Der Klang der Sitar verhallt in die Unendlichkeit, die Kick-Drum stampft einen Techno-Beat: ein Beatles-Klassiker im Remix als euphorisierender Dancefloor-Track. Das Original klingt eher nach psychedelischem Puzzle-Spiel aus Zeitfenstern von gestern, heute, morgen. "Tomorrow Never Knows."
"…Turn off your mind, relax and float downstream / It is not dying, it is not dying / Lay down all thoughts, surrender to the void, / It is shining, it is shining…"
Die spirituelle Klangsuche der Fab Four wird zur transzendentalen Komposition: zerschnitten, geschichtet und geloopt zu einem soghaften Sample-Track. Das Ende des legendären Beatles-Albums "Revolver" aus dem Jahr 1966 und der Anfang interkultureller Popmusik - indische Sounds im westlichen Pop.
Brit-Pop und Techno-Mantra
Kula Shaker haben in den 1990er-Jahren indische Musik in ihrer Spielart des Brit-Pop zum Markenzeichen gemacht. Oder Cornershop mit "Brimful of Asha", im Big-Beat-Remix von Norman Cook alias Fatboy Slim: Platz Eins der UK Single-Charts im Februar 1998. Und fast ein halbes Jahrhundert nach den Beatles veröffentlicht der Londoner DJ und Produzent mit indischen Wurzeln Kieren Hebden alias Four Tet 2015 das 20-minütige Techno-Mantra "Morning Side" mit einem Sample aus einem Bollywood-Soundtrack - Anleihen indischer Musik werden zur markanten Klangfarbe einer betörenden Pop-Nummer. Das Sample-Original findet sich auf einem Bollywood-Soundtrack von 1982, gesungen von Lata Mangeshkar.
Also was fasziniert uns im Westen an indischer Musik? Ist es der Reiz des Exotischen? Oder ist es ein gar eine Art vertonte Transzendenz als popmusikalisches Phänomen? Und was ist das überhaupt: "indische Musik"?
"Indische Musik hat einen sehr eigenen Charakter und ist auch sehr komplex und groß. Es gibt ein riesiges Universum an Musik, was vielleicht für jemanden, der eher westlich musikalisch geprägt ist, eine schöne Reise sein kann: Wenn man das einmal entdeckt, kann man tief da rein reisen", sagt Keshav Purushotham. "Gleichzeitig lernen wir voneinander, von deren Art und Weise zu zählen, dass sie gerne durchzählen. Also: eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben."
Monotonie in der Musik, Wiederholung als Prinzip, hypnotisierend und repetitiv, endloser Zyklus - wie die Wiedergeburt nach dem Tod. Eine Klangerfahrung, die wir in der westlichen Welt aus der Minimal Music kennen.
Yashas Shetty: "Terry Riley oder La Monte Young, auch die bekannteren wie Philip Glass und John Cage. Sie haben alle viel Zeit in Indien verbracht. Das lässt sich in ihrer Musik hören. Das hat, meiner Meinung nach, die westliche Popmusik beeinflusst."
"In Indien steht die Melodie im Zentrum"
Dem Wesen der indischen Musik, dem lässt sich in der südindischen Metropole Bangalore auf Tuchfühlung gehen.
"Ich bin Manasi Prasad, die Direktorin des Museums 'Indian Music Experience'. Die Vision des Museums ist, jedem - aber ganz besonders jungen Menschen - die Diversität der indischen Musik näherzubringen. Von der Tradition bis zum Zeitgenössischen."
Das Museum IME - Indian Music Experience hat 2018 eröffnet, das nach eigenen Angaben erste interaktive Musik-Museum des gesamten Landes. Die Besucher können und sollen aktiv eintauchen in die indische Musikwelt. Doch was ist das überhaupt, die "indische Musik"?
Manasi Prasad: "Es ist sehr schwer, das zu definieren. Natürlich gibt es gewisse Elemente, die grundlegend sind für jegliche Musik aus Indien: Dass sie etwa eine melodische Form der Musik ist, im Vergleich zur westlichen harmonischen. In Indien steht die Melodie im Zentrum und die Instrumente folgen ihr. Prinzipiell unterscheiden wir hier die Klassik und Folk-Musik. All die anderen Genres, wie Bollywood-Musik und die Spielarten moderner Bands, bedienen sich aus diesen zwei ursprünglichen Bereichen und machen daraus etwas Eigenes. Aber darüber werden wir mehr erfahren, wenn wir durch das Museum gehen."
