Im Bürgerkrieg im Jemen hat die Gewalt zuletzt wieder zugenommen. Friedliche Lösungen scheinen in weiter Ferne - auch weil der Konflikt häufig als reiner Stellvertreterkrieg zwischen Riad und Teheran gesehen wird, obwohl seine Wurzeln viel weiter zurückreichen.
Wer kämpft im Jemen wofür?
2014 eroberten Rebellen aus dem Nordwesten des Landes, nach dem führenden Clan Huthis genannt, die jemenitische Hauptstadt Sanaa. Der Konflikt an der Südspitze der arabischen Halbinsel hatte aber bereits mindestens zehn Jahre zuvor begonnen. 2004 eskalierten die Spannungen zwischen den Huthi-Rebellen, einer vor allem von der Minderheit der Zaiditen getragenen Bewegung im Nordwesten des Landes, die der Regierung Diskriminierung und Benachteiligung vorwarf. Der bereits seit den 70er-Jahren regierende Präsident Ali Abdullah Saleh witterte Separatismus und reagierte brutal. Hunderte Huthis landeten im Gefängnis, das Stammesoberhaupt Hussein al-Huthi wurde getötet. Die Rebellenmiliz der Huthis, die sich selbst “Ansar Allah” (Partisanen Gottes) nennt, setzte daraufhin auf Guerilla-Taktiken.
Mit ihrer Strategie überdauerten die Huthi-Kämpfer Saleh, der in Folge des Arabischen Frühlings 2012 gestürzt wurde. 2014 marschierten die mittlerweile mutmaßlich vom Iran unterstützten Huthi-Kämpfer ohne großen Widerstand in die Hauptstadt Sanaa ein. Salehs Nachfolger, Abed Rabbo Mansur Hadi, musste 2015 ins Exil nach Saudi-Arabien fliehen.
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Daneben agieren in dem Land weitere Gruppen. Zu mehreren Angriffen auf Gebiete in Saudi-Arabien und den VAE bekannte sich die bislang weniger bekannte Gruppe “Alwiyat al-Waad al-Haq” (Die Brigaden des gerechten Rufs). Laut der US-Denkfabrik Washington Institute for Near East Politics könnte es sich bei der Gruppe um einen Ableger der pro-iranischen Miliz Kataib Hisbollah aus dem Irak handeln.
Im Süden des Landes sind seit 2017 Separatisten des sogenannten Südübergangsrates (STC) aktiv, die sich für eine Unabhängigkeit des bis 1990 souveränen Südjemens einsetzen. Heute stehen sie offiziell auf Seiten der Regierung. Diese Anti-Huthi-Koalition ist jedoch fragil. Im April 2020 erklärte der STC seine Autonomie, lieferte sich Gefechte mit Regierungstruppen und besetze Ministerin in Aden, wohin die Regierung nach dem Fall von Sanaa umgezogen war. Wenige Monate später zog die Gruppe ihre Erklärung im Gegenzug für eine Beteiligung an der Regierung von Präsident Mansur Hadi jedoch wieder zurück.
Außerdem gibt es im Jemen Ableger des Terrornetzwerks Al Kaida sowie des Islamischen Staates. Das militärische Kräfteverhältnis ist komplex und hängt zudem häufig nicht nur von der Ausrüstung, sondern auch von wechselnden politischen Allianzen und der Kampfmoral ab.
Wer unterstützt wen?
Mit den Jahren haben sich zunehmend die Regionalmächte Iran und Saudi Arabien sowie deren Verbündete in den Konflikt eingemischt. Im März 2015, wenige Monate nachdem die Huthis die Hauptstadt Sanaa eingenommen hatten, begannen Kampfjets einer von Riad geführten Militärkoalition damit, Ziele in von der Huthi-Miliz kontrollierten Landesteilen zu bombardieren. Die Vereinigten Arabischen Emirate, Kuwait, Bahrain und Katar unterstützten die Angriffe. Saudi Arabien berief sich darauf, die international anerkannte Regierung von Mansur Hadi zu stützen. Tatsächlich sah Riad wohl vor allem die Bedrohung durch die Machtübernahme einer mit Teheran verbündeten Miliz an seiner Südgrenze.
