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Jenseits der Hochzeitsglocken (5/5)
Obdachlos in Windsor

Wenn Prinz Harry und Meghan Markle in Windsor heiraten, soll es überall im Ort feierlich zugehen. Ein lokaler Abgeordneter hatte vorgeschlagen, Obdachlose für die Zeit der Festlichkeiten aus dem Dorf zu verbannen. Er erntete Protest - Obdachlosigkeit ist ein landesweites Problem in Großbritannien.

Von Mareike Aden |
    Passanten gehen an einem Obdachlosen auf der High Street in Windsor vorbei
    Umstrittener Vorschlag eines Abgeordneten in Windsor: Obdachlose sollen die Stadt verlassen, wenn Prinz Harry und Meghan Markle dort am 19. Mai ihre Hochzeit feiern (Imago)
    Eine Gruppe russischsprechender Touristen scharrt sich im Zentrum der Kleinstadt Windsor um eine Reiseleiterin. Alle blicken auf das Schloss, das seit dem 11. Jahrhundert auf einem Hügel über der Stadt thront: Schloss Windsor, die einstige Verteidigungsburg, ist heute Residenz der britischen Königsfamilie - eine von vielen. Das vornehme Windsor ist ein Besuchermagnet, auch das Elitecollege Eton befindet sich hier.
    Gerade fährt eine Kutsche des königlichen Haushaltes vorbei – leer, aber die Touristen schauen ihr fasziniert hinterher. In den Schaufenstern der Souvenirläden sind die Gesichter von Prinz Harry und Meghan Markle allgegenwärtig: auf Bechern, Geschirrhandtüchern, als Papiermasken. Direkt vor dem Souvenirladen, unter dem Dach einer Bushaltestelle, der Kontrast zum königlichen Kitschangebot: Zwei Männer hocken auf dem Boden, umgeben von Decken und Schlafsäcken, sie drücken Tabak aus Zigarettenstummeln. Nick, 27 Jahre, übernachtet seit einigen Wochen hier, der 45 Jahre alte Keith schon seit Anfang Januar.
    "Vorher hatte ich ein Zelt im Park, aber Polizei und Bezirksverwaltung haben es mir weggenommen. Ich bin seit sieben Jahren obdachlos. Wenn du erst einmal ganz unten bist, dann bist du für viele Abschaum, eine Unperson, du zählst nicht."
    Windsor Castle
    Das Schloss von Windsor ist ein Besuchermagnet - am 19. Mai findet hier die Trauung von Prinz Harry und Meghan Markle statt (Imago / PA Images)
    Gemeinsamkeit mit den Prinzenbrüdern
    Keith und Nick haben das gleiche Problem: ohne feste Adresse kein Anspruch auf Sozialleistungen, keine Arbeit. Keith ist vor sieben Jahren nach Windsor gekommen, weil er die Kleinstadt gut kennt:
    "Meine Eltern haben früher für das College hier gearbeitet. Beide sind früh gestorben – das hat mich aus der Bahn geworfen, mehrmals war ich wegen Kleinkriminalität im Gefängnis. Das ist nichts, worauf ich stolz bin, aber ich tue, was ich muss, um zu überleben. William und Harry haben ja auch ihre Mutter früh verloren - wer weiß, vielleicht würden wir sogar gut miteinander auskommen. "
    Ein Mann im Rentenalter kommt auf sie zu, er sei ein Einheimischer, sagt er und fragt, warum sie hier seien und bettelten? Ein Streit bricht aus. Der Mann, der sich als Collin vorstellt und seinen Nachnamen nicht sagen will, findet: Obdachlose wie Keith und Nick sollten Windsor verlassen, weil sie das Stadtbild störten. Er sagt, sie sollten notfalls auch Unterkünfte in anderen Städten annehmen.
    "Die allermeisten von denen sind doch gar nicht von hier. Sie kommen wegen der Touristen hierher. Die geben ihnen Geld. Und die königliche Hochzeit zieht diese Leute zusätzlich an. Und es werden dann auch mehr Obdachlose wie diese hier kommen – und sie alle betteln. Sie gehen dort wohin, wo Touristen sind."
    Den landesweit diskutierten, umstrittenen Vorschlag eines Abgeordneten der Bezirksversammlung von Windsor, die Obdachlosen vor der königlichen Hochzeit aus Windsor wegzubringen, begrüßt Collin uneingeschränkt. Die Mehrheit der Bewohner von Windsor sehe es so, sagt er. Es sei für alle das Beste.
    Anlaufstelle für Obdachlose
    Ein paar Minuten Fußweg von der Bushaltestelle und Schloss Windsor entfernt steht die Baptist Chapel: Das grau getünchte Kirchengebäude ist zugleich Hauptquartier des Windsor Homeless Projects, einer gemeinnützigen Organisation, die sich um Obdachlose aus Windsor und Umgebung kümmert.