Straßengeräusche und Musik
Im Schatten von Mango-Bäumen. Auf dem zentralen Platz vor dem Eingang des Museums streifen wir durch den sogenannten Soundgarden. Diverse Skulpturen veranschaulichen musikalische Prinzipien. Am Eingang zum Museum selbst müssen wir erst mal durch einen Metalldetektor - Sicherheitscheck. Die Architektur des Gebäudes ist verwinkelt, in schlichtem, grauen Sichtbeton gehalten.
"Das Museum ist in verschiedene Bereiche aufgeteilt. Der erste, überschrieben mit 'zeitgenössischer Ausdruck': Der Raum ist als eine Art indische Straße gestaltet, mit Auto-Rikscha und Straßengeräuschen. Darüber möchten wir, dass der Besucher all die neuen Musikstile aus Indien entdeckt, die insofern indische sind, weil sie indische Texte haben oder mit indischen Instrumenten gespielt werden. Aber sie sind auch kombiniert mit Einflüssen aus aller Welt. Das ist ein Amalgam aus Ost und West. Lassen Sie uns das ein wenig erkunden."
Violine trifft auf Sitar
"West meets East" ist das wegweisende Album des US-amerikanischen Violinisten Yehudi Menuhin und des indischen Sitar-Virtuosen Ravi Shankar betitelt. 1967 erscheint es und gewinnt ein Jahr darauf einen Grammy für das beste Kammermusik-Album. Das erste Mal, dass ein Musiker aus Asien diese Auszeichnung erhält. Ein Pionierwerk des interkulturellen Komponierens. Violine trifft auf Sitar, ein Crossover westlicher Klassik und indischer Spiritualität. Türöffner für die Fusion-Bewegung. Der britische Jazz- und Rock-Gitarrist John McLaughlin gründet 1974 die Band Shakti. Zum ersten Mal überhaupt entsteht eine solche Formation mit ausschließlich südindischen Musikern - wegweisend für die Weltmusik-Bewegung.
Manasi Prasad: "In den 1960er- und 70er-Jahren hat der Westen indische Musik entdeckt, weil viele hier wegen spirituellen Erfahrungen hergekommen sind. Das geht zurück bis zu den Beatles, die nach Rishikesh gereist sind, um bei einem Swami, einem spirituellen Meister, Erleuchtung zu suchen. Dabei ist auch ein Interesse an indischer Musik entstanden. Manche der Musiker, wie zum Beispiel Ravi Shankar, wurden regelrechte Botschafter indischer Musik im Westen, indem sie mit vielen Musikern kollaboriert haben. Das hat den Sound westlicher Musik beeinflusst - wie etwa bei den Beatles mit Ravi Shankar, da taucht dann plötzlich die Sitar in deren Kompositionen auf. In diesem Bereich lernen wir etwas darüber. Da sieht man George Harrison wie er von Ravi Shankar an der Sitar unterrichtet wird."
Shruti, Raga und Tala
Ganz grundlegend wird in Indien zwischen der Musik aus dem Norden des Landes und der aus dem Süden unterschieden. Im Norden: hindustanische Musik. Im Süden: karnatische Musik. Das geht zurück auf kriegerische Auseinandersetzungen gegen Ende des 12. Jahrhunderts. Durch den islamischen Einfluss, der im Norden Indiens stärker als im Süden war, kam es zu einer unterschiedlichen Entwicklung der Musik in Nord- und Südindien, was sich in der seit dem 16. Jahrhundert bestehenden Unterscheidung zwischen hindustanischer und karnatischer Musik zeigt.
"Ganz gleich ob hindustanische oder karnatische Musik, die theoretischen Prinzipien sind die gleichen. Und das sind drei: Man nennt sie Shruti, Raga und Tala. Shruti bezieht sich auf die Tonhöhen, Raga ist die Melodie und Tala ist der Rhythmus."
Shruti, Raga, Tala - Ton, Melodie und Rhythmus. Schon die Kinder bekommen mit der Muttermilch musikalische Früherziehung. Im Museum Indian Music Experience in Bangalore finden täglich Unterrichtskurse statt. Zwischen sechs und zwölf Jahre sind die Schülerinnen und Schüler alt. Die Klassenzimmer sind mit bunten Teppichen ausgelegt. Im Schneidersitz klatschen die Kids den Takt. Eins: Handfläche in Handrücken. Zwei: Handfläche in Handfläche.