Der Iran sieht die Huthis als Teil der “Achse des Widerstands“ gegen Saudi Arabien und Israel, zu der auch die Hisbollah im Libanon, schiitische Milizen im Irak sowie das Regime in Syrien gehören. Offiziell hält sich Teheran aber bedeckt. Tatsächlich schätzen verschiedene Experten die Verbindung zwischen der iranischen Führung und den Huthis schwächer ein als zu vergleichbaren Gruppen. Dafür spricht zum einen, dass die Huthis die Unterstützung aus dem Iran erst spät annahmen. Die Kooperation mit Teheran begann 2011 und wurde erst 2014 enger.
Hinzu kommt, dass die Huthis Zaiditen sind. Formell gehören sie damit zum schiitischen Islam, dennoch passen sie nicht eindeutig in eines der häufig beschriebenen Lager der arabischen Welt, die oft in Sunniten und Schiiten unterteilt wird. Was etwa zentrale Glaubensfragen angeht, stehen die Zaiditen dem sunnitischen Islam näher als anderen schiitischen Glaubensrichtungen. Im Jemen machen die Zaiditen rund ein Drittel der Bevölkerung aus und leben hauptsächlich im Nordwesten. Rund die Hälfte der Jemeniten sind Sunniten.
Auch gibt es laut der Stiftung Wissenschaft und Politik Anzeichen dafür, dass der Einfluss Teherans auf die Huthis begrenzt ist. Die Aufständischen handeln demnach wesentlich eigenständiger als etwa die Hisbollah im Libanon. Das sei zuletzt angesichts der zunehmenden Angriffe auf Saudi-Arabien und die VAE deutlich geworden, die im Widerspruch zu jüngsten Bemühungen aus Teheran stünden, den Konflikt zu deeskalieren.
Auch die USA reagierten auf die jüngsten Raketen- und Drohnenangriffe auf die VAE und verlegten Anfang des Jahres Kampfflugzeuge und ein Kriegsschiff nach Abu Dhabi, die bei der Abwehr von Huthi-Raketen helfen sollen. Washington hat sich an dem Konflikt bisher vor allem durch logistische Unterstützung für die saudi-arabische Koalition beteiligt. Direkte Angriffe der USA galten eher örtlichen Ablegern von Terrornetzwerken wie Al-Kaida im Jemen.
Wird der Krieg auf dem Schlachtfeld entschieden?
Die jüngsten Entwicklungen im Jemen haben deutlich gemacht, dass kaum eine Seite den Krieg für sich entscheiden können wird. Die saudi-arabische Militärkoalition hat laut Yemen Data Project seit 2014 mehr als 24.000 Luftangriffe auf Ziele im Jemen geflogen, ohne damit eine Entscheidung herbeizuführen. Während der Konflikt sich zunehmend internationalisiert, entfernt er sich von seinen Ursprüngen, ohne die eine stabile, friedliche Lösung jedoch unwahrscheinlich ist.
Die Wurzeln des Konfliktes reichen dabei weit bis ins 20. Jahrhundert. Bis in die 60er-Jahre hatten jahrhundertelang zaiditische Herrscher im Nordwesten des heutigen Jemen regiert. 1962 kam es zu einem Bürgerkrieg zwischen Royalisten und Republikanern, den die Republikaner für sich entschieden. Dass Saudi-Arabien damals auf Seiten der zaiditischen Royalisten stand, weist ebenfalls darauf hin, dass der Kern des Konfliktes nicht nur in Konfessionen zu suchen ist. Nach dem Ende der Kämpfe rächte sich die Regierung, indem sie manche zaidiitsche Gebiete lange von staatlichen Entwicklungsprogrammen ausschloss. Diese Benachteiligung gab in den 80er-Jahren einer zaiditischen Erneuerungsbewegung Auftrieb, die letztlich die Basis für die Unterstützung des Huthi-Aufstandes in Teilen der jemenitischen Bevölkerung bildete.
