Zum Tod von Jimmy Carter
Ein Mann mit Moral

Jimmy Carter galt lange als gescheiterter US-Präsident. 1980 wurde er nach nur einer Amtszeit abgewählt. Doch für sein Engagement danach bekam er den Nobelpreis, sein Ansehen wuchs stetig. Nun ist er mit 100 Jahren gestorben.

    Der frühere Präsident der Vereinigten Staaten, Jimmy Carter, ist auf dem Bild Mitte 90. Er sitzt auf einem Sessel, schaut zur Seite und lacht.
    Jimmy Carter war für sein breites Lächeln und sein unkompliziertes Wesen bekannt: Auch als US-Präsident trug er seine Koffer selbst.Hier in einer Aufnahme von 2018. (Gettyimages / The Washington Post)
    Jimmy Carter – wie sich James Earl Carter Jr. stets nennen ließ – unterschied sich, was seine Herkunft betraf, von den meisten anderen US-Präsidenten der vergangenen Jahrzehnte: Er stammte aus kleinen Verhältnissen. Geboren 1924 in Plains in Georgia, arbeitete sich der Erdnussfarmer hoch bis zum Gouverneur des Bundesstaats - und wurde 1976 zum US-Präsidenten gewählt.

    Knapper Sieg gegen Gerald Ford

    Sein Amt als 39. Präsident der Vereinigten Staaten trat der Demokrat im Januar 1977 an, inmitten einer tiefen Vertrauenskrise in das politische System der USA. Die Watergate-Affäre hatte zwischen 1972 und 1974 das Amt des Präsidenten schwer beschädigt. Auch der Nachfolger von Präsident Richard Nixon, Gerald Ford – beide Republikaner – schaffte es nicht, aus dem Schatten des Skandals zu treten. Dennoch gewann Carter nur knapp gegen Ford.
    Jimmy Carter war einst baptistischer Laienprediger gewesen, und auch als Präsident spielte die Moral für ihn eine große Rolle. Er setzte auf die Tugenden des einfachen, bescheidenen und ehrlichen Mannes vom Land.
    Jimmy Carter, seine Frau Rosalynn und seine Tochter Amy laufen bei der Parade zur Amtseinführung am 20. Januar 1977 umgeben von anderen Personen winkend durch die Straßen von Washington.
    Tag der Amtseinführung: Jimmy, Amy und Rosalynn Carter am 20. Januar 1977 bei der Eröffnungsparade in Washington, D.C. (Getty Images / Newsday LLC)
    Carter stellte die Sicherung und Bewahrung der Menschenrechte ins Zentrum seiner Außenpolitik. Die Idee war, mit wirtschaftlichen und moralischen Anreizen in Entwicklungsländern die Demokratie zu fördern und den Ostblock mit Kooperationen an den Westen zu binden.
    Doch die westlichen Verbündeten in Bonn, Paris und London standen Carters Politik eher ablehnend gegenüber. Sie warfen ihm Führungsschwäche vor und beklagten die Destabilisierung von Regimen etwa in Iran und Nicaragua, außerdem den machtpolitischen Rückzug gegenüber der UdSSR.
    Eine besondere Belastung stellte das SALT-II-Abkommen zur Begrenzung strategischer Atomwaffen 1979 dar. Die Europäer waren besorgt, weil sowjetische atomare Mittelstreckenraketen, die Westeuropa erreichen konnten, ausgeklammert waren. Der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) hielt Carter nicht nur für einen wirtschaftspolitischen Dilettanten, sondern auch für einen unberechenbaren Moralisierer, der die europäischen Interessen nicht verstand.

    Erster Friedensvertrag zwischen Israel und Ägypten

    Doch mit seinem moralischen Anspruch konnte der US-Präsident auch Erfolge verbuchen: Am Feriensitz des Präsidenten in Camp David wurde der Weg für einen ersten Friedensvertrag zwischen Israel und Ägypten bereitet. Ein historischer Schritt, der ohne Carters Vermittlung wohl nicht zustande gekommen wäre. Der Zeitgeschichtler Christian Hacke schreibt:

    Sowohl die Ägypter, als auch die Israelis waren voller Bewunderung für den amerikanischen Präsidenten, der mit starrer Hartnäckigkeit sich mit den winzigsten Details der Probleme beschäftigte, an zahlreichen Diskussionen teilnahm, zuhörte, die Gespräche mit großer Autorität führte und immer wieder neue Vermittlungsvorschläge für beide vorlegte.

