Ob zu Hause unter dem Weihnachtsbaum, im Gottesdienst oder beim Krippenspiel: In diesen Tagen wird wieder häufig die Weihnachtsgeschichte vorgelesen oder aufgeführt. Die Erzählung von der Geburt Jesu Christi ist eine Glaubensgeschichte, kein Forschungsbericht, bei dem alle Fakten stimmen. Die historisch-kritische Jesusforschung hingegen untersucht, wer der reale Jesus von Nazareth, der vor über 2000 Jahren geboren wurde, tatsächlich war.
Wie arbeitet die Forschung, um Erkenntnisse über den historischen Jesus zu gewinnen?
Wer das Leben des historischen Jesus erforschen will, kommt an der Bibel nicht vorbei. Die wichtigsten Quellen sind Schriften aus dem Neuen Testament. Neben den vier Evangelien nach Matthäus, Markus, Lukas und Johannes sind auch die Briefe des Apostel Paulus und die Apostelgeschichte zentrale Texte für die historisch-kritische Jesusforschung.
Ansonsten gebe es noch „einige wenige Zeugnisse" bei römischen und einem jüdischen Historiker sowie ein paar verstreute Nachrichten, die sich auswerten ließen, erklärt der evangelische Theologe Wolfgang Reinbold, Professor für das Neue Testament an der Universität Göttingen.
Um mit diesen zentralen Quellen arbeiten zu können, muss man die Sprachen der Bibel beherrschen: das biblische Hebräisch und Altgriechisch. Auch aus diesem Grund sind es vor allem christliche Theologen, die das Leben Jesu erforschen.
Doch wie zuverlässig können Bibeltexte als historische Quelle sein, wenn die Intention der Verfasser womöglich war, Jesus als Sohn Gottes und Messias möglichst gut aussehen zu lassen? Die vier Evangelisten kannten Jesus wahrscheinlich auch nicht persönlich – und erzählen von Dingen, die so wohl nicht stattgefunden haben: etwa, dass Jesus als Kind einer Jungfrau geboren wurde und nach seinem Tod auferstanden ist.
„Man sollte sich grundsätzlich erst mal von der Vorstellung verabschieden, dass historische Werke gewissermaßen ohne Tendenz geschrieben seien. Das sind sie nicht“, betont Wolfgang Reinbold.
„Die großen römischen Historiker haben ihre Bilder, die sie transportieren wollen“, so der Theologe. Und auch bei den Evangelisten müsse man sehr genau hinschauen: Tendenzen hätten alle. Es gebe neben Quellen, in denen die Jesus-Legende hineinwirke, aber auch sehr zuverlässige Überlieferungen.
Immer wieder gibt es in den Quellen allerdings widersprüchliche Angaben zum historischen Jesus. Die evangelische Theologin Annette Merz von der Universität Utrecht deutet das als Zeichen dafür, dass es Jesus wirklich gab. „Bei einer erfundenen Person ist die Biografie immer straight“, sagt die Mitautorin des Standardwerks „Der historische Jesus“.
Was weiß man über die historische Person Jesus?
Zur Geburt von Jesus weiß man heute, dass die Weihnachtsgeschichte und unsere Zeitrechnung – nach Christus – falsche Rahmendaten nahelegen. Der historische Jesus kam nicht in Bethlehem auf die Welt, sondern in Nazareth, mehr als hundert Kilometer von Bethlehem entfernt. Dort ist Jesus vermutlich auch aufgewachsen. Daher spricht man auch von „Jesus von Nazareth“.
Wahrscheinlich wurde er auch etwas früher geboren, als unsere Zeitrechnung suggeriert, nämlich zwischen den Jahren 7 und 4 vor Christus. „Wirklich sicher können wir auch da nicht sein“, schränkt die Theologin Annette Merz ein. Als der Mönch Dionysius Exiguus im 6. Jahrhundert nach Christus versuchte, mit Hilfe der Astronomie das genaue Geburtsjahr Jesu zu bestimmen, sei ein Fehler passiert.
Über die Kindheit und Jugend von Jesus weiß man wenig. Was in der Bibel dazu steht, zählt vor allem zum Reich der Legenden und Erfindungen. Erst mit rund 30 Jahren tritt Jesus in den Quellen wirklich in Erscheinung. Oft heißt es, er sei Zimmermann gewesen – und Jesus war vermutlich auch Handwerker. Wahrscheinlich aber hat er alle Arbeiten ausgeführt, die auf einer Baustelle angefallen. Bis er als Wanderprediger loszog.