    Im hinteren Teil der Kirche, in einem Raum mit angrenzender Küche, bereiten einige Freiwillige das Essen vor: Linsencurry mit Reis. Auch Kuchen, Brote und Obst stehen bereit – es sind Spenden von Privatpersonen und ortsansässigen Unternehmen. Zweimal pro Woche, mittwochs und freitags, öffnen sich hier die Türen für jeweils zwei Stunden: Murphy James, ein junger Mann mit hellblondierten kurzen Haaren und tätowierten Armen leitet das Projekt. Er hat das Angebot, das es seit 2009 gibt, erweitert und schon viele Menschen von der Straße geholt.
    "Das Essen gibt es hier am Tresen. Aber die Leute können uns auch wegen anderer Dinge ansprechen. Wir helfen bei der Suche nach Unterkünften. Aber nicht nur das: Wir wollen Obdachlosigkeit vermeiden, kümmern uns um Schuldenberatung und helfen beim Beantragen von Sozialleistungen. Und die Leute können hier duschen – wir waschen und trocknen auch ihre Kleidung. Die meisten sind sehr stolz auf ihre Besitztümer. Ich arbeite wirklich gern hier. "
    Die ersten Gäste trudeln ein – mit etwa 20 rechnen sie heute. "Gäste", so nennen Murphy und die Freiwilligen die Menschen, die zu ihnen kommen. Bis vor sechs Jahren war Murphy selbst obdachlos - und drogensüchtig. Deshalb weiß er ganz genau, wie wichtig Hilfsangebote wie diese sind. Mit seinem Projekt will er für Obdachlose eine Umgebung schaffen, in der sie sich ein wenig wie zu Hause fühlen.
    Murphy James leitet das Windsor Homeless Project und hat schon viele Menschen von der Straße geholt
    Murphy James leitet das Windsor Homeless Project und hat schon viele Menschen von der Straße geholt (Deutschlandradio/ Mareike Aden)
    Versteckte Obdachlosigkeit
    Die Behörden, sagt Murphy, täten nicht genug. Vor allem der britische Staat habe das Problem der Obdachlosigkeit zu lange unterschätzt:
    "Es ist das größte Problem, das wir in Großbritannien haben. Wir gehören zu den größten Wirtschaftsnationen der Welt. In unserem Land sollte niemand gezwungen sein, auf der Straße zu schlafen. Und dann gibt es auch noch die versteckte Obdachlosigkeit: Viele schlagen sich durch von Couch zu Couch, bei Freunden und Familie und ruinieren dadurch eine Beziehung nach der nächsten. Wir haben nicht die leiseste Ahnung, wie viele Menschen versteckt obdachlos sind."
    Keith und Nick, die beiden Männer von der Bushaltestelle vor Schloss Windsor, holen sich heute nur einen Kaffee und ein wenig Obst und Brot, dann verschwinden sie wieder. Vor Kurzem hat Murphy Keith bei Papierkram geholfen, damit er bald wieder Sozialleistungen bekommt.
    Martin hat es (fast) geschafft
    Auf dem Sofa, mit einem Teller Curry auf den Knien, sitzt Martin, 46 Jahre alt und seit Kurzem weg von der Straße:
    "Seit eineinhalb Monaten habe ich eine Unterkunft – das habe ich den Leuten hier zu verdanken. Alkohol war immer mein Problem. Es tut mir gut mit Murphy zu reden. Ich stehe ja noch am Anfang und habe wenig Geld. Hier bekomme ich gebrauchte Kleidung und Essen zum mitnehmen. Ich werde erstmal noch ein oder zweimal die Woche kommen. "
    Wie alle hier hat auch Martin von der Diskussion um die Obdachlosen in Windsor und die königliche Hochzeit gehört – die Äußerungen des Politikers haben ihn verletzt. Er selbst war schon einmal als junger Mann obdachlos, und die vergangenen vier Jahre dann erneut.
    "Dieser Politiker hat doch keine Ahnung wie es ist – er denkt wohl, wir leben gern so und dass wir faul sind und nie ein anderes Leben hatten. Es gibt viele, die nicht verstehen, dass Obdachlosigkeit keine Wahl ist die man trifft."
    Der ehemalige Obdachlose Martin sitzt auf der Couch im Windsor Homeless Project und hält eine Tasse in der Hand
    Martin, 46, ist seit Kurzem weg von der Straße: "Es gibt viele, die nicht verstehen, dass Obdachlosigkeit keine Wahl ist die man trifft", sagt er. (Deutschlandradio/ Mareike Aden)
    Harry und Meghan setzen ein Zeichen
    Doch absurderweise habe das Homeless Project profitiert von der öffentlichen Debatte, wirft Murphy ein. Über die Grenzen von Windsor hinaus hätten viele begonnen, für das Homeless-Project zu spenden oder wollten selbst mithelfen. Sogar Berater der Premierministerin May meldeten sich und wollten von Murphy mehr über seine Arbeit erfahren. Auch deshalb glaubt er, dass die Obdachlosen vermutlich doch während der Hochzeit in Windsor bleiben dürfen.
    Er freut sich, dass zumindest Prinz Harry und Meghan Markle ein Zeichen gesetzt haben: Statt Hochzeitsgeschenken haben sie um Spenden gebeten – ein Teil soll auch an eine nationale Hilfsorganisation für Obdachlose gehen.