Mit imposanten Bildern will das Unternehmen Nord Stream Eindruck hinterlassen: von modernen Erdgasanlagen in sibirischen Wäldern bis hin zu Meerestieren in der Ostsee. Ein Hochglanzwerbefilm für das gleichnamige Pipeline-Projekt, das russisches Erdgas durchs Meer nach Deutschland transportiert. Der zugleich die ökonomischen Vorteile des Unterfangens sowie dessen vermeintliche Umweltverträglichkeit kundgibt. Und betont, dass Nord Stream ein rein kommerzielles Projekt sei.
Der dänische Investigativjournalist Jens Høvsgaard stellt dies aber in Frage und will einige Hintergründe des Nord-Stream-Projekts offenlegen. Dabei konzentriert sich Høvsgaard vor allem auf die erste Pipeline, die Ende 2011 in Betrieb ging. Wobei er deutlich machen will, welcher Art von Methoden sich Russland bedient habe, um das Projekt zu realisieren:
"Nicht nur in Verbindung mit Nord Stream 2 kam es in vielen Fällen zu regelrecht illegalen Aktionen. Vom ersten Spatenstich an war das Nord-Stream-Projekt von Werten geprägt, die besser in einen Spionagethriller aus der Zeit des Kalten Krieges passen. Die alten Spione bei Nord Stream und Gazprom haben vielleicht Bart und Brille gegen Nadelstreifenanzug und Schlips eingetauscht, doch ihre Arbeitsmethoden haben sie beibehalten."
Bestechung in Schweden nicht nachweisbar
Zu denen gehören laut Høvsgaard Erpressung und Bestechung, was beispielsweise in Schweden funktioniert habe. Das Land gehöre, schreibt Høvsgaard, eigentlich zu denen, "die ihre Umweltflaggen hoch halten" und Nord Stream anfänglich ablehnten – auch auf Gotland, in dessen Nähe die Leitung verlegt werden sollte. So warnte ein prominenter Meeresökologe vor den Risiken für die Naturschutzgebiete der Insel. Als Nord Stream dann aber eine Spende von fast 900.000 Euro für ein Forschungsprojekt anbot, seien die Bedenken des Wissenschaftlers verflogen, führt der Autor aus.
Ähnlich ließ sich demnach die Skepsis des Gotländischen Gemeinderats zerstreuen. Der russische Betreiber der Pipeline habe knapp zehn Millionen Euro für die Modernisierung eines Hafens geboten, um ihn danach als Verladestation nutzen zu können. Das alles rief die Justiz auf den Plan. Doch die ermittelnde Staatsanwältin konnte keine Anklage erheben, schreibt Høvsgaard:
"Obwohl Nord Stream 10,8 Millionen Euro aufgewendet hat, um den Entscheidungsprozess auf Gotland zu beeinflussen, kann sie es weder dem Unternehmen noch der Gemeinde nachweisen. Um wegen Bestechung verurteilt zu werden, muss nachgewiesen werden, dass sich Einzelpersonen haben bestechen lassen. Da dies auf Gotland nicht der Fall ist, wird die Sache hinfällig, denn nach schwedischem Recht ist es nicht möglich, eine ganze Gemeinde zu bestechen."
Schwierige Quellenlage auch zu Dänemark
Weniger mit Bestechung, dafür mit politischem Druck habe Moskau außerdem Høvsgaards Heimatland Dänemark zu einem Ja zu Nord Stream bewegt. Tatsächlich war Kopenhagen im Herbst 2009 der erste Akteur, der die Baugenehmigung für die Gasleitung durch sein eigenes Seegebiet in der Ostsee erteilte. Ein Vorgang, so Høvsgaard, der auffällig intransparent gewesen sei:
"Als Journalist lese ich mehrere Tageszeitungen und verfolge die Nachrichten im Fernsehen und Radio, doch mir war nicht bewusst, viel über Nord Stream gelesen oder gehört zu haben. Und es sollte sich zeigen, dass nicht nur ich die Geschichte übersehen habe."
Diese Geschichte verlief nach Høvsgaards Erkenntnissen so: Wegen Dänemarks scharfer Kritik an Russlands Rolle im Zweiten Tschetschenienkrieg boykottierte Moskau dänische Waren. Das änderte sich erst, als Kopenhagen dem Bau der Nord-Stream-Leitung zustimmte. Zuvor hatte der mittlerweile umbenannte dänische Konzern Dong Energy einen Vertrag mit Russlands Erdgasriesen Gazprom abgeschlossen – der allerdings erst nach der Zulassung der Nord-Stream-Pipeline gültig wurde.
SPD leiste beste Lobbyarbeit für russische Standpunkte
So detailreich Høvsgaard über Dänemarks Rolle beim Thema Nord Stream referiert, so offenbart dieser Abschnitt auch Schwächen, die sich mitunter wiederholen. Inwieweit bei Kopenhagens Zustimmung zur Pipeline auch Korruption eine Rolle gespielt hat, wird trotz Andeutungen nicht klar. Das dürfte auch an Høvsgaards Schwierigkeiten etwa bei der Einsicht von Akten liegen, die an vielen Stellen geschwärzt gewesen seien. Er beruft sich deshalb oft auf Informationen, die, wie er schreibt, zu ihm "durchgesickert" seien. Hin und wieder schweift der Autor auch vom Hauptthema ab. Aufschlussreicher ist dafür eine Aussage mit Bezug auf Deutschland, die speziell eine Partei nicht gut aussehen lässt:
"Die [AfD] hat Nord Stream und Russland zwar volle Loyalität zugesichert [...] dennoch bevorzugen der Kreml und Putin die SPD. Niemand leistet bessere Lobbyarbeit für russische Standpunkte in Deutschland und der EU als die Sozialdemokraten, und niemand tut das besser als der Kreis um den früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder."
Dessen Rolle als vielleicht namhaftester Lobbyist für Nord Stream ist zwar bekannt. Dennoch lohnt sich in Høvsgaards Buch der Blick auf einzelne Aktivitäten Schröders: Wie er noch als Regierungschef der Pipeline von deutscher Seite den Weg ebnete, um später selbst davon zu profitieren. Oder wie er in Schweden und Finnland meist Parteifreunde als Werbeträger für Nord Stream gewann.
Zwar hätte der dänische Autor die osteuropäische Perspektive wie den Gasstreit der Ukraine mit Russland noch vertiefen können. Und selbst wenn er stellenweise etwas zu stark gegen Putin und Schröder polemisiert, ist "Gier, Gas und Geld" ein wichtiger Beitrag zur Debatte um das Pipeline-Projekt. Nicht zuletzt mit Blick auf Nord Stream 2, das die EU zu spalten droht und etwa in der Ukraine mit größter Sorge betrachtet wird. Insofern hat Jens Høvsgaard Recht, wenn er sagt:
"Die Geschichte der Gasleitung ist zu wichtig, um sie nicht zu erzählen."
Jens Høvsgaard: "Gier, Gas und Geld. Wie Deutschland mit Nord Stream Europas Zukunft riskiert",
Europa Verlag, 327 Seiten, 22 Euro.
Europa Verlag, 327 Seiten, 22 Euro.