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Jerusalem-Frage
"Die Entscheidung wird Gewalt zur Folge haben"

Nahost-Experte Michael Lüders hält die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels für eine grobe Fehlentscheidung von Donald Trump. Dieser Entschluss sei genauso falsch wie das Aufkündigen des Atomabkommens mit dem Iran. "Beide Maßnahmen werden nicht dazu beitragen, die ohnehin schwelenden Konflikte in der Region zu beruhigen", sagt Lüders im Dlf.

Michael Lüders im Gespräch mit Stefan Heinlein |
    Der Nahost-Experte Michael Lüders.
    Michael Lüders: "Trump beugt sich den Forderungen der Großmagnaten, die seinen Wahlkampf unterstützten." (Imago / Viadata)
    Stefan Heinlein: 1967 im Sechs-Tage-Krieg eroberte Israel den Gazastreifen, den Sinai, den Golan, das Westjordanland und am Ende auch Ostjerusalem. 13 Jahre später, 1980 erklärte die Knesset ganz Jerusalem zu Israels ewiger und unteilbarer Hauptstadt – eine Entscheidung, die seither einen Durchbruch in den Verhandlungen mit den Palästinensern erschwerte und blockierte. Eine Entscheidung jedoch auch, die von keinem anderen Staat der Welt bisher anerkannt wurde – bis heute. Am Abend wird Donald Trump Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkennen.
    Schon als gestern die ersten Meldungen aus Washington langsam durchsickerten, ließen die Reaktionen aus der arabischen Welt nicht lange auf sich warten. Die Entscheidung von Donald Trump ist ein Tabubruch und eine Provokation für alle Muslime.
    Am Telefon begrüße ich jetzt den Nahost-Experten Michael Lüders. Guten Tag, Herr Lüders.
    Michael Lüders: Schönen guten Tag, Herr Heinlein.
    Heinlein: Verstehen Sie die Entscheidung von Donald Trump?
    Lüders: In der Sache ist sie nicht rational nachzuvollziehen. Es ist die zweite, doch recht grobe Fehlentscheidung, die er offenkundig trifft, nach der Ankündigung, das Atomabkommen mit dem Iran aufzukündigen oder zumindest darüber nachzudenken. Nun macht er ein zweites Fass auf, die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels und die Verlegung der Botschaft dorthin. Es ist ganz klar, dass beide Maßnahmen nicht dazu beitragen werden, die ohnehin schwelenden Konflikte in der Region zu beruhigen. Sie gießen weiterhin Öl ins Feuer, solche Entscheidungen, und das wird natürlich nicht dazu beitragen, dass die Lage friedlicher wird im Nahen und Mittleren Osten.
    Druck der Großmagnaten
    Heinlein: Nun sind Sie Nahost-Experte und kein US-Experte. Dennoch, Herr Lüders, die Frage: Was ist Ihre Erklärung aus Ihrer Sicht für diesen Schritt von Donald Trump? Steht er unter Druck, unter Einfluss der Evangelikalen beziehungsweise jüdischer Gruppen dort in Washington?
    Lüders: Das wird sicherlich auch eine ganz wesentliche Rolle spielen. Vergessen wir nicht, dass natürlich die Wahlkämpfe in den USA sehr, sehr teuer sind. Der größte singuläre Wahlkampf-Finanzier jemals in der Geschichte der Republikanischen Partei ist Sheldon Adelson, ein Mann, der extrem reich geworden ist durch seine verschiedenen Kasinos, die er in Nevada besitzt, ein Multimilliardär, der den Wahlkampf von Donald Trump mit mehr als 100 Millionen Dollar unterstützt haben soll.
    Er und andere Großmagnaten fordern von der amerikanischen Regierung, von Donald Trump genau das, nämlich Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen und darüber hinaus um jeden Preis zu verhindern, dass es zu der Gründung eines palästinensischen Staates kommt. Es ist interessant, sich auch vor Augen zu führen, dass Donald Trump die Politik in den letzten Wochen und Monaten in dieser Frage seinem Schwiegersohn Jared Kushner überantwortet hat.
    Der hat ein Team aus vier Leuten zusammengestellt. Darunter sind drei orthodoxe Juden und der Botschafter auch der USA in Israel, David Friedman, ein enger Freund der Siedlerbewegung. Sie haben nun diesen Vorschlag unterbreitet, ohne Rücksicht auf die Palästinenser und ohne Rücksicht auch darauf, dass diese Entscheidung die Wiederannäherung zwischen Israel und Saudi-Arabien, die ja sehr bemerkenswert ist, die stattgefunden hat in den letzten Monaten, erst einmal sehr schwierig werden lässt, sich weiter zu gestalten.
