen, weil es kein Benzin gibt. Sie wohnen im Norden von Sanaa und ich wohne im Süden der Hauptstadt. Deshalb waren beim Fastenbrechen nur meine Frau, meine beiden Kinder, mein Bruder und ich, nicht wie sonst die ganze Familie."
Hisham ist 36. Er hat im Ausland studiert. In der Hauptstadt Sanaa gebe es nur noch alle paar Tage Strom, sagt er über den Internettelefondienst Skype, immer nur für ein paar Stunden. Auf seinem Profilbild ist ein schlanker Mann mit schmalem Gesicht zu sehen. Ganz traditionell trägt er ein weißes Tuch um den Kopf gewickelt. Überhaupt fehle es seit gut zwei Monaten an allem, sagt Hisham, seit eine Allianz unter der Führung Saudi-Arabiens Luftangriffe gegen die Huthi-Rebellen im Jemen fliegt und die Flughäfen und Häfen des Landes blockiert.
"Die Supermärkte in Sanaa sind leer, und die Dinge, die es noch zu kaufen gibt, sind doppelt so teuer wie vorher. Essen, Medikamente, Treibstoff kommen nicht mehr ins Land. Darunter leiden die Menschen. Wir leben im Krieg, aber die Blockade und die damit verbundene Wirtschaftskrise treffen die Menschen noch härter als die Raketen."
UN: 21 der 26 Millionen Menschen im Jemen auf Hilfe angewiesen
Bereits vor den gewaltsamen Kämpfen im Jemen wurden nach Angaben von Hilfsorganisationen rund 80 Prozent der Lebensmittel importiert. Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass inzwischen rund 21 Millionen der insgesamt 26 Millionen Jemeniten auf Hilfe angewiesen sind. Gerade Grundnahrungsmittel wie Mehl zum Brot backen, sind teuer geworden. Vielerorts fehlt der Diesel, um die Mühlen zu betreiben – wie in Aden im Süden des Jemen. Tausende Kinder im Land seien bereits unterernährt, berichten die Vereinten Nationen.
Hisham hat Verwandte in Aden. In der Stadt liefern sich die Huthi-Rebellen und mit ihnen verbündete Soldaten einen Häuserkampf mit den Anhängern des amtierenden Präsidenten Hadi. Seit Tagen hat Hisham nicht mit seinen Verwandten gesprochen. Am liebsten wäre es ihm, wenn sie von dort fliehen. Doch er schränkt das gleich wieder ein – zu gefährlich in der stark umkämpften Stadt.
"Wir erreichen unsere Verwandten kaum noch. Dort, wo sie wohnen, ist das Telefonnetz zusammengebrochen. In Sanaa geht es uns schlecht, aber in Aden ist es noch schlimmer. Es ist mehr als 40 Grad heiß. Die Luftfeuchtigkeit beträgt 70 Prozent. Es gibt keinen Strom, keine Klimaanlagen, nicht einmal sauberes Wasser oder etwas zu essen. Und das im Ramadan."
In Aden sind etliche Menschen an Denguefieber und Malaria erkrankt. Auch aus anderen Landesteilen werden erste Fälle gemeldet. 5000 sollen es inzwischen sein. Überall fehlen Medikamente und Ärzte, die Kranke und Verletzte behandeln könnten. In den Straßen liegt der Müll. Trinkwasser ist Mangelware.
"Ich habe keine Hoffnung, aber am Ende hängt es alles von Gott ab."
Mit gelben Kanistern stehen die Menschen in Sanaa Schlange, um aus einem Tank sauberes Wasser abzufüllen und nach Hause zu tragen. Ihre Wasserspeicher sind leer, denn der Diesel für die Pumpen ist aufgebraucht. Kaum einer kann noch einen Generator betreiben. Deshalb hofft Hisham weiter auf eine baldige Feuerpause und darauf, dass die Blockade der Häfen aufgehoben wird, damit dringend benötigter Diesel und Lebensmittel ins Land kommen. An eine schnelle politische Lösung glaubt er nicht, aber am Ende hänge alles von Gott ab.
"Ich habe keine Hoffnung, aber am Ende hängt es alles von Gott ab."
Und noch etwas ist diesen Ramadan anders: Hisham ist bislang nicht zum Gebet in der Moschee gewesen. Am Mittwoch, dem Vorabend des Ramadan, waren gleich mehrere mit Sprengstoff beladene Autos in Sanaa explodiert – auch vor Moscheen. Mindestens zwei Menschen starben, mehr als 60 wurden verletzt. In einem Video im Internet bekannte sich die Terrororganisation, die sich selbst Islamischer Staat nennt, zu dem Anschlag.
"Nach den Anschlägen vom Mittwoch fürchten sich viele davor, die Moscheen zu besuchen. Freunde von mir sind in die Moschee gegangen. Sie sagten, dort seien Leute gewesen, aber nicht so viel wie sonst im Ramadan. Jetzt fürchten wir nicht nur die Luftschläge, sondern auch Sprengstoffanschläge vonseiten des IS."
Der IS profitiere vom Chaos im Land, sagt Hisham, ebenso wie die Terroristen von Al-Kaida, die im Jemen aktiv sind. Wie er sich die Zukunft vorstellt – Hisham schweigt. Trotzdem will er sein Land nicht verlassen. Zu viele kluge Köpfe seien bereits gegangen, Kollegen, Freunde, Verwandte.