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Jerusalem
Die Ruhe auf dem Tempelberg

Nach Wochen voller Unruhen ist auf dem Tempelberg in Jerusalem wieder so etwas Ähnliches wie Normalität eingekehrt. Muslime und Juden machen sich auf zum Berg genau wie Touristen. Im Gespräch mit dem Großmufti der Stadt zeigt sich jedoch, wie ungelöst der Konflikt noch ist.

Von Benjamin Hammer |
    Der Tempelberg mit Felsendom
    Relative Entspanntheit und Ruhe auf dem Tempelberg von Jerusalem (Deutschlandradio / Benjamin Hammer)
    Morgens auf dem Tempelberg. Eine Katze liegt im Schatten unter Zypressen, ein Brunnen plätschert. Der Felsendom, mit seiner goldenen Kuppel, überragt das riesige Areal. Auf der anderen Seite: Die Al-Aksa-Moschee, eines der wichtigsten Heiligtümer des Islam. Haram-asch-Scharif, edles Heiligtum, so heißt der Tempelberg auf Arabisch. Es ist ruhig heute, die Touristenführer flüstern, sobald sie die Gassen der Altstadt von Jerusalem verlassen haben und den Tempelberg betreten. Auf den ersten Blick ein friedlicher, ein beschaulicher Ort.
    Der Baumwollmarkt in der Altstadt von Jerusalem. Ein dunkler Gang unter einem Gewölbe. Händler verkaufen Korane und Gebetsketten. Ganz hinten ein Durchgang, helles Sonnenlicht. Hier befindet sich ein Aufgang zum Tempelberg. Vor dem Zugang stehen israelische Polizisten. Plötzlich taucht in der Nähe der Großmufti von Jerusalem auf. Mohammed Hussein ist der oberste muslimische Geistliche der Stadt.
    "Unsere Wachmänner sind auf dem Berg, unsere Mitarbeiter auch. Die Tore sind offen, die Gläubigen betreten die heiligen Stätten und beten. Man könnte also sagen: Die Lage ist wieder relativ gut."
    Schwerbewaffnete Patrouillen
    Es sind viele israelische Grenzpolizisten in der Stadt. Sie patrouillieren schwerbewaffnet in Vierergruppen und laufen durch die schmalen Gassen des muslimischen Viertels. Manchmal schauen sie auf ihre Smartphones und gucken sich ein Video an. Die Lage ist relativ entspannt. In der Altstadt von Jerusalem hält sich seit Jahren ein fragiles Gleichgewicht. Wenn alles gut läuft, so wie heute, dann kommt es nicht zu Zwischenfällen. Mitte Juli war das anders.
    Damals erschoss eine Gruppe arabischer Israelis vor einem Zugang zum Tempelberg zwei israelische Polizisten. Videoaufnahmen zeigen, was danach geschah: Die Angreifer flüchteten auf den Tempelberg und lieferten sich eine Schießerei mit israelischen Polizisten. Die Angreifer wurden erschossen. Israel stellte nach dem Vorfall Metalldetektoren vor den Zugängen für Muslime auf. Und das löste in Jerusalem eine der schwersten Krisen der vergangenen Jahre aus. Die Muslime weigerten sich, durch die Metalldetektoren zu gehen und beteten zwei Wochen lang auf der Straße. Es kam zu schweren Ausschreitungen. Irgendwann gaben die Israelis nach: Sie entfernten die Metalldetektoren und weitere Sicherheitsvorrichtungen.
    "Ein Areal, das die Last der Geschichte trägt"
    Tomer Persico hat das alles verfolgt. Er lehrt an der Universität von Tel Aviv vergleichende Religionswissenschaft. In Israel würde man Persico einen "religiösen Juden" nennen. Der Tempelberg bedeutet ihm viel.
    "Dieses Areal trägt die Last von so viel Geschichte, wir reden von 2000 Jahren. Damals wurde der zweite jüdische Tempel von den Römern zerstört. 700 später entstand genau hier eines der ersten bedeutenden islamischen Gebäude. Und das führt zu vielen Spannungen. Wir dürfen nicht vergessen: Hier geht es nicht nur um Religion. Der Tempelberg ist enorm aufgeladen mit der israelischen nationalen Identität und gleichzeitig mit der palästinensischen. Beide Seiten beanspruchen hier die Kontrolle."