    Friedensprozess wenig mehr als eine Farce
    Heinlein: Jetzt, wo die USA, wo Donald Trump sich so eindeutig auf eine Seite geschlagen hat, Herr Lüders, haben sich die USA, hat sich Washington damit endgültig aus dem Spiel genommen als unabhängiger Makler im Nahost-Konflikt?
    Lüders: Ja, das muss man wohl so sehen. Nun muss man fairerweise sagen, dass dieser sogenannte Friedensprozess natürlich auch schon in den vergangenen Jahren wenig mehr war als eine Farce. Man hat an ihm festgehalten, man hat die Illusion eines funktionierenden Friedensprozesses dargeboten. Aber de facto haben ja die israelischen Siedlungen Fakten geschaffen, die die Gründung eines palästinensischen Staates unmöglich machen. Die Siedlungsblöcke sind so gewaltig, dass für das Entstehen eines palästinensischen Staates gar kein Raum mehr gegeben ist. Es wird diesen palästinensischen Staat nicht geben.
    Die israelische Regierung will das nicht. Die Ultranationalisten dort wollen es nicht. Maßgebliche Unterstützer der Politik Israels in den USA wollen das nicht. Die Palästinenser sind die historischen Verlierer in dieser Auseinandersetzung mit Israel. Sie müssen sich mit den Brosamen begnügen, die die Staatengemeinschaft gewillt ist ihnen zu geben, und das hat natürlich gravierende Konsequenzen. Die Europäer, die Europäische Union wird diese Entscheidung der USA natürlich nicht mittragen und die Folge wird sein, dass die Entfremdung zwischen den transatlantischen Partnern zunehmen wird.
    Dringend Lösungen gesucht statt zusätzlicher Provokation
    Heinlein: Sie haben in Ihrer ersten Antwort, Herr Lüders, die Konsequenzen angedeutet, die möglichen Konsequenzen dieser Entscheidung von Donald Trump. Ist das tatsächlich der Funke, der jetzt das Pulverfass Nahost tatsächlich zum Explodieren bringen könnte?
    Lüders: Das wollen wir natürlich nicht hoffen. Aber wenn wir uns die Konflikte in der Region ansehen: Sie können natürlich so auf Dauer nicht weiter bestehen. Egal wie man nun zu der Palästina-Frage im Einzelnen steht, es kann nicht sein, dass auf Dauer die Israelis über die Palästinenser herrschen und diese keinerlei staatliche Perspektive für sich haben. Das wird irgendwann nicht mehr gut gehen. Es wird heute, morgen, übermorgen – wir wissen es nicht – zu gewalttätigen Veränderungen führen.
    Wir haben den ungelösten Konflikt in Syrien. Der Krieg dort geht ja weiter, auch wenn unsere Wahrnehmung jetzt schon weitergewandert ist. Im Irak ist es ebenfalls instabil. Ägypten ist ein Land am Rande des wirtschaftlichen Zusammenbruchs. Saudi-Arabien sucht die Konfrontation mit dem Iran. Es ist eine wirklich sehr fragile Lage und alle diese einzelnen Konflikte bedürften dringend einer Lösung und nicht einer zusätzlichen Provokation.
    Heinlein: Muss man es so eindeutig und so klar sagen, die Entscheidung von Donald Trump, Herr Lüders, wird vielen Menschen das Leben kosten?
    Lüders: Ja! Die Entscheidung eines maßgeblichen Weltpolitikers, aus welchen Gründen auch immer eine Entscheidung zu Gunsten der einen und wider anderer Seiten zu treffen, wird Gewalt grundsätzlich zur Folge haben, und das werden wir jetzt im Nahen Osten sicherlich auch beobachten können. Und das ist eine wirklich nicht erforderliche Maßnahme der USA, die sie jetzt zu diesem Zeitpunkt treffen. Möglicherweise wie gesagt geschuldet innenpolitischen Erwägungen, aber in der Sache für die Region selbst eine fatale Entscheidung, auch für die Israelis selber, die sich jetzt möglicherweise einstellen müssen auf Terror und Gewalt.
    Spannende Entwicklung zwischen Israel und Saudi-Arabien
    Heinlein: In der Vergangenheit haben ja viele arabische Länder, Ägypten, aber auch andere Länder, immer dann, wenn es im Palästina-Konflikt schwierig wurde, ihre Solidarität bekundet mit dem palästinensischen Volk, mit den Brüdern dort in der Region, aber letztendlich nicht viel getan. Warum glauben Sie, dass das diesmal anders sein könnte?
