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Jobsuche mit Handicap
104 Tage Unterschied

Arbeitslose Menschen mit Behinderung suchen laut Inklusionsbarometer im Schnitt 366 Tage nach einem Job. Das sind 104 Tage mehr als bei Menschen ohne Handicap. Viele Firmen zahlen lieber Strafen, als Gebäude umzubauen oder IT umzurüsten. Das liegt an Berührungsängsten - aber auch an unnötigen Auflagen.

Von Anja Nehls |
    Ein Mensch mit Behinderung fährt am 20.02.2017 in Bielefeld mit seinem Rollstuhl an dem aufgestellten Wort "Arbeit" entlang.
    Der Arbeitsmarkt für Behinderte entwickelt sich seit Jahren positiv. (dpa / Friso Gentsch)
    Patricia Falk schreibt E-Mails und kopiert Akten, nimmt Anrufe von Journalisten entgegen und notiert Interview-Wünsche, ganz normale Büroarbeit in der Pressestelle des Bundesarbeitsministeriums.
    Aber Patricia Falk ist keine ganz normale Mitarbeiterin, oder eben doch, jedenfalls hier:
    "Im Büroalltag ist es mit dem Rollstuhl überhaupt gar kein Problem, da kann man alles so einrichten, dass es ganz normal läuft und die Kollegen, mit denen man neu zusammen kommt, die sind auch nur ganz kurz vorsichtig und ansonsten geht der Rollstuhl unter, das gehört dazu, ist normal."
    "Viele denken, dann werde ich die nicht wieder los"
    Seit 20 Jahren sitzt Patricia Falk im Rollstuhl. Nach ihrem Unfall schulte die gelernte Zahnarzthelferin auf Bürokauffrau um und hat seitdem die meiste Zeit gearbeitet. Als vor einigen Jahren ihre Stelle in ihrer Heimatstadt nördlich von Berlin gestrichen wurde, war sie auf einmal arbeitslos. Einen neuen Job in der Nähe konnte sie nicht finden:
    "Wenn man länger arbeitslos ist und behindert ist, dann gibt es ja auch Zuschüsse von verschiedenen Ämtern, trotzdem hat sich keiner so richtig ran getraut. Viele denken auch, wenn ich die jetzt einmal eingestellt habe, dann werde ