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Jenseits von Afrika

In Australien sind Zuwanderer aus dem Sudan die am schnellsten wachsende Einwanderergruppe. Doch das Leben jenseits von Afrika ist für viele sudanesische Flüchtlinge ein Kulturschock, auch weil die australischen Einwanderungsbehörden sie oft einfach sich selbst überlassen.

Von Andreas Stummer |
    Protias Nsengi dachte, seine Familie wäre im Paradies, nach Jahren in einem afrikanischen Flüchtlingslager endlich in Sicherheit,. endlich in Australien. Doch statt seine Freiheit zu feiern, trauert der sudanesische Farmer um seinen Sohn. Der zweijährige Richard war nur 24 Stunden nach seiner Ankunft in Melbourne gestorben. Der Junge litt an einer Infektionskrankheit und brauchte dringend Medizin. Doch der Sozialarbeiter, der die Nsengis betreuen sollte, hatte sie übers Wochenende in ihrer Wohnung allein gelassen. Am Montag war der Junge tot. Die Nsengis konnten selbst keine Hilfe holen: Niemand in der Familie spricht Englisch oder hat je ein Telefon bedient. "Eine Tragödie", sagt Libby Rogerson von der örtlichen Kirchengemeinde. "Neuankömmlinge aus Afrika sind in Australien nur Bürger zweiter Klasse."

    "Das System hat diese Familie im Stich gelassen. Das muss anders werden. Wenn wir uns nicht mehr darum kümmern, Flüchtlingen den Start in ihr neues Leben in unserem Land zu erleichtern, dann sollten wir sie erst gar nicht nach Australien bringen."

    Australien nimmt seit Mitte der 90er Jahre Flüchtlinge aus afrikanischen Staaten auf. Vertriebene aus dem Sudan sind die bei weitem am schnellsten wachsende Volksgruppe im Land. 30.000 Sudanesen konnten bis heute vor Bürgerkrieg, Hungersnöten und nach jahrelangem Flüchtlingselend nach Australien fliehen. Doch vielen geht es wie Rajabu Rashid. Erst einmal angekommen fühlen sie sich in ihrer neuen Heimat von den Behörden allein gelassen.

    "Wer in Australien als Flüchtling ankommt, wird oft einfach sich selbst überlassen. Dir wird gezeigt: Das ist dein Haus, hier schläfst Du, das ist die Waschmaschine, das der Ofen, und hier sind Lebensmittel. Aber wer nicht einmal lesen kann, was auf all diesen Dingen drauf steht, der weiß nicht, was er tun soll."

    Afrikanische Neuankömmlinge in Australien werden nicht vom Einwanderungsministerium, sondern von privaten Sozialeinrichtungen betreut. Doch Geld ist knapp, das Personal überarbeitet. Shirley Close hat nur zwei Tage Zeit, um sudanesischen Familien zu erklären, wie man ein Badezimmer und eine Küche benutzt oder ein Bankkonto eröffnet, meist vergeblich.

    "Sie können weder Verkehrszeichen lesen noch jemanden ansprechen. Telefone und unsere Lebensmittel sind ihnen fremd. Kein Wunder, dass sie unter sich bleiben. Sie wissen nicht, wie man etwas kauft oder Haushaltsgeräte bedient. Den Alltag, den wir für selbstverständlich halten, können sie gar nicht bewältigen."

    Gestrandet im Niemandsland zwischen zwei Kulturen. Der Frust vor allem junger afrikanischer Flüchtlinge entlädt sich in Australiens Großstädten immer öfter in Gewalt.

    Melbourne, Stadtteil Fitzroy: Der idyllische Name "Atherton Gardens" für zwei gesichtslose, neunstöckige Betonklötze täuscht. Jede Nacht verwandeln sudanesische Jugendbanden die Anlage mit Sozialwohnungen in ein Schlachtfeld.

    Aggression und blinde Zerstörungswut: Monica Alieu, die sich um 11 afrikanische Waisenkinder kümmert, kann den Ärger der Jugendlichen nachempfinden. Während des Bürgerkrieges im Sudan kämpften sie um ihr Überleben. Jetzt, als anerkannte Flüchtlinge in Australien, streiten sie um ihren Platz in einer westlichen Gesellschaft, die sie nicht verstehen.

    "Ohne Ausbildung haben diese Jugendlichen auch keine Zukunft. Dazu brauchen wir die Hilfe der Behörden. Aber die Regierung muss uns auch die Freiheit erlauben, unsere Kinder zu disziplinieren, wenn sie von zu Hause weglaufen."

    Ihr traditionelles Leben mussten sie zurücklassen, das in Australien kennen sie nicht. Wie tief diese Kluft für afrikanische Flüchtlingsfamilien oft ist, zeigt der Fall von Wol Deng Mayok. Der Witwer kümmert sich in Melbourne alleine um seine drei Kinder. Seine 14-jährige Tochter aber riss immer wieder aus und begann zu stehlen. Mayok wusste sich nicht anders zu helfen und begann, seine Tochter körperlich zu züchtigen. Als das Sozialamt davon erfuhr, verlor er das Sorgerecht. Seit zwei Jahren hat Mayok sein Kind nicht mehr gesehen.

    "Die australische Regierung muss auf die Familien zugehen. Wir brauchen eine gemeinsame Basis, auf der wir miteinander leben können. Die Jugendlichen wie ihre Eltern müssen so viel wie möglich über ihre neue Heimat lernen, damit wir alle uns besser verstehen."

    Die Mehrzahl der Flüchtlinge aus dem Sudan kann weder lesen noch schreiben, viele sprechen kein Englisch. Nur wenige haben eine Ausbildung oder ein Handwerk erlernt, Jobs sind Mangelware. "Ein Teufelskreis", meint Peter Brown, der Bürgermeister von Fitzroy. Denn von den mehr als 2000 sudanesischen Zuwanderern, die in Melbournes Westen untergebracht sind, haben viele immer wieder mit der Polizei zu tun. Peter Brown glaubt zu viele.

    "Unsoziales Verhalten ist leider an der Tagesordnung, und vor allem die sudanesisch- stämmigen Jugendlichen brechen immer häufiger das Gesetz. Doch die Polizei fasst sie mit Samthandschuhen an. Für mich ist das Teil des Problems. Denn wer oft nur mit leichten Strafen davonkommt, wird nur noch ermutigt."

    Unter dem Druck von Flüchtlingsgruppen hat die australische Regierung jetzt mehr Finanzhilfen für Programme zur Umsiedlung afrikanischer Zuwanderer versprochen, auch für Weiterbildung und Kulturaustausch.

    In Melbourne lädt die Polizeiakademie junge Sudanesen zu Informationstagen ein, um Vorurteile auf beiden Seiten abzubauen. Viele frühere Flüchtlinge helfen als Sozialarbeiter anderen afrikanischen Neuankömmlingen. Zehn Jahre nachdem die ersten Vertriebenen aus dem Sudan in Australien eintrafen, gibt es auch Flüchtlingsschicksale mit Happy End. Tausende haben Jobs gefunden, besuchen Universitäten oder arbeiten als Lehrer und Anwälte. Ajang Biar konnte nicht einmal lesen, als er nach Australien kam. Heute studiert er Medizin. "Ich habe eine zweite Chance bekommen", sagt er, "und die will ich auch nutzen."

    "Die Leute sagen: Ihr seid, wie wir ein Teil von Australien. Ich denke, wir haben uns integriert. Wir fühlen uns als Australier. Es ist jetzt unsere Heimat, in der unsere Freunde und unsere Familien leben. Wir wollen hier bleiben."