Am 5. Oktober 2011 starb Steve Jobs, Erfinder, Designer, Mitbegründer der Apple Computer Company. In den darauffolgenden Tagen kauft die Autorin und Zeichnerin Jessie Hartland alles, was sie über Steve Jobs finden kann, jedes Buch, jedes Magazin, in dem ein Artikel über Jobs erschienen ist. Sie reist nach Silikon Valley, dorthin, wo er sein ganzes Leben verbracht hat. Sie macht unzählige Fotos und eine Menge Zeichnungen. Denn sie will eine Biografie über Steve Jobs schreiben, eine Biografie in Bildern, eine Graphic Novel:
"Mit einem Bild kann man so viel sagen wie mit tausend Worten."
Genau das ist Jessie Hartlands Technik. Ihre Zeichnungen sind schwarz-weiß, einfach, klar und schnörkellos. Das passt perfekt zu Steve Jobs Denken und Arbeit. Denn Jobs war nicht nur ein Computeringenieur, ein Erfinder, sondern auch ein Ästhet. Er trug stets Turtleneck-Pullover des Designers Issey Miyake. Seine Mac Books sollten ebenso schön wie funktional sein - nichts Überflüssiges. Genauso ist Jessie Hartlands Zeichentechnik. Reduktion pur.
Jessie Hartland hat sich nicht bemüht, besonders schön zu zeichnen
"Schwarz-weiß ist schnell und einfach und reduziert auf den Strich. Schwarz-weiß ist sehr sparsam. Sehr klar, nicht vollgestopft. Das ist es. Ich habe India Tusche und einen sehr kleinen Pinsel benutzt."
Jessie Hartland hat sich nicht bemüht, besonders schön zu zeichnen. Alles soll so wirken, als sei es ganz schnell entstanden. Ihre Zeichnungen sehen aus wie Kinderzeichnungen. Gekritzelt. Unverbessert.
"Ich habe die Zeichnungen nicht besonders ausgearbeitet. Nicht viel Zeit damit verbracht, sie umzuarbeiten. Sie sind einfach im Kopf entstanden. Das ist sehr einfach, sehr spontan."
Diese flüchtigen, hastig aufs Papier geworfenen Zeichnungen scheinen auf den ersten Blick ein Widerspruch zu Steve Jobs, seinem akkuraten Auftreten, seiner akribischen Arbeit zu sein. Auf den zweiten Blick wirken sie wie eine ironische Anmerkung zu dem Mann, der immer alles kontrollieren wollte. Und dem das doch niemals so ganz gelang.
Was aber ist zuerst da gewesen bei ihrer Biografie über Steve Jobs? Die Bilder oder die Worte?
"Die Kunst und die Buchstaben - das ist alles ein einziges Kunstwerk. Was macht das Bild aus? Wie illustriere ich mein eigenes Material? Wie bringe ich die Worte ins Bild? Ich glaube, es hält sich die Waage."
Steve Jobs bricht das College nach nur einem Semester ab. Dann lebt er in einer Kommune, arbeitet auf einer Apfelplantage, wird Vegetarier. Er arbeitet bei einer Computerfirma. Er fährt nach Indien. Wieder zurück in Kalifornien, geht er zu einem Zen Meister. Er meditiert, will ganz in der Gegenwart, im hier und jetzt leben, handeln, denken, empfinden, er will ruhig werden, gelassen, geduldig.
Sie ist Steve Jobs zu nah
Mit einem Freund zusammen entwickelt er einen Homecomputer und gründet in der Garage seiner Eltern eine Firma: Apple. Eine amerikanische Erfolgsgeschichte beginnt. 1985 verlässt Steve Jobs diese Firma im Streit. Jahre später kehrt zurück. Da ist Apple fast bankrott. Er macht aus ihr die wertvollste Firma der Welt.
"Steve Jobs ist wirklich ein Genie. Er hatte das ungewöhnliche Talent, Ingenieur und Designer zugleich zu sein."
Obwohl sie fasziniert von Steve Jobs ist, sieht Jessie Hartland seine Schattenseiten. Seinen Egoismus. Seine Arbeitswut. Er ist ein schwieriger Boss, ein schwieriger Partner, ein schwieriger Vater. Jahrelang erkennt er seine Tochter aus einer früheren Beziehung nicht an. Seine Frau und seine Kinder müssen damit leben, dass die Arbeit stets an erster Stelle steht. Darüber verliert Jessie Hartland kein Wort. Aber eine Zeichnung der Familie Jobs sagt alles:
"Das Baby liegt im Kinderwagen, den seine Frau schiebt. Und er sitzt auf seinem Motorrad, seiner BMW. Rast davon vor dieser Situation, mit der er nicht umgehen kann. Seine Frau und seine Tochter stehen mitten im Rauch, der aus dem Auspuff kommt. Das ist ihm völlig gleichgültig. Man kann wirklich eine Menge sagen mit einem Bild und eine Menge Worte weglassen. Das ist unendlich faszinierend für mich. Solche Bücher könnte ich für den Rest meines Lebens machen."