    Christian Hacke, Zeithistoriker
    Carter schloss während der Verhandlungen die Presse rigoros aus und sorgte für eine familiäre Atmosphäre, indem auch die Ehefrauen mit einbezogen wurden. Er schaffte es sogar, dass der israelische Falke Menachem Begin in Tränen ausbrach – Carter zeigte ihm Fotos seiner Enkelkinder.

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    Diese Strategie Carters, aber auch hohe finanzielle Leistungen der USA an Israel und Ägypten, führten schließlich zum historischen Händedruck zwischen dem ägyptischen Staatschef Anwar al-Sadat und Menachem Begin.
    Der damalige ägyptische Präsident Anwar as-Sadat (v.l.), US-Präsident Jimmy Carter und der israelische Premierminister Menachem Begin geben sich beim Camp-David-Abkommen 1978 im Stehen zu dritt die Hände. Es sind Mikrofone zu sehen und eine US-Flagge.

Anwar Sadat Jimmy Carter and Menahem Begin at the Camp David Accords signing ceremony which lead to a Peace treaty between Egypt and Israel. Sept. 17 1978.
    Historischer Handschlag zwischen Ägyptens Präsident Anwar al-Sadat, US-Präsident Jimmy Carter und Israels Premier Menachem Begin 1978. (picture alliance / Everett Collection / NARA)
    In der Innenpolitik blieb Carter hingegen glücklos. Die Weltwirtschaftskrise Ende der 1970er-Jahre, Energieknappheit, Inflation und Rezession und eine stetig steigende Arbeitslosenrate verstörten die Amerikaner, genauso wie der Aufruf des Präsidenten zum Energiesparen.
    Zudem ließ der Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan im Dezember 1979 die Welt an der Stärke Amerikas zweifeln. Carter reagierte mit Boykotten und der Erhöhung des Rüstungsetats. Parallel kandidierte er erneut für das Präsidentenamt.

    Wahlniederlage nach Geiselkrise in Iran

    Zu einer noch schwereren Belastung wurde die Geiselkrise in Iran 1979. Vor dem Hintergrund der Islamischen Revolution stürmten iranische Studenten die US-Botschaft, nahmen 52 Amerikaner als Geiseln und ließen sie erst nach 444 Tagen wieder frei. Alle Verhandlungen scheiterten, eine Befreiungsaktion musste abgebrochen werden.
    Neun Menschen kamen ums Leben, Carters Ansehen in der Öffentlichkeit sank immer weiter. Bei der Wahl 1980 unterlag er klar Ronald Reagan.
    Jimmy Carter ist damit einer der wenigen US-Präsidenten mit nur einer Amtszeit. Zum Ende seiner politischen Karriere war er erst 56 Jahre alt. 1981 kehrte er nach Plains in Georgia zurück. Dem Image des Verlierers trat er entschieden entgegen:

    Ich habe für den Frieden im Nahen Osten gearbeitet und die Beziehungen zu China normalisiert, die Verbindungen nach Kuba geöffnet, und ich denke, das war richtig. Außerdem habe ich die Menschenrechte zu einem Fundament unserer Außenpolitik gemacht. Wenn dies in manchen Augen als Schwäche gesehen wird, muss ich das zur Kenntnis nehmen, aber ich meine, auch rückblickend, das waren die richtigen Dinge für Amerika, um seine Führung in der Welt zu behaupten.

    Jimmy Carter nach seiner Abwahl als US-Präsident
    Die traditionelle Aufgabe eines jeden Ex-Präsidenten, eine Bibliothek mit seinem Namen zu stiften, genügte Carter nicht.

    Als Vermittler weltweit unterwegs

    Gemeinsam mit seiner Frau Rosalynn gründete er das Carter Center in Atlanta und betätigte sich nun an den Krisenherden der Welt als Vermittler, Wahlbeobachter oder Förderer der Gesundheitsvorsorge – so im Sudan, auf Haiti, in Nordkorea und Bosnien.
    Dass Carter sich um Menschen gekümmert hat, die von der großen Politik oft vergessen werden, schätzen die meisten US-Bürger inzwischen.
    Jimmy und Rosalynn Carter sitzen in Arbeitskleidung auf Klappstühlen. Sie tragen Bauhelme und Schutzbrillen.
    Der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter und seine Frau Rosalynn waren bis ins hohe Alter aktiv. (Getty Images / SOPA Images / LightRocket )
    Viele rechnen dem früheren Präsidenten auch hoch an, dass er sich treu geblieben ist. Der Eindruck eines bescheidenen, aufrechten und engagierten Mannes hat in den vergangenen vier Jahrzehnten das Image eines schlechten Präsidenten und Wahlverlierers überlagert.
    Carter blieb den Verhältnissen, aus denen er stammte, treu. So lebte der Vater von vier Kindern bis zuletzt in Plains in dem Haus mit zwei Schlafzimmern, das er 1961 gebaut hatte. Er hat keine Millionen mit Redeauftritten verdient wie andere Ex-Präsidenten – und die Einnahmen seiner insgesamt 21 Bücher gespendet.

    Kritik an Bush und Blair

    Auch Carters oft undiplomatische Art – als Präsident wurde er dafür heftig kritisiert – gilt vielen Amerikanern nun als authentisch. Er nahm oft kein Blatt vor den Mund, auch nicht gegenüber seinen Nachfolgern. So kritisierte er Präsident Clintons moralisches Verhalten im Lewinsky-Skandal und warf Präsident Obama vor, den sogenannten Islamischen Staat nicht energisch genug bekämpft zu haben.
    Die Regierung von George W. Bush bezeichnete er als "schlechteste in der jüngeren US-Geschichte". Bush und dem britischen Premier Tony Blair warf er vor, den Irakkrieg 2003 aufgrund von „Lügen und Fehlinterpretationen“ begonnen und damit amerikanische und westliche Werte geopfert zu haben.

    Friedensnobelpreis für den Ex-Präsidenten

    2002 wurde Carters Engagement nach der Präsidentschaft - er selbst sprach von seiner "zweiten Amtszeit“ – mit dem Friedensnobelpreis geadelt. Das Osloer Komitee hob seinen unermüdlichen Einsatz für Demokratie und Menschenrechte hervor. Und inzwischen wird auch Carters Zeit im Amt zumindest teilweise anders bewertet: Neuere Biografien sehen sie mit Blick etwa auf Umweltthemen und Friedenspolitik als weitsichtig und langfristig erfolgreich.
    Carter nahm bis ins hohe Alter an politischen Debatten teil. Er war überzeugt, Donald Trump sei nur durch die Einmischung Russlands in den Wahlkampf 2016 ins Weiße Haus eingezogen. 2022 warf er in einem Meinungsartikel in der „New York Times“ der Republikanischen Partei vor, sie habe Misstrauen in das Wahlsystem geschürt. Er sehne sich nach weniger Polarisierung in der Politik, schrieb der frühere Präsident – und warnte vor einem Verlust der Demokratie.

    Zuhause bei seiner Frau Rosalynn

    2016 gab Carter bekannt, von einer Leberkrebs-Erkrankung geheilt worden zu sein. Vom Carter Center hieß es damals, der 98-Jährige begebe sich nach einigen kurzen Krankenhausaufenthalten in häusliche Palliativpflege. Er habe „entschieden, die ihm verbleibende Zeit zuhause mit seiner Familie zu verbringen“. Zum letzten Mal war er im November vergangenen Jahres beim Begräbnis seiner Ehefrau Rosalynn in der Öffentlichkeit aufgetreten.
    Nun ist Jimmy Carter im Alter von 100 Jahren gestorben. Amerika trauert um einen Mann, von dem es lange hieß, er sei kein besonders erfolgreicher Präsident gewesen. Der erfolgreichste Ex-Präsident, den die USA jemals gehabt haben, war er aber mit Sicherheit.

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