Jérôme Leroy entwirft in "Der Block" eine düstere Zukunftsvision: In den Vorstädten Frankreichs herrscht beinahe so etwas wie Bürgerkrieg. Jede Nacht gehen Bewohner der Banlieues mit arabischem Hintergrund und die überforderte Polizei aufeinander los. Beinahe 800 Menschen sind bereits zu Tode gekommen – das zeigt ein Zähler am Rand der TV-Bildschirme ganz sachlich an, so als gelte es, einen Rekord zu brechen. In dieser Situation gibt das Establishment dem Druck von Rechts nach und bietet dem Patriotischen Block eine Beteiligung an der Regierung an. Die Vorsitzende Agnès Dorgelles verhandelt die ganze Nacht lang, während ihr Mann im Pariser Luxusapartment auf sie wartet. Antoine Maynard ist feinsinniger Intellektueller und Faschist zugleich. Er wird wohl Staatssekretär werden oder Minister. Aber er muss ein Opfer bringen dafür: Sein ungleicher Freund Stanko, brutaler Boss des Sicherheitsdienstes der Partei, muss über die Klinge springen.
"Du weißt, dass genau in diesem Moment, irgendwo in der Stadt, ein paar Männer deinen Freund umbringen wollen. Deinen Bruder. Deinen Kleinen. Oder den, der den Kopf für dich hinhält, wie man früher in Romanen zu sagen pflegte."
"Der Block" ist ein Brocken von einem Roman. 320 Seiten dick, beinah ein Kilo schwer. Ein Thriller in der Tradition des französischen Politkrimis, des eher linken "néopolar". Auch das Thema ist gewichtig, der Anspruch enorm. Er will anhand eines spannungsgeladenen Plots vom Aufstieg der französischen Rechten seit 1983 erzählen, und das historisch korrekt. Zu dieser Mission bekennt sich Jérôme Leroy in seinem eigens für die deutsche Ausgabe geschriebenen Nachwort ausdrücklich. Er habe sich dazu der Form der klassischen Tragödie mit ihrer Einheit von Zeit, Ort und Handlung bedient, sagt er.
Glaubhaft: Proletarier Stanko aus dem verarmten Norden
Tatsächlich lässt der ehemalige Französischlehrer Leroy die beiden Hauptpersonen Stanko und Antoine ein und dieselbe Nacht in ihren jeweiligen Zimmern hocken, doch die lassen fast 40 Jahre französische Geschichte in Rückblenden Revue passieren. Das nimmt den Großteil des Buches ein. Kein besonders eleganter Kniff. Doch so erfährt man, was die beiden unterschiedlichen Männer verbindet, wie die Lust an Gewalt und der Hass auf Linke und Muslime sie zusammengeschweißt haben. Glaubhaft dabei der Proletarier Stanko aus dem verarmten Norden Frankreichs, dessen Vater Selbstmord beging, als er seine Arbeit verlor. Dieses Jugendtrauma habe ihn zum Monster gemacht, reflektiert der altgewordene Schläger, der sogar über so etwas wie Selbstironie verfügt.
"Zwei Jahre lang habe ich einen auf Skin gemacht, und nun jammere ich, weil ich meine Haare verliere."
Stanko wirkt zwar nicht sympathisch, aber authentisch. Auch, weil er in der Ich-Form erzählen darf. Der blonde Antoine dagegen, der trotz seines bürgerlichen Elternhauses seit der Kindheit einen pathologischen Drang zur Gewalt hatte, muss mit sich selbst in der "Du-Form" debattieren. Was in der deutschen Version gestelzt und – schlimmer – immer wieder unfreiwillig komisch wirkt, weil die Übersetzung stur das Imperfekt beibehält.
"Du standst einem ASAB-Kerl gegenüber, der maximal 17 war und ziemlich begriffsstutzig und den du mit einem gezielten Kopfstoß zu Fall brachtest. (...) Dann nahmst du einen von hinten in den Schwitzkasten und benutztest ihn als Schild, bevor du ihm den Schädel zwei Mal gegen die Ecke des Fensterladens knalltest. Er sackte in sich zusammen, und du ließest von ihm ab."
Kreuzung aus Geschichtslektion und Gewaltkrimi
Damit hören die Probleme dieser Kreuzung aus Sachbuch und Schlüsselroman, aus Geschichtslektion und Gewaltkrimi nicht auf. Um keine Empathie aufkommen zu lassen, hat Jérôme Leroy keiner seiner Figuren auch nur ein bisschen Identifikationspotential mitgegeben. Auch dazu bekennt er sich im Nachwort ausdrücklich. Das ist bei diesem Thema und seinem gefährlichen Personal einerseits verständlich, macht das Buch andererseits aber schwer verdaulich. Erst recht für Leserinnen: Frauen kommen ausschließlich als Opfer oder als Sexualobjekte vor, da macht selbst die mächtige Agnès keine Ausnahme. Antoines verlogener Glaubenssatz
"Letztlich bist du wegen der Möse einer Frau Faschist geworden"
wird ad nauseam wiederholt.
Fazit: "Der Block" von Jérôme Leroy ist sicher gut recherchiert und auch gut gemeint. Wer sich nicht zwischen all den Daten, Akronymen und Namen verläuft, lernt bestimmt einiges. Aber ein gutes Thema macht noch keinen guten Roman. Als solcher funktioniert das Buch nicht, denn es krankt an Informationsüberfrachtung und an seiner gewollten Kälte. Mit dem Ergebnis, dass einen das wichtige Thema leider völlig kalt lässt.
Jérôme Leroy: "Der Block"
Aus dem Französischen von Cornelia Wend
Mit einem aktuellen Nachwort des Autors
Edition Nautilus, 320 Seiten, 19,90 Euro
Aus dem Französischen von Cornelia Wend
Mit einem aktuellen Nachwort des Autors
Edition Nautilus, 320 Seiten, 19,90 Euro