Seite an Seite mit Johannes
Zu dieser Zeit waren viele jüdische Wanderprediger unterwegs, um ihre eigene religiöse Botschaft zu verkünden. Jesus, der laut Annette Merz die jüdische Religion und die jüdischen Schriften sehr gut gekannt haben muss, war selbst Anhänger eines anderen Wanderpredigers: von Johannes dem Täufer. Die beiden zogen gemeinsam von Ort zu Ort und sammelten Andere um sich. Vermutlich übernahm Jesus viele Lehren von Johannes. Ein bis drei Jahre zog Jesus als Prediger durch Galiläa und Judäa.
Warum nicht Johannes, sondern Jesus zum christlichen Messias wurde, weiß man nicht. Im Gegensatz zu Johannes sei Jesus aber ein Verbinder und kein Asket gewesen, sagt Annette Merz: Ein "Fresser und Weinsäufer“ sei er genannt worden.
Der Wanderprediger Jesus hatte außerdem Züge eines Revolutionärs. „Die wahrscheinlich radikalste Botschaft von Jesus, auch für unsere Zeit, ist, dass er ganz klar gesagt hat: Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon“, sagt Merz. Wenn er seine Jünger ausgesendet habe, verbot er ihnen, überhaupt Geld mitzunehmen, so die Theologin: „Weil er wollte, dass sie aufeinander und auf die Gemeinschaft, die sie dann aufnimmt, vertrauen. Dass sie auf Gott vertrauen.“
Zentrum von Jesus' Wirken als Wanderprediger war die Stadt Kafarnaum am Nordufer des galiläischen Sees. Von dort aus zog es ihn aus unbekannten Gründen schließlich ins ungefähr 150 Kilometer entfernte Jerusalem, das Zentrum der politischen Macht in Judäa. Der Jerusalemer Tempel war Mittelpunkt der jüdischen Religion – womöglich unternahm Jesus mit seinen Anhängern eine Pilgerreise.
Zur Zeit Jesu war Judäa von den Römern besetzt, aber die jüdische Bevölkerung hatte eine gewisse Selbstverwaltung. Politische und religiöse Eliten waren eng miteinander verwoben. Als Jesus nun als Wanderprediger in Jerusalem auftrat und die bevorstehende Herrschaft Gottes auf Erden verkündete, jubelten ihm viele Menschen zu.
Die jüdischen Eliten fühlten sich durch seine Botschaft allerdings in ihrer Macht bedroht. Sie ließen Jesus sehr wahrscheinlich festnehmen und den Römern übergeben. Pontius Pilatus, der römische Statthalter, verurteilte Jesus als Aufrührer zum Tod. Schließlich wurde Jesus am Kreuz hingerichtet.
Für die Kreuzigung Jesu könnten aber nicht „die Juden“ verantwortlich gemacht werden, betont Annette Merz. Es sei die jüdische Elite gewesen, die Jesus loswerden wollte, nicht das ganze Volk. Andere an die Römer ausgelieferte Propheten seien auch wieder freigelassen worden: „Es ist letztendlich die Entscheidung des Pilatus gewesen, ihn hinzurichten.“
Welchen historischen Kern haben die Geschichten rund um Jesus?
Jesus soll Kranke geheilt haben, Wasser in Wein verwandelt haben und übers Wasser gelaufen sein. Er, der Sohn Gottes, soll als Kind einer Jungfrau geboren worden und nach seinem Tod wieder auferstanden sein. Über Jesus steht in der Bibel vieles, das nach wissenschaftlichen Maßstäben nicht nachvollziehbar ist. Solchen Erzählungen liegt aber durchaus ein historischer Kern zugrunde.
„Es steht außer Frage, dass Jesus Dinge tat an Menschen, die außergewöhnlich waren“, sagt der Theologe Wolfgang Reinbold: „Die Menschen waren davon entsprechend schwer beeindruckt.“ Seine Zeitgenossen hatten keine andere Erklärung – und glaubten daher, Jesus habe Wunder vollbracht. Historisch belegt ist auch, dass viele Menschen schon früh an seine Auferstehung glaubten.
In der Antike sei von nicht wenigen Menschen berichtet worden, dass sie von Göttern abstammen, sagt Reinbold. „Und gelegentlich erzählt man dann auch, sie seien tatsächlich von Jungfrauen geboren worden. Die beiden Berühmtesten sind Alexander der Große und der Philosoph Platon.“
Die Erzählung der Jungfrauengeburt hatte eine bestimmte Funktion, erklärt der Theologe: So habe sich der römische Kaiser Augustus Sohn Gottes genannt, nachdem Caesar ihn adoptiert hatte und seinerseits vergöttlicht worden war. Jesus hingegen habe sich diesen Status nicht erst "erarbeiten" müssen, so Reinbold. Statt nach einer Karriere von einer größeren Autorität zum Sohn Gottes erklärt zu werden, sei er dies durch die Jungfrauengeburt von Anfang an gewesen.
jfr