Steve Jobs ist streng ist zu sich selbst und hart zu seinen Angestellten. Als er nach zwölf Jahren 1997 zurück zu Apple kommt, reduziert die Produktpalette von Apple und entlässt viele Leute. Jessie Hartland hat das passende Bild dazu gezeichnet:
"Er beschneidet einen Apfelbaum. Er wirft das tote Holz weg. Schneidet Zweige mit Äpfeln einfach ab. Er hatte ja auf einer Apfelplantage gearbeitet."
Das klingt nach einem knallharten Geschäftsmann. Auch sonst ist Steve Jobs nicht zimperlich. Er lässt seine iPhones in China anfertigen und erklärt Präsident Obama trotzig, diese Arbeitsplätze kämen eben nicht zurück. Darüber ist aber nicht zu lesen bei Jessie Hartland.
Sie ist Steve Jobs zu nah, ist zu sehr beeindruckt von seinem gigantischen geschäftlichen Erfolg. Auf die oft kritisierten schrecklichen Bedingungen, unter denen die Arbeiter von Apples Zulieferern die iPhones in China anfertigen (Siebentagewoche, Elfstundentag, Redeverbot am Arbeitsplatz) geht sie nicht ein.
"Das ist schrecklich, aber es betrifft ja nicht nur die Firma Apple. Die Arbeitsbedingungen in China sind furchtbar und ich bin traurig, weil so viel außer Landes produziert wird. Wenn mehr in den USA produziert würde, könnte man die Arbeitsbedingungen besser kontrollieren."
Jessie Hartland ist sehr beeindruckt von dem Mann, der Apple gegründet hat und hat viel Verständnis für ihn. Seine Grillen, seine Macken, seine Kälte erklärt sie mit Geschehnissen aus seiner frühesten Kindheit.
Niemand hatte an eine Übersetzung gedacht
Sein Leben lang hat Steve Jobs darunter gelitten, von seinen Eltern, einem jungen Studentenpaar weggeben worden zu sein. Sie waren nicht verheiratet und wollten kein uneheliches Kind. Seine Eltern, die später als verheiratetes Paar eine Tochter bekamen, machten es zur Bedingung, dass er in eine Akademikerfamilie kommen sollte. Aber die Anwaltsfamilie, die Steve Jobs zunächst adoptieren wollte, entschied sich dann doch für ein Mädchen. Er kommt zu einer anderen Familie. Jessie Hartland zeichnet ein rundes Gesicht, das in drei Teile zerfällt:
"Als seine Eltern ihm sagten, dass er adoptiert worden sei, fragte er: Bedeutet das, dass meine wirklichen Eltern mich nicht wollten? Seine Eltern versicherten ihm, dass sie ihn liebten, dass er sehr besonders sei. Aber seine Gefühle waren gespalten. Er fühlte sich verlassen. Er war ein gebrochener Mann. Er konnte seine Vergangenheit nicht mehr abschütteln."
Steve Jobs will der Welt zeigen, dass etwas aus ihm werden kann, obwohl er zurückgewiesen worden ist. Diesen Aspekt hat Jessie Hartland klug und dezent eingearbeitet. Durch Bilder wie das des dreigeteilten Gesichts von Steve Jobs erklärt sie seine Zerrissenheit und seinen daraus resultierenden Hunger nach Erfolg. Sie hat sehr viel hineingepackt in ihre gelungene, unterhaltsame Graphic Novel.
Die amerikanische und die deutsche Ausgabe haben verschiedene Buchstabentypen. Die Originalausgabe ist handgeschrieben von Jessie Hartland. Offenbar hatte niemand daran gedacht, dass die Graphic Novel auch übersetzt werden konnte. Als Anfragen kamen, erarbeitete Jessie Hartland zusammen mit einem kanadischen Grafiker eine Druckschrift aus Jessie Hartlands Buchstaben.
"Ich wünschte, mein Klassenlehrer aus der dritten Klasse könnte mich jetzt sehen. Meine Handschrift war so schrecklich, dass sie mich messy Jessy, chaotische Jessy nannte. Ich bin ganz sicher, dass ich die einzige aus der damaligen Klasse bin, aus deren Handschrift eine Druckschrift gemacht worden ist."
Jessie Hartland: Steve Jobs. Das wahnsinnig geniale Leben des iPhone Erfinders. Eine Comic Biografie. Aus dem Amerikanischen von Ulrike Schimming. Fischer Verlag, 237 Seiten. 16,99 Euro.