Er ist gern nah dran an den Menschen. Offizielle Empfänge, politische Gespräche, Begegnungen mit Würdenträgern und einflussreichen Persönlichkeiten, all das interessiert Joachim Gauck, es beeindruckt ihn, nicht selten zeigt er sich bewegt. Und doch will er immer auch das Andere kennenlernen, die Menschen ohne großen Namen, die Nicht-Politiker und die jungen Leute. Der Bürgerpräsident will wissen, was die Menschen bewegt. Und zwar in ihrem tiefsten Inneren. Das gilt auch in Japan, einem Land der leisen Töne, der Höflichkeit und der Zurückhaltung:
"Ich heiße Mote Asawada. Mein Forschungsbereich ist germanistische Linguistik. Ich beschäftige mich mit der Untersuchung von Komplexverben. Ich freue mich, dass ich an diesem Gespräch teilnehmen kann."
Wie also unter Termindruck mehr als nur oberflächliche Eindrücke bekommen, wie das Eis brechen?
"Ja, und nun, was mache ich in Japan? Heute reise ich nach Tokio, (…) ähhhh, Kyoto. Dankeschön!! Immer wenn der Bundespräsident vor einem akademischen Publikum spricht, ist er ein wenig nervös. Er war nämlich ein schlechter Student."
"Debatten werden rauer"
Joachim Gauck öffnet sich und erhofft sich dasselbe vom Gegenüber. Er will Austausch. Er will deutliche Worte, und tatsächlich, er bekommt sie auch auf dieser Reise zu hören:
"Heute scheint in Japan, in Deutschland und in Europa und vielleicht auch in den USA eine große Verunsicherung spürbar. Viele Menschen orientieren sich weniger an den tatsächlichen Fakten, sondern lassen sich vermehrt von Gefühlen leiten, auch von Vorurteilen und Ängsten gegenüber den Fremden. In diesen Tagen erkenne ich manchmal mein Deutschland nicht wieder."
Sagt etwa der Politikwissenschaftler Takeshi Kawasaki bei einer Preisverleihung in Kyoto. Die Offenheit und Freundlichkeit, mit der man ihn in den 90er- Jahren als jungen Wissenschaftler in Deutschland empfangen habe, vermisst er heute. Auch Joachim Gauck schweigt nicht zu den Schwierigkeiten und Verwerfungen im eigenen Land, stimmt aber kein Lamento an:
"Es gibt ziemlich gravierende Spaltungen in der Gesellschaft, die sind noch nicht dramatisch. Die Gefahr in Deutschland, dass die Demokratie Schaden nimmt, existiert nicht, aber die Debatten werden rauer und neue politische Bewegungen streben ins Parlament. Das passiert in ganz Europa, alle haben ein Problem mit Zuwanderung, mit Flüchtlingen, mit Fremdenfeindlichkeit und diese menschenfreundliche deutsche Nationalkultur, sie muss sich jetzt bewähren."
Den historischen Vergleich mit den 20er und 30er-Jahren, weist er entschieden zurück.
Mutmacher und Ermunterer
"Es ist nicht so, dass wir in Deutschland in einer Unsicherheit wären wie zwischen den beiden Weltkriegen. Dort gab es die sogenannte Weimarer Republik und jede Menge aggressive Gegner der Demokratie, links außen und rechts außen und beide haben die Demokraten gehasst und es gab viele die die Demokratie verachteten oder nicht wertschätzten und wenige Demokraten die sie verteidigten. Das ist in diesem Deutschland umgekehrt. Es gibt wenige, die sie verachten und viele, die sie verteidigen."
Der Bundespräsident will auch ein Mutmacher, ein Ermunterer sein. Auf dieser letzten großen Reise seiner Amtszeit zeigt sich Joachim Gauck als wissbegieriger und zugewandter Gast, der zugleich viel über sein eigenes Heimatland nachdenkt. Den jungen Menschen in Japan, den Studenten in Tokyo und Kyoto, gibt er einen Sinnspruch mit auf den Weg:
"Der kürzeste Weg zu sich selbst, führt um die Welt herum."
Ein Satz, der genauso für ihn, den Gast aus Deutschland gilt.