Nein, natürlich ist er nicht vergessen!
Deutlich wurde das noch einmal vor zwei Jahren, als sich auf dem Kölner Melatenfriedhof aus Anlass seines 160. Geburtstags drei Männer an seinem kerzengeschmückten Grab versammelten: Georg Austen, Generalsekretär des Bonifatiuswerks, David Tencer, Bischof von Reykjavik und Martin Eyjólfsson, isländischer Botschafter in Berlin:
"Er war so ein Botschafter Islands im besten Sinn des Wortes. Hier in Europa hat er vielen geholfen und war immer bereit, alles zu tun, was er tun konnte."
Als der so Geehrte, der Schriftsteller und Jesuit Jón Svensson vor 75 Jahren - im Oktober 1944 - hier auf dem schlichten Gräberfeld der Kölner Jesuiten seine letzte Ruhe fand, stand wohl niemandem der Sinn nach Blumen, Kerzen und Grabreden. Köln lag in Schutt und Asche und wegen der ständigen Bombenangriffe waren es nur einige wenige Menschen, die Svensson das letzte Geleit geben konnten. Gerd Kreutzer, Skandinavist und Präsident der "Deutsch-Isländischen Gesellschaft" in Köln:
"1944 im Oktober ist er im Keller des Franziskus-Hospitals friedlich eingeschlafen - in hohem Alter. Er war geistig fast schon entrückt und hat die Bombenangriffe praktisch nicht mehr wahrgenommen. Wenn es wackelte und ruckelte, dann hat er geglaubt, er sei auf einem Schiff auf der Reise nach Island."
Aufgewachsen in Freiheit und Natur
Island, das kleine Land am nördlichsten Rand der Welt, war seine Heimat. Die er früh verlassen musste und die ihn doch immer begleitete:
"Abends spiele ich oft leise auf meiner Ziehharmonika. Und wenn dann die Erinnerung wieder auflebt, beginne ich zu schreiben."
Und was er dann schreibt - in einer Art Karl May des Nordens - das begeistert Kinder und Erwachsene in vielen Ländern der Welt: Es sind Geschichten von Freiheit und Abenteuer, von Bootsfahrten und Ausritten, von Eisbärkämpfen, von Bergen und Meer in einem Land zwischen Feuer und Eis. Denn die Abenteuer des Jungen Nonni spielen in Island, und so erfahren die Leser von den Schönheiten, aber auch von den bedrohlichen Naturgewalten dieser Insel hoch im Norden.
Jón Svensson benennt seine literarische Figur und auch sich selbst mit dem Kosenamen, den ihm seine Mutter gab: "Nonni". Nonni, der 1857 in dem kleinen Ort Möðruvellir im Norden Islands zur Welt gekommen ist, verlebt dort eine arme, aber glückliche Kindheit, so Gerd Kreutzer:
"Das Stichwort der Erziehung war: Freiheit. Die Kinder konnten frei in der Natur herumstromern. Nonni hatte ein Pferd. Das hieß Grani. Er hatte auch ein Boot, das heißt: Sie konnten auf dem Eyjafjord rudern gehen oder in die Berge reiten. Das hat Nonni als Freiheit empfunden und als Kinderparadies. Jedenfalls im Rückblick war die Kindheit Nonnis paradiesisch und er hat eigentlich immer versucht, dieser Junge von 12 Jahren zu bleiben. Dieses Kindheitsgemüt ist ihm bis ins hohe Alter geblieben."
Jesuit auf Weltreise
Nach dem frühen Tod des Vaters bekommt Nonnis mittellose Mutter von einem französischen katholischen Geistlichen das Angebot, den begabten Sohn in Frankreich aufs Gymnasium zu schicken. Das bedeutet natürlich, dass der Junge katholisch erzogen werden soll. Sicherlich ein ungewöhnlicher Schritt im traditionell protestantischen Island, sagt Gerd Kreutzer:
"Im Jahre 1000 haben die Isländer durch Thingbeschluss das Christentum angenommen - nicht ganz ohne Druck, denn der norwegische König wollte unbedingt, dass auch die Isländer christlich würden und die Isländer haben dann gesagt: wenn wir die Selbständigkeit erhalten wollen, müssen wir Christen werden, also machen wir das. Das heißt: diese pragmatische Einstellung zur Religion hat sich damals schon gezeigt; und das hat sich bei der Reformation auch gezeigt: eine pragmatische Einstellung zum Glauben, die sich bis in die Gegenwart fortgesetzt hat. Es gibt die isländische Staatskirche; über 90 Prozent der Isländer gehören der evangelischen Kirche an."
