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Joachim Käppner
"1918 - Aufstand für die Freiheit"

Als im November 1918 der Erste Weltkrieg zu Ende ging, war Deutschland in Aufruhr. Soldaten und Arbeiter rebellierten, der Kaiser musste abdanken. Doch ein grundlegender Neuanfang gelang nicht. Joachim Käppner nennt sein Buch im Untertitel deshalb auch "Die Revolution der Besonnenen".

Von Otto Langels |
    Menschen jubeln vor dem Balkon des Reichstagsgebäudes
    Der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann ruft am 9. November 1918 in Berlin die Republik aus. (imag o/ United Archives International)
    Bereits in der Einleitung seines Buches fällt Joachim Käppner ein harsches Urteil über die Revolution von 1918: Sie war unvollendet, widersprüchlich und zwiespältig. Die Protagonisten waren schwach, sie handelten zögerlich und inkonsequent. Dabei bot sich ihnen eine historisch einmalige Chance:
    "Einmal, aber nur dieses eine Mal und in einem sich schnell schließenden Zeitfenster weniger Wochen, bot sich die Gelegenheit, die Geschichte zu wenden und zu vollenden, was die Barrikadenkämpfer von 1848 nicht vollbracht hatten, den Sturz des Obrigkeitsstaates, des Militarismus, des eifernden Nationalismus, die Errichtung der deutschen Demokratie."
    Joachim Käppners Buch ist der Versuch, die Möglichkeiten der Novemberrevolution auszuloten und nachzuvollziehen, warum die Protagonisten die Gelegenheit nicht nutzten.
    Der Autor arbeitet als historisch geschulter Redakteur für die "Süddeutsche Zeitung". Sein journalistischer Stil wirkt sich wohltuend auf die verständlich geschriebene, anregende Darstellung aus.
    Revolutionäre hatten keine gemeinsame Vision
    Revolutionen gelten gemeinhin als blutig und grausam; ein Vorurteil, sagt Joachim Käppner. Der Novemberaufstand sei eine "Revolution der Besonnenen" gewesen.
    "Sie waren keine Kopfabschneider, keine wilden Bolschewisten, sie wollten keine Allee der Gehenkten in Berlin haben. Das, was sie wollten, war das Ende des Krieges und einen für sie selber nicht ganz klaren Weg zur Freiheit und vielleicht auch Sozialismus. Es war jedenfalls keine Revolution, die auf Blut und Gewalt setzte, wie es im Jahr vorher 1917 in Russland geschehen war, und es gab auch keine führende Kaderpartei, wie es dort die Bolschewisten unter Lenin waren."
    Anders als die russischen Bolschewiki hatten die deutschen Akteure keine konkreten Vorstellungen und Ziele für die Zeit nach der Revolution. Sozialisten und Sozialdemokraten träumten von einer freien und gerechten Gesellschaft, aber sie hatten kein fertiges Programm in der Schublade. Im Vordergrund stand der Wunsch, den sinnlosen Krieg zu beenden und weiteres Blutvergießen zu verhindern.
    Der Aufstand war so friedlich wie ein Volksfest
    Joachim Käppner beschreibt eindrucksvoll, wie die immer größer werdenden Massen am 9. November ungestört durch Berlins Straßen zogen, darunter Väter und Großväter, Mütter und Töchter, die nichts Anderes wollten als Frieden. Er schildert, wie wenig bedrohlich die Aufmärsche wirkten, wie sich Soldaten am Landwehrkanal versammelten, aber nicht mit bösen Absichten, sondern um ihre Gewehre ins Wasser zu werfen. Es herrschte eine friedliche Stimmung wie auf einem Volksfest, so Käppner.
    "Es könnte ein großer historischer Moment sein, ein feierlicher Augenblick, die eigentliche Geburtsstunde der deutschen Demokratie. Doch es ist nichts von alledem, wie eine Lawine rasen die Ereignisse über das Reich hinweg."