Laut Mareike Transfeld von der Freien Universität Berlin hatte der schnelle Vormarsch der Huthis 2014 weniger mit einer iranischen Unterstützung zu tun, sondern damit, dass die Hadi-Regierung in den Augen vieler Jemeniten versagt habe. Viele Menschen hatten gehofft, mit den Huthis könne beispielsweise die Korruption abnehmen. Auch wenn der Krieg mittlerweile sowohl von Saudi-Arabien als auch von den Huthis selbst zu einer schicksalhaften religiösen Auseinandersetzung zwischen Schiiten und Sunniten aufgeblasen werde, seien die Konflikte, die für einen dauerhaften Frieden beigelegt werden müssten, wesentlich komplexer.
Die größten Verlierer: Die Zivilbevölkerung
Am schlimmsten trifft der festgefahrene Konflikt die Zivilbevölkerung. Die Vereinten Nationen sprechen mit Blick auf den Jemen von einer der schlimmsten humanitären Krisen der Welt. Vier von fünf Jemeniten sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, davon elf Millionen Kinder. Fünf Millionen Menschen stünden am Rande einer Hungersnot.
Seit 2014 seien mehr als 200.000 Menschen getötet worden, davon über 100.000 durch indirekte Kriegsursachen wie Hunger und Krankheiten. Im Februar meldete die UNO angesichts der wieder aufflammenden Kämpfe einen neuen Höchststand bei den zivilen Opfern.
Die humanitäre Krise im Jemen spitzt sich zu (22.12.2021)
Doch trotz der humanitären Krise gilt der Jemen-Konflikt weithin als “vergessener Krieg”. Die Zahlen über das menschliche Leid in dem Land bleiben meist nur das: Zahlen. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Das Land ist aus geografischen und politischen Gründen abgeschottet. Es gibt kaum Flüchtlinge, die es bis nach Europa oder überhaupt aus dem Land heraus schaffen und so bleibt das Leid im bitterarmen Jemen oft unter der Wahrnehmungsschwelle in Europa. Die Isolation des Landes ist auch für die humanitäre Hilfe ein Problem: Hilfslieferungen erreichen das Land nur schwer.
Welche Auswege könnte es geben?
Für eine Deeskalation wären Verhandlungen auf internationaler Ebene ebenso nötig wie innerhalb des Jemen. Von Seiten der Vereinten Nationen hat es immer wieder erfolglose Versuche gegeben, die Kriegsparteien an einen Tisch zu bringen. Aktuell gibt es keine Anzeichen für einen baldigen Friedensprozess.
Dafür treffen sich nach Jahren der Funkstille Saudi-Arabien und der Iran seit dem Frühjahr 2021 wieder zu Gesprächen in Bagdad im Irak. Im Februar kündigte Saudi-Arabiens Außenminister Faisal bin Farhan Al-Saud eine weitere Gesprächsrunde an. Es ist unklar, was genau dort verhandelt wird aber es geht dabei auch immer wieder um den Jemen. Die Gespräche könnten einen Weg ebnen, wie sich beide Seiten aus dem festgefahrene Konflikt zurückziehen könnten - ein Schritt ohne den Frieden im Jemen kaum möglich sein wird. Riad und Teheran deuteten jedoch an, dass aktuell kein diplomatischer Durchbruch im Jemen zu erwarten sei.
Neben einer internationalen Einigung braucht der Jemen aber auch einen internen Friedensprozess unter Beteiligung aller wichtigen Bevölkerungsgruppen. Dazu zählen auch die Huthis. Alternativ ist auch eine Anerkennung des militärischen Sieges der Huthis im Nordwesten des Landes und ein Zerfall des Jemens in mehrere kleinere Staaten vorstellbar. Aktuell stehen die Zeichen jedoch auf einer Fortsetzung des festgefahrenen Krieges - mit katastrophalen Folgen für die Menschen im Jemen.