    Lüders: Ja. Grundsätzlich wird kein arabisches Land jetzt für die Palästinenser sich mehr als rhetorisch stark machen. Aber schauen wir uns mal die Wiederannäherung an, die es gegeben hat, oder die generelle Annäherung, die es gegeben hat in den letzten Monaten zwischen Israel und Saudi-Arabien. Es ist ja eine sehr spannende Entwicklung. Beide Länder unterhalten keine diplomatischen Beziehungen und dennoch treffen sich mittlerweile israelische und saudische Offizielle in Genf oder in Washington. Ein hochrangiger israelischer Militär hat kürzlich ein Interview einer saudischen Nachrichtenagentur gegeben.
    Das sind ganz bemerkenswerte Entwicklungen. Es eint beide Länder die Feindschaft, die Gegnerschaft zum Iran, aber Saudi-Arabien versteht sich selber als Hüter der beiden heiligen Stätten in Mekka und Medina und der saudische König kann unmöglich diese Provokation einfach zur Kenntnis nehmen, und das macht es natürlich für ihn sehr schwierig, die Wiederannäherung oder die neue Annäherung an Israel voranzutreiben. Das Ergebnis wird sein, dass Israel sich erst einmal diplomatisch erneut isoliert sieht. Es ist aus saudischer Sicht eine sehr unangenehme Entwicklung, weil man möchte weder Israel noch die USA jetzt vor den Kopf stoßen. Aber was soll der König machen? Er ist gleichzeitig auch den Muslimen in der Welt verpflichtet, die mit dieser Entscheidung natürlich nicht einverstanden sind.
    Radikale Gruppen werden Schwächen nutzen
    Heinlein: Aber dennoch, Herr Lüders, wird die Trump-Entscheidung letztendlich der arabischen Welt nicht ganz gnadenlos ihre eigene Schwäche vor Augen führen, denn niemand kann einen Krieg gegen die USA oder geschweige denn gegen Israel führen?
    Lüders: Ganz genau so ist es und deswegen werden natürlich radikale Gruppierungen sich diese Schwäche der arabischen Staaten zunutze machen und im Namen eines vermeintlich heiligen Krieges oder im Namen irgendeiner Ideologie nun weitere Vorwände finden, um Gewalt auszuüben und Terroranschläge zu verüben, um westliche wirtschaftliche Interessen in der Region zu gefährden und gemäßigte Muslime zu terrorisieren. Das alles ist eine wirklich sehr fatale Entwicklung. Und wie gesagt: Die Lage in der Region ist dermaßen instabil und fragil.
    Es kann auf Dauer so nicht bleiben. Wenn man nicht hier zur Deeskalation beiträgt, kommt es in der Tat – und sei es aus Zufall – aus einem lässlichen Missverständnis heraus zu einer großen Katastrophe, die dann nicht mehr aufzuhalten sein wird. Es wäre wirklich dringend erforderlich, dass die Europäische Union hier klare Kante zeigt und sagt, nein, dieser Politik schließen wir uns nicht an.
    Es ist bemerkenswert, dass Außenminister Gabriel genau in diese Richtung mit sehr klaren, für deutsche Verhältnisse sehr ungewöhnlichen Worten sich geäußert hat, dass die Europäische Union gut berufen und beraten ist, sich neu zu orientieren. Wir können uns nicht länger allein auf die USA als Schutzmacht verlassen. Wir müssen lernen, unsere eigenen Interessen zu definieren, und ich denke, solche Entscheidungen werden dazu beitragen, diesen Vorstellungen von Außenminister Gabriel Vorschub zu leisten.
    Heinlein: Rechnen Sie, dass dauerhaft auch in dieser Frage der Graben zwischen Europa und den USA tiefer werden wird?
    Lüders: Ja, ich denke schon, dass die Einsicht europäischer Politik in die Fehlentscheidungen der Regierung Trump mit jedem Tag wächst, und eine solche Entscheidung wie die heutige trägt dazu bei, wie auch schon die Entscheidung, mit dem Iran erneut die Konfrontation zu suchen. Das ist potenziell wie gesagt eine wirklich gefährliche Entwicklung und ich glaube, den meisten ist die Gefährlichkeit nicht wirklich bewusst, denn sonst würde die Politik sehr viel deutlicher noch reagieren.
    Aber wenn man diese brennenden Lunten nicht austritt, dann kann wirklich die ganze Region in die Luft fliegen, denn die Konflikte sind ja alle untereinander verbunden wie in einem System miteinander kommunizierender Röhren. Jetzt hat man sozusagen den Wasserdruck auf Jerusalem erhöht und nun wird an anderer Stelle in die Region möglicherweise das Wasser heraustreten. Das ist eine wirklich nicht erfreuliche Aussicht.
    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Mittag der Nahost-Experte Michael Lüders. Herr Lüders, ganz herzlichen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Lüders: Vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.