Mit 12 Jahren verlässt Svensson die Heimat, geht zunächst nach Dänemark, wo er zum Katholizismus konvertiert und tritt dann in Frankreich in den Jesuitenorden ein. 1890 wird er zum Priester geweiht und ist so der erste isländische katholische Geistliche seit der Reformation. Doch wie passt das zusammen? Ein junger, sehr frei aufgewachsener Mann, der über-dies sagt, dass die Freiheit ihm über alles gehe, tritt in einen Orden ein, der nicht gerade dafür bekannt ist, dass ihn der Freiheitsdrang seiner Mitglieder begeistert? Der stattdessen auf fast soldatische Zucht und strengen Gehorsam setzt?
"Er war mit Leib und Seele Jesuit", so Gerd Kreutzer, "Jesuiten sind ja eigentlich ein Orden der Gegenreformation. Ich stelle mir immer die Frage: Was ist in Nonni vorgegangen, dass er diesem strengen Orden angehört hat? Ich glaube, er hat durch die vielen Vortragsreisen, diese Weltreisen etwas von dieser Freiheit gehabt. Es gibt keinen Jesuiten, der so viel gereist ist wie er."
Glaube und Zuversicht in allen Werken
Es mag vielleicht nicht eine explizit katholische Grundhaltung sein, die später all seine Bücher durchzieht; eine deutlich christliche aber ist es schon:
"Ganz unbedingt! Alles, was er geschrieben hat, ist christlich durch und durch. Ein tiefes Gottvertrauen durchweht alle diese Bücher."
"Wir müssen ausgesehen haben wie echte Schiffbrüchige, so wie wir da saßen, zusammen gekauert, bleich und matt und ganz durchnässt. Es musste bald Hilfe kommen, sonst war es aus mit uns.
"Weißt du was, Nonni? Sollten wir nicht Gott das Gelübde machen - gerade wie der heilige Franz Xaver?"
Wir sammelten uns einen Augenblick und gelobten Gott, wir wollten den heiligen Franz Xaver nachahmen, wenn er uns aus der Gefahr errette.
Während wir so miteinander redeten, glaubten wir auf einmal einen dumpfen Ton in der Ferne zu vernehmen, der immer näher kam. Plötzlich traf es mich wie ein Blitz: "Das ist ein Schiff, das durch den Nebel auf uns zukommt."
"Weißt du was, Nonni? Sollten wir nicht Gott das Gelübde machen - gerade wie der heilige Franz Xaver?"
Wir sammelten uns einen Augenblick und gelobten Gott, wir wollten den heiligen Franz Xaver nachahmen, wenn er uns aus der Gefahr errette.
Während wir so miteinander redeten, glaubten wir auf einmal einen dumpfen Ton in der Ferne zu vernehmen, der immer näher kam. Plötzlich traf es mich wie ein Blitz: "Das ist ein Schiff, das durch den Nebel auf uns zukommt."
Wie hier bei der Beschreibung einer gefährlichen Kanufahrt in dem Band "Nonni und Manni", so durchziehen ein unerschütterlicher Glaube und eine tiefe Zuversicht alle Werke von Jón Svensson. Gepaart sind sie mit einer Erzählkunst, die ihn nicht nur bei der katholischen Jugend zu einem Bestsellerautor machte, fasst Gerd Kreutzer zusammen:
"Er hatte ein natürliches Erzähltalent und das ist sicher vielen Isländern angeboren. Wir erleben das heute noch bei isländischen Autoren, die frei erzählen können. Und das geht zurück bis in die Sagazeit. Jeder Isländer heute kennt die Sagas, und Nonni hat auch die Sagas gekannt und sie sich zum Muster genommen."