"Ich bin Sampagodu Vighnaraja, ich unterrichte karnatischen Gesang hier. Ich bin professioneller Sänger südindischer Lieder. Der Unterschied zum hindustanischen Gesang aus Nordindien liegt in der Art, wie wir mit den Noten umgehen. Ich bin zwar kein hindustanischer Sänger, aber ich kenne die Grundlagen des anderen Systems. Ich kann das mal demonstrieren..."
Sampagodu Vighnaraja singt im Stil der karnatischen Musik
"Die Halbtöne sind hier entscheidend. Da gibt es viele davon."
Im hindustanischen Gesang klingt das, na ja, etwas kantiger.
Sampagodu Vighnaraja singt im Stil der hindustanischen Musik
"Beide Systeme sind einzigartig. Aber es gibt eben Unterschiede. Jedes für sich ist schön."
Musik? Do it yourself!
Im südindischen Bangalore boomt die IT-Branche. In den Medien wird die Metropole immer wieder als das "Silicon Valley Indiens" bezeichnet, in den Technologie-Zentren neu entstandener Viertel am Stadtrand ist das Leben urban und fast schon steril. Auf der anderen Seite ist der Straßenverkehr chaotisch, laut, dreckig. Ein heilloses Durcheinander, scheinbar strukturlos - je nach Perspektive des Betrachters.
"Für mich ist das kein Chaos hier", meint Yashas Shetty, Musiker und Produzent, aus Bangalore: 1978 geboren, graue Strähnen in seinen schulterlangen, wuscheligen Haaren. "Ich fühle mich zum Beispiel in Deutschland nicht wirklich wohl. Weil es da so die Idee eines geordneten Systems gibt."
Die Musik im alltäglichen Leben - auf den Straßen, in den Bars, in den vielgeschossigen Wohnvierteln - ist geprägt von traditionell indischen Sounds bis hin zu modernem bollywoodeskem Charts-Pop. Es gibt aber auch eine experimentelle DIY-Szene: Die Indian Sonic Research Organisation, kurz: ISRO. Ein Musik-Kollektiv, das mit neuen und alten, analogen und digitalen Technologien obskure Instrumente zusammenschraubt.
"Es hat angefangen als ein Kollektiv von Performern im Jahr 2006. Wir bauten unsere eigenen Instrumente, spielten mit ihnen und veranstalteten Workshops."
Eine handflächengroße Elektronik-Platine mit verlöteten, bunten Kondensatoren. An einem Draht baumelt eine 9-Volt-Batterie. Ohne die Leiterplatte zu berühren, steuert Yashas Shetty die Tonhöhe der selbstgebauten Sound-Maschine über einen Sensor - eine Art Theremin.
"Ja, aber ultra-billig. Dritte-Welt-Style. Das ist mehr etwas für Kinder."
Beckett in Bangalore
Ultra-billig, Dritte-Welt-Style, Lo-Fi und DIY, ein simpel selbstgebautes Instrument mit trashigem Sound mitten in der südindischen Megacity Bangalore. Das Klang-Kollektiv ISRO hat auf dem Campus der Kunsthochschule Srishti im nördlichen Stadtteil Yelahanka ihr Musiklabor. Ventilatoren an der Zimmerdecke trotzen der schwülen Hitze. In der Mitte ein Tisch mit Laptops und Lötkolben. Angestaubte Instrumente türmen sich an den Wänden - vom modularen Synthesizer über Oszillatoren bis hin zum ganz analogen Harmonium. Klar: dieser Kasten mit integriertem Blasebalg, ganz wichtig in der spirituellen Musik Indiens. Yashas Shetty tüftelt gerade an einem MIDI-Anschluss für das Harmonium, um es mit dem Computer zu vernetzen.
Das Plätschern einer Wasserstelle oder der Klang von Stacheldraht, wenn man ihn wie eine Gitarrenseite anschlägt: Nach der Bearbeitung am Laptop wird daraus eine Art fernöstliche Musique concrète. Als Tontechniker arbeitet der 32-jährige Sudhir Tatavarti eigentlich an funktionalen Produktionen, im ISRO-Workshop schätzt er das künstlerische Experiment:
"Stellt euch vor, dass jemand auf etwas wartet und vom Warten gelangweilt ist, und immer auf die Uhr schaut und das Ticken hört."
