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Jiddisch lernen

Manche Leute stecken tief im Schlamassel und kriegen dann häufig Zores. Rund 200 Worte aus unserer Umgangssprache haben ihre Wurzeln im Jiddischen, einer Mischung aus Hebräisch, Schlesisch, Bayrisch und Deutsch. Grund genug für Professor Dieter Cherubim den Arbeitskreis für Jiddische Sprache und Kultur an der Uni Göttingen ins Leben zu rufen. Selten zwar sei bei den Studenten die Auseinandersetzung mit der deutschen NS-Zeit ein Motiv, so Cherubim. Doch die Beschäftigung mit jiddischer Kultur hebt auch ihr Verschwinden aus Deutschland ins Bewusstsein.

    Germanistikstudentin Christine Bolle hat ihr Interesse fürs Jiddische im Heiligen Land entdeckt:

    Ich habe ein Jahr in Jerusalem studiert und da dann auch Jiddisch gelernt, dort habe ich es kennen gelernt, und von da an hat es mich auch nicht losgelassen. Das ist einfach eine sehr faszinierende Sprache, eine interessante Kultur, die dahinter steht.

    Inzwischen will sie sogar ihre Examensarbeit über die jiddische Sprache schreiben. Warum Studenten Einführungen ins Jiddische oder Jiddisch-Lektürekurse besuchen, hat unterschiedliche Gründe. Selten ist bei den Studenten die Vergangenheitsbewältigung, die Auseinandersetzung mit der deutschen NS-Zeit ein Motiv. Vielmehr ist es ein Modetrend, erzählt Sprachwissenschaftler Dieter Cherubim:

    Ich denke, dass die Leute so ein bisschen folkloristisches Interesse an Klezmer-Musik und jüdischer Kultur haben, das kann gar nicht schaden, wenn sie sich dann eben auch intensiver damit beschäftigen.

    Bei Lehramtstudentin Insa Lange hat das Hauptseminar Deutsch-Jiddisch einfach gut in ihren Stundenplan gepasst. Außerdem wollte sie eine Wissenslücke stopfen.

    Jiddisch, da fällt mir nur so ein Schlagwort wie Kauderwelsch, Judendeutsch ein, dann ist mir aufgefallen, dass ich nichts darüber sagen kann, das aber auch sehr interessant finde, auch als Teil jüdischer Kultur. Je mehr wir uns damit auseinandersetzen, desto mehr kommen wir uns auch näher, es kann vielleicht eine Versöhnung stattfinden, unter diesem Aspekt.

    In ihrem Seminar waren auch viele ältere Teilnehmer, mit denen sie ins Gespräch gekommen ist.

    Eine Dame war dabei, die schon 70 Jahre alt ist, die konnte dann gleich was dazu sagen. Früher gab's da Kinder in der Nachbarschaft, die dann auch so gesprochen haben, die können einem das dann auch noch lebendiger erzählen, meine Generation kennt das ja nicht mehr.

    Das möchte Insa Lange ändern. Wenn sie erst einmal als Lehrerin an der Schule unterrichtet, will sie auch ihren Schülern Jiddisch beibringen.

    Ich möchte später in der Schule ein, zwei Stunden erzählen, ein paar Wörter vorlesen, wisst ihr eigentlich, das ist Jiddisch, und auch ein paar neue Aspekte auf jüdische Kultur zu werfen, um den Prozess der Versöhnung und des Zusammenlebens voranzutreiben.

    Vor dem zweiten Weltkrieg unterhielten sich mehr als 12 Millionen Juden auf Jiddisch, vor allem im osteuropäischen Schtedl. Heute sind es nur noch sehr wenige. Wer malocht, der arbeitet gerade hart und wer Tacheles redet, der liebt die direkte Auseinandersetzung. Das sind nur zwei Beispiele von rund 200 Worten unserer Umgangssprache, die aus dem Jiddischen stammen. Dieter Cherubim hat mit seinen Kollegen aus der theologischen und philosophischen Fakultät ein eigenes Lehrangebot aufgebaut.

    Wir wollen einfach das Interesse einer alten europäischen Kultursprache, die gleichzeitig eine der spannendsten Kontaktsprachen Europas ist, aufrecht erhalten und vielleicht durch solche Jüdischkurse das Interesse am Jiddischsprechen wieder hier und dort fördern können.

    Die Rechnung scheint aufzugehen, rund 80 Studenten schreiben sich für die Kurse ein und lernen, dass die jüdische Kultur ein wichtiger Bestandteil der europäischen ist. Denn wenn man sich mit der jiddischen Sprache beschäftigt, stößt man automatisch auf Namen von jüdischen Riten und Festtagen wie dem Laubhüttenfest oder Pessah und erfährt so mehr über jüdische Kultur und Religion. Ganz nebenbei werden alte Klischees und Feindbilder begraben, meint Dieter Cherubim. Im Seminar, wenn man mehr über die Menschen weiß, dann sind es Menschen wie Du und ich, dann sieht man eben den Nachbarn, der Jude ist, sieht man eben auch als Nachbarn und nicht als Juden.

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    Arbeitskreis für Jiddische Sprache und Kultur an der Uni Göttingen

    haGalil, zu deutsch Galiläa, ist die wohl umfassendste Internet-Seite zu jüdischen Themen in deutscher Sprache.

    Jiddistik an der Uni Trier. Autorin: Birke Schöpplenberg