    Statt den alten Machtapparat zu zerschlagen, stützte sich das neue, von der SPD geführte Übergangskabinett auf die alten reaktionären Kräfte in Militär, Regierung und Justiz. Die sozialdemokratische Führung mobilisierte das Militär und die rechtsradikalen Freikorps gegen die Revolutionäre, obwohl die radikale Linke klein und unbedeutend war. Die Bolschewismus-Hysterie jener Tage stand in keinem Verhältnis zur realen Bedeutung linker Putschisten.
    Die Sozialdemokraten fremdelten mit der Revolution
    Nachdem der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann am 9. November am Reichstag die deutsche Republik ausgerufen hatte, proklamierte Karl Liebknecht wenige Stunden später am Portal des Stadtschlosses, dem Herrschaftssitz der Hohenzollern, die sozialistische Republik. Die Episode stuft Joachim Käppner als harmloses "Schlossgespenst" ein. Die große Mehrheit der Aufständischen begeisterte sich keineswegs für bolschewistische Ideen.
    Gleichwohl brachten der neue Reichskanzler Friedrich Ebert, Philipp Scheidemann und ihre Genossen dem Aufstand von Anfang an ein Gefühl der Fremdheit entgegen.
    "Nicht einmal im Moment der größten Zustimmung vermögen diese Männer diese Revolution wirklich als die ihre zu empfinden; sie verstehen sich als Abwickler, bestenfalls als Treuhänder, wie sie selber sagen. Sie fürchten die Geister, die sie niemals gerufen haben."
    Hätte dagegen die Ebert-SPD die Massenbewegung genutzt und das alte Militär zum Teufel gejagt, statt sich mit ihm zu verbünden, dann wäre die Republik 1933 wahrscheinlich nicht untergegangen, folgert Joachim Käppner und schließt sich damit der Kritik Sebastian Haffners an. Der bekannte Publizist hatte 1968 in einer historischen Anklageschrift der Sozialdemokratie Verrat an der Revolution vorgeworfen. Mit seinen Überlegungen begibt sich Joachim Käppner auf das Gebiet der kontrafaktischen Geschichtsschreibung: Was wäre gewesen, wenn? Ein Gedankenspiel ohne wirkliche Aussagekraft.
    Ein Zögern mit weit reichenden Folgen
    Gleichwohl ist der Vorwurf des Autors berechtigt, dass die deutsche Sozialdemokratie aus "Mangel an Weitsicht und Selbstbewusstsein" darauf verzichtete, dem "deutschen Militarismus den Garaus zu machen".
    "Dieses 'Moment der Gelegenheit', die die Sozialdemokraten gehabt hätten, um diese ganze Bewegung hinter sich zu versammeln und eine große Wir-Erzählung daraus zu machen, den haben sie versäumt. Sie hatten Angst davor, sie wollten immer beschwichtigen, und sie haben vor allem fast alle Institutionen des alten Kaiserreichs belassen, einschließlich des Personals, was besonders beim Militär sehr verhängnisvolle Auswirkungen hatte und auch die Weimarer Republik dann massiv geschwächt hat."
    Joachim Käppners Behauptung, die deutsche Revolution von 1918 sei bis heute ein "ungeliebtes Stiefkind der Geschichtsschreibung", ist allerdings nicht zuzustimmen. Denn der Autor ignoriert damit die große Zahl fundierter Publikationen, die in den letzten Jahrzehnten zu diesem Thema erschienen sind. Seine Veröffentlichung reflektiert im Übrigen den bisherigen Forschungsstand und fügt keine neuen Erkenntnisse hinzu.
    Gleichwohl ist Joachim Käppners Buch eine lesenswerte und informative Gesamtdarstellung der Revolution von 1918.
    Joachim Käppner: "1918 - Aufstand für die Freiheit. Die Revolution der Besonnenen"
    Piper Verlag, 524 Seiten, 28,- Euro