Umstrittener Fußballprofi Jérôme Boateng
Trotz Gewalt-Vorwürfen zurück zum FC Bayern?

Da dem FC Bayern Innenverteidiger fehlen, erwägen die Münchener eine Verpflichtung von Jérôme Boateng. Der muss sich aber bald wegen gewalttätiger Übergriffe gegen seine Ex-Freundin vor Gericht verantworten. Für den Klub offenbar kein Problem.

Von Maximilian Rieger und Mathias von Lieben | 04.10.2023
Der Fußball-Profi und ehemalige Nationalspieler Jerome Boateng im Gerichtssaal des Landgerichts München I.
Jérôme Boateng (Sven Hoppe / dpa )
Im DFB-Pokalspiel bei Preußen Münster debütierte der gelernte Mittelfeldspieler Leon Goretzka für den FC Bayern München auf der für ihn ungewohnten Position des Innenverteidigers. Die Personaldecke in der Defensive war dünn: Matthijs de Ligt, Dayot Upamecano und Min-jae Kim hatten sich verletzt abgemeldet und fallen teilweise länger aus. Also musste Goretzka ran, der den defensiven Feldversuch beim 4:0-Auswärtssieg seines Teams solide meisterte.
Doch nach der Partie machte er klar, dass die von ihm bekleidete Position kein "langfristiges Projekt" werden solle. Die Bayern-Verantwortlichen machten sich anschließend schnell auf die Suche nach einem möglichen Ersatz. Nach dem Bundesliga-Remis (2:2) in Leipzig stellten sie der Öffentlichkeit einen unerwarteten Trainingsgast vor: Jérôme Boateng, der schon von 2011 bis 2021 für den Verein gespielt hatte, derzeit vereinslos ist und damit sofort zu bekommen wäre.

Fragwürdige Personalie mit gesellschaftspolitischer Relevanz

Eine endgültige Entscheidung ist zwar noch nicht gefallen. Dass er eine ernsthafte Option für die Bayern ist, haben die Verantwortlichen aber bereits hinterlegt: "Wir haben gesehen, dass wir dort eher dünn aufgestellt sind", hatte Sportdirektor Christoph Freund erklärt: "Es wäre seine Rolle, als Back-up die Mannschaft zu unterstützen.“ Dabei wäre seine Rückholaktion eine fragwürdige Personalie mit gesellschaftspolitischer Relevanz.
Zum Hintergrund: Zwei Ex-Freundinnen haben Boateng Körperverletzung vorgeworfen. In einem Fall hatte die Polizei die Ermittlungen eingestellt. Anschließend hatte Boateng in einem Interview schwere Vorwürfe gegen sie erhoben. Daraufhin beging sie 2021 Suizid. Im Fall der anderen Ex-Freundin, Sherin S., zugleich die Mutter der gemeinsamen Zwillinge, hat es in den vergangenen Jahren zwei Gerichtsverfahren gegeben. Boateng soll die Frau in einem Urlaub 2018 geschlagen und beleidigt haben. Sowohl das zuständige Amts- und Landesgericht hatten keine Zweifel an der Schuld Boatengs und haben ihn zu einer Geldstrafe verurteilt.

Strafe für Boateng könnte sich erhöhen

Diese beiden Urteile sind aber Mitte September, wenige Tage vor dem Pokalspiel der Bayern bei Preußen Münster, aufgehoben worden. Der Anwalt von Jérôme Boateng hatte Revision eingelegt. Der Grund: Der Richter am Landgericht hatte einen Bafangenheitsantrag gegen sich selbst abgelehnt. Das war in dieser Form nicht rechtskonform.
Das ist zwar erstmal ein juristischer Sieg für Boateng. Aber auch der Revision von Staatsanwaltschaft und Boatengs Ex-Freundin, die als Nebenklägerin in dem Verfahren auftritt, gab das Revisionsgericht statt. Sie haben gefordert, dass Boateng wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt wird und nicht wegen einfacher Körperverletzung. Insofern könnte sich die Strafe für Boateng in einem weiteren Prozess auch noch erhöhen.

FCB-Sportdirektor Freund: "Ist eine private Geschichte"

Aufgrund der Mängel im Verfahren hat das Oberste Landesgericht den Fall wieder an das Landgericht zurückverwiesen. Er wird jetzt neu aufgerollt. Für den Verein spielen die Vorwürfe offenbar keine große Rolle. Sportdirektor Freund hatte das Interesse am früheren Nationalspieler vor dem Champions-League-Spiel in Kopenhagen verteidigt: „In erster Linie spielen sportliche Überlegungen eine Rolle“, betonte der Österreicher: „Unser Zugang ist dazu, was das Beste für den FC Bayern sportlich ist.“ Das Verfahren gegen Boateng sei „aktuell ausgesetzt und darum ist das seine private Geschichte und kein großes Thema für uns.“ Es gelte die Unschuldsvermutung.
Ähnlich argumentierte auch Bayern-Trainer Thomas Tuchel: "Es gilt ja die Unschuldsvermutung, wenn ein Fall ausgesetzt ist. Weil das auch so ist, haben wir als Fußballklub das Recht, Fußballentscheidungen zu treffen." Man habe das Recht, einen verdienten Spieler wie Boateng mittrainieren zu lassen: „Das muss einfach drin sein!"

Kritik von Opferhilfe-Verein

Der "Weiße Ring", ein gemeinnütziger Verein zur Unterstützung von Kriminalitätsopfern und zur Verhütung von Straftaten, reagierte umgehend auf die Argumentation des Klubs und schrieb: "Nein, lieber FC Bayern, häusliche Gewalt ist keine private Geschichte." Vielmehr sei es ein "massives gesellschaftliches Problem". Allein im Jahr 2022 seien 240.547 Fälle bei der Polizei angezeigt worden. Auch einige Fans lehnen eine mögliche Verpflichtung wegen der Vorwürfe gegen den Weltmeister von 2014 ab.

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Auch mit Blick auf das kürzlich gestartete, neue Awareness-Konzept des FC Bayern ist die Personalie Boateng kritisch zu bewerten. Denn damit sollen sich vor allem Frauen bei Heimspielen sicherer fühlen können. In dem Konzept heißt es unter anderem, dass sich der FC Bayern mit all seinen Spielern für eine Welt positioniere, in der Gewalt keinen Platz habe. Der Club trete jeder Form von Gewalt, sei es seelischer oder körperlicher, entschieden entgegen.

Fall könnte 2024 neu aufgerollt werden

Ob Boateng wirklich zu seinem Ex-Klub zurückkehren wird, soll bis Ende der Woche entschieden werden. Sollte der Prozess wegen Körperverletzung gegen Boateng wie erwartet 2024 neu aufgerollt werden, müsse man die Situation zwar "sicher neu bewerten", sagte Sportdirektor Freund, aber: "Wir können dem nicht vorgreifen. Ich bin kein Jurist und will auch keinem Gericht vorgreifen."