Hat was von Beckett in Bangalore. Überhaupt: Die Indian Sonic Research Organisation macht das Absurde dieser indischen Megacity hörbar. Vom chaotischen System des Straßenverkehrs bis hin zu Naturgeräuschen der Metropole - durch das Mikrofon und die Bearbeitung in Musik-Software erfahren Soundscapes eine fast filmische Qualität, jenseits vom schönen Schein eines Bollywood. Hier verschmelzen völlig verschiedene Klänge zu etwas Neuem, wie damals bei den Beatles. Yashas Shetty hat die bewegten Bilder schon vor seinem inneren Auge:
"Some kind of Zombie-Apocalypse, Sci-Fi."
Mit dem Bus nach Indien
Ortswechsel: Zurück nach Europa, zurück in die Vergangenheit, zurück zu Musik mit analogen Instrumenten. Ein Eintauchen in die bis heute währende Faszination der indischen Musik für westliche Musiker.
"Ich bin die Marja Burchard, ich bin in die Gruppe Embryo reingeboren, 1985, also da gab es die Band sozusagen schon - 1969 ist sie gegründet worden - 16 Jahre. Und ich bin zu einer Zeit reingeboren, wo Embryo sehr viel mit Weltmusik zu tun hatte. Weil Embryo hat ja mit Jazz begonnen, ist dann als Krautrock-Band berühmt geworden, aber ich bin in diese Weltmusik-Zeit reingeboren."
Gut zehn Jahre nach den Beatles macht sich ein Münchner Musik-Pionier auf die Reise nach Indien: 1978 fährt Christian Burchard mit seiner Band Embryo mit dem Bus nach Indien. Es entsteht der Dokumentarfilm "Vagabunden Karawane". Der Filmemacher Werner Penzel begleitet Ende der 1970er-Jahre die Gruppe Embryo auf ihrer acht Monate dauernden Reise mit dem Bus von München bis nach Kalkutta. Embryo zählt damals zu den bekanntesten deutschen Krautrock-Bands und wird zu den Vorreitern des Global-Pop.
"Mein Vater ist ein Vorreiter wie die Beatles gewesen"
Während ihrer musikalischen Abenteuerreise auf dem Landweg lässt sich das Musikkollektiv um den 2018 verstorbenen Christian Burchard von fremden Kulturen und deren Musik inspirieren.
Marja Burchard: "Mein Vater ist genauso ein Vorreiter wie die Beatles gewesen, weil er der erste war, der in den 1970er-Jahren Leuten so etwas gezeigt hat - oder Embryo."
Vieles, was die Bands selbst importiert haben, ist mitunter Indien-Folklore. Eine Aneignung aus Fernost, im Mainstream der Major-Labels verkitscht. Der Sound zum Träumen vom Zauber des Fernen Ostens.
Seit dem Tod ihres Vaters führt Marja Burchard Embryo als Bandleaderin weiter. Ein Besuch in München, kurz vor einer Jam-Session im interkulturellen Begegnungszentrum Köşk. Hier proben Embryo mit ständig wechselnder Besetzung: Die meisten Musiker haben einen Migrationshintergrund. Wer Zeit hat, der kommt. An diesem Tag ist der afghanische Musiker Abdul Samad mit seiner Rubab, einer Schalenhalslaute, zu Gast. Marja Burchard begleitet ihn auf einer Trommel, sie spielen ein indisches Stück:
"Als ich Kind war, waren immer sehr viele Musiker bei uns zu Besuch, vor allem auch indische Musiker, und da habe ich schon von klein auf die Tonleiter gelernt, wie man sie benennt, also sa, re, ga, ma, pa, dha und ni, von einem Tabla-Spieler aus Südindien."
Kompositionen ohne Stilgrenzen
Marjas Vater Christian Burchard hat mit seiner Band Embryo in den letzten 50 Jahren auch Musiker aus Indien mit nach Deutschland gebracht. Einer von ihnen ist Ramesh Shotham aus Chennai. Er lebt und arbeitet in Köln und hat 2018 das Album "Here It Is!" veröffentlicht. Es ist auf auf dem Indie-Label Papercup Records erschienen. Sein 1983 geborener Sohn betreibt es.