    Tomer Perisco steht vor einem Einkaufsladen
    "Der Tempelberg ist enorm aufgeladen mit der israelischen nationalen Identität und gleichzeitig mit der palästinensischen", sagt Tomer Perisco. (Deutschlandradio / Benjamin Hammer)
    Ein Berg, der sowohl Juden als auch Muslimen heilig ist. Darüber wollen wir auch mit dem Großmufti von Jerusalem sprechen. Ob der Tempelberg, der Haram-asch-Scharif, auch ein religiöser Ort für die Juden sei, fragen wir ihn.
    "Nein, sagt er. Dies ist ein heiliger Ort nur für die Muslime."
    Aber: Hier stand doch einst der jüdische Tempel. "Nein, da täuschen sie sich. Dieser Ort gehört nur den Muslimen, sagt er. Dann bricht der Großmufti das Interview ab.
    "Jalla. Thank you."
    Unlösbarer Konflikt um den Tempelberg
    In der Wissenschaft herrscht Konsens, dass auf dem Tempelberg ein jüdischer Tempel stand. Der Großmufti von Jerusalem bestreitet das. Seine Äußerungen zeigen, wie unlösbar der Konflikt um den Tempelberg ist. Und wie schnell er wieder eskalieren könnte.
    Der Muezzin ruft zum Mittagsgebet auf dem Haram-asch-Scharif. Und Jerusalem? Arrangiert sich, so gut es geht. Muslime gehen zum Tempelberg. Orthodoxe Juden eilen durch die Gassen in des muslimischen Viertels in Richtung Klagemauer. Die Vierertrupps der israelischen Polizei patrouillieren weiter und zwischen alldem laufen nun auch die Touristen durch die Gassen. Wallied Abu Alawi kennt das seit Jahrzehnten. Er wurde in Jerusalem geboren und betreibt ein kleines Geschäft mit Zigaretten und Getränken, gleich in der Nähe des Löwentors. Auch Abu Alawi betet in der Al-Aksa-Moschee auf dem Tempelberg. "Das sind meine Wurzeln", sagt er. Dass Israel an den Zugängen für Muslime alle neuen Sicherheitsmaßnahmen wieder entfernt hat? Das sei ein Sieg, der die Palästinenser zusammengeschweißt habe.
    Wallied Abu Alawi in seinem Shop
    "Die Lage hier kann bald wieder explodieren, das weiß man nie", meint Abu Alawi (Deutschlandradio / Benjamin Hammer)
    "Das ist alles bedeutsam, aber darum geht es uns in erster Linie gar nicht. Wir Palästinenser wollen frei sein. Die Israelis sollen die Besatzung beenden und Ostjerusalem verlassen. Wir wollen unsere Unabhängigkeit unseren eigenen Staat. Was in Jerusalem geschehen ist, ist jedoch ein erster Schritt: Ein Schritt auf dem Weg zu unserer Freiheit."
    "Dieser Ort ist drei Religionen sehr heilig"
    Abu Alawi sieht das so: Auch Gewalt gegen die israelische Polizei sei ein legitimes Mittel auf dem Weg zu diesem Ziel. Er sagt: Die Lage hier kann bald wieder explodieren, das weiß man nie.
    Der israelische Religionswissenschaftler Tomer Persico hofft, dass es nicht soweit kommt.
    "Es gibt etwas Schönes in Jerusalem. Dieser Ort ist drei Religionen sehr heilig und sie alle müssen zusammenleben. Die Menschen treffen sich auf der Straße, sie kaufen Lebensmittel voneinander. Das ist hier Alltag. Und meistens funktioniert das hier auch."
    Kurz vor Beginn des Mittagsgebets funktioniert es nicht. Ein Mann läuft in einer kurzen Hose in Tarnfarben und Barett auf dem Kopf durch das muslimische Viertel. "Es gibt kein Palästina" steht auf seinem T-Shirt. Es ist offensichtlich: Der Mann will die Muslime provozieren. Er trägt eine riesige blaue Fahne hinter sich her, darauf eine Zeichnung des jüdischen Tempels. Der Mann trägt einen Lautsprecher. Die Musik ist ohrenbetäubend. Der Mann läuft jetzt an einem jungen palästinensischen Ladenbesitzer vorbei. Genau in diesem Moment spuckt der Palästinenser auf den Boden. Der Provokateur lächelt.
    Den Konflikt zu lösen: Das scheint in Jerusalem momentan unmöglich. Ihn anzuheizen, das ist ganz einfach.