"Ich komme aus dem Flieger und war im Taxi, als die Frau Bundeskanzlerin mich erreicht hat. Und ich bin noch nicht mal gewaschen und bin also vor ihnen - das schadet auch nichts, dass Sie sehen, dass ich überwältigt und auch ein wenig verwirrt bin..."
So ist das Amt dann doch noch zu ihm gekommen. Das Amt, dass er im ersten Anlauf in einem Präsidentschaftswahlkampf mit knappem Ausgang gegen Christian Wulff angestrebt hatte - und das er dann fast beschwingt hinter sich gelassen hatte. Die Jahre zwischen erster und zweiter Kandidatur waren für Gauck eine glückliche Zwischenzeit gewesen. Er genoss den Zuspruch und die Popularität, die ihm noch einmal zugewachsen waren. Am Abend seiner Wahl zum Staatsoberhaupt am 18. März 2012 aber ahnte Gauck, dass mit diesem Amt nicht nur Würden, sondern auch Bürden und - vor allem - ein höchstpersönlicher Freiheitsverlust verbunden sind:
"Ja, das wird weniger sein. Also das, was ein Teil der Öffentlichkeit an mir schätzt und ein anderer nicht mag, das ist, dass ich auch mal Ecken und Kanten zeige, das geht in der Weise nicht. Und nun muss ich mir eine Form erarbeiten, wo ich noch erkennbar bleibe."
Gauck hatte ein schwer lädiertes Amt übernommen. Die Diskussionen und Skandale um seine beiden unglücklichen Vorgänger hatten nicht zuletzt die Frage aufgeworfen, wozu man dieses Amt überhaupt noch benötige. Gauck wuchs vorsichtig in seine neuen Aufgaben hinein, interpretierte die Rolle des Staatsoberhauptes im konventionellen wie bewährten Sinne und ließ immer durchscheinen, dass er seine eigene Rolle erst noch finden musste:
"So ein Mensch wie ich freut sich natürlich, wie jeder Mensch, über Zuspruch und Unterstützung. Das ist das eine Thema. Aber dann ist man natürlich auch verwirrt und sagt sich, so schön bist du nun nicht und du heißt auch nicht Beckenbauer und wo kommt das alles her? Was will das alles?"
Bis an die Grenzen des protokollarisch Erlaubten
Nur der Rolle des notorischen Parteienkritikers, in der sich der eine oder andere seiner Vorgänger, die allesamt - anders als Gauck - selbst aus den Tiefen der Parteiapparate an das höchste Staatsamt gelangt waren, verweigert er sich konsequent:
"Sicher erwarten das viele. Und auch manche wünschten sich vielleicht ein so Gegenmodell gegen die Parteipolitik. Dazu eigne ich mich nicht."
Der rote Faden, der sich immer deutlicher durch seine Auftritte und Reden zog, ist der eines freudig-aufgeklärten Patriotismus. Gauck ist gerne Deutscher in dem Deutschland, in dem er 1990 angekommen ist. Das Glück an seiner nationalen Identität speist sich aus der persönlichen Erfahrung, zwei Mal - als Kind im Dritten Reich und als staatsferner Pastor in der DDR - ein ganz anderes Deutschland kennengelernt zu haben.
"Wir lassen uns unsere Demokratie nicht wegnehmen. Wir stehen zu diesem Land."
Seine erste, lange vorbereitete Grundsatzrede widmete er nach einem knappen Jahr im Amt dem Thema Europa - und näherte sich aus einer abwägenden Haltung, die auch Skeptiker ansprechen sollte, dem politischen Ruf nach "Mehr Europa".
"Mehr Europa heißt in Deutschland nicht, deutsches Europa. Mehr Europa heißt für uns, europäisches Deutschland."
Gauck wollte nicht nur den Freiheitsbegriff, sondern auch die Sorge um Menschen- und Bürgerrechte in den Mittelpunkt der zweiten Hälfte seiner Amtszeit stellen. Die Grundsatzrede zur Bedrohung von Freiheits- und Persönlichkeitsrechten im Zeitalter digitaler Datensammlung aber hielt er bis heute nicht. Dafür ging er im Ausland - etwa beim Besuch in der Türkei - bis an die Grenzen des protokollarisch Erlaubten:
"Wir fragen dann schon einmal nach, ja muss man denn Twitter oder YouTube verbieten?"
Schulterschluss mit der Regierung geübt
Die außenpolitischen Krisen dieser Tage haben Gauck - wie die gesamte Politik - mit einem Thema konfrontiert, dass sich niemand selbst gewählt hatte. Gauck jedoch hat es früh aufgegriffen und sein persönliches Grundvertrauen in Stabilität, Verantwortungsbewusstsein und Leistungskraft des gegenwärtigen Deutschlands in eine hochpolitische Aussage gewandelt:
"Dies ist ein gutes Deutschland, das beste, was wir jemals hatten. Ich meine, die Bundesrepublik sollte sich als guter Partner früher, entschiedener und substanzieller einbringen."
In den gegenwärtigen Debatten über die Rolle Deutschlands in der Welt hat der Bundespräsident den Schulterschluss mit der Regierung geübt. Auch im Kanzleramt, in dem man der Präsidentschaft Gaucks am Anfang offen ablehnend gegenüberstand, wird das dieser Tage gerne gesehen.