"Ich bin Keshav Purushotham, Künstlername Keshavara, und wir befinden uns in Köln, in der Nordstadt, in meiner Wohnung im Agnesviertel. Mein Vater ist indischer Percussionist, macht viel Jazz- und Weltmusik. Der ist damals… Also es gab ja Embryo, die Band, aus München. Und die haben in Indien dann unter anderem auch meinen Vater kennengelernt und zusammen erste musikalische Crossover-Projekte gestartet. In dem Zuge ist dann mein Vater mit nach Europa gekommen. Dann ging das hier auch gerade so los mit Weltmusik, da gab es riesige Festivals in Europa. Dann hat er viel hier gespielt und meine Mutter auch kennengelernt und ist dann auch hier geblieben als Musiker."
Keshavara nennt sich Keshav Purushotham als Musiker. Die indischen Wurzeln sieht man ihm an: akkurat gestutzter Oberlippenbart, hochgestülpte, schwarze Wollmütze. In seinen Kompositionen gibt es stilistisch keine Grenzen: krautig und psychedelisch und funky. Popmusik mit indischen Anklängen im weitesten Sinne.
Von der Musik zum Kabinett der Fantasie
Purushotham: "Genau, also ich benutze viele Samples. Oder ich reise zum Beispiel auch durch Indien mit meinem Field Recorder und nehme Atmosphären auf, oder sogar Straßenmusiker. Es ist für mich schon so ein bisschen die Suche nach den Wurzeln: Wo komme ich eigentlich her? Ich wollte das musikalisch auch verarbeiten."
Hörmann: "Ich sehe schon, hier stehen so ein paar indische…"
Purushotham: "Ja, ich habe nicht viel hier zu Hause, mehr Sachen im Studio. Aber hier ist ein so obskures Instrument. Das ist eine Tabla-Maschine, die die Tabla elektronisch imitiert. Ich kann es mal anschließen."
Hörmann: "Sieht aus wie ein Toaster."
Purushotham: "Ja, oder so ein physikalisches, wissenschaftliches Gerät. Da sind verschiedene Rhythmen drauf. Man kann das Tempo verändern und den Pitch, die Tonart. Diese Maschine ist natürlich eher gebaut, um klassische Instrumente zu begleiten. Und ich verwende es dann gerne irgendwie, nehme es auf und sample es und verwurstle es zu einem Hip-Hop-Beat, oder zu einer ganz anderen Sache."
Purushotham: "Ich habe so einen Gesang-Effekt, der die Stimme verfremdet, und ich bin gerade dabei, so eine Art Show zu planen: 'Kabinett der Fantasie'."
Und die läuft einmal im Monat beim Internetradio "Dublab". Auch da verfremdet er seine Stimme als Moderator mit allerlei comichaften Soundeffekten. "Kabinett der Fantasie": eine Peepshow durch das Pop-Kaleidoskop.
"Das ist so ein imaginärer Ort, den ich gerade kreiere, wo auch verschiedene Charaktere drin vorkommen. Es gibt zum Beispiel meinen Fantasie-Rap-Alias Lil Walter. Der hat dann immer eine sehr hohe Stimme und rappt halt auf Fantasie-Sprache. Da bin ich gerade so ein bisschen am rumexperimentieren."
Kreativität erwächst aus dem Chaos
Das Experimentieren mit indischen Wurzeln im Klang-Labor als Panoptikum der Popmusik: Keshavara macht Songs, die klingen wie die flirrende Fata Morgana eines Flaneurs durch eine indische Metropole. Durch den Sound entstehen Bilder: trockener Staub im zittrigen Neonlicht, verkitschte Seidenhemden mit pastellfarbenen Mustern. Ein Musik-Hybrid, eine transkulturelle Klang-Suche voller imaginärer Seifenblasen, irisierend und blubbernd, in einer fantasierten Bollywood-Ästhetik. Weltmusik 2.0 aus dem Synthesizer!
"Ich habe mich davon inspirieren lassen und verwende gewisse Elemente und versuche, etwas Neues daraus zu kreieren. Also eher wie bei einer chemischen Reaktion. Gar nicht, dass ich das nachspiele oder versuche, indische Musik zu machen."
Das ist es, was indische Musik - ob traditionell oder modern, ob hindustanisch oder karnatisch geprägt, ob in den 60ern oder heute - so reizvoll macht: Aus Sound-Fragmenten entsteigt im Chaos Kreativität. Das Land ist polyphon, es erweitert das Bewusstsein und kreiert einen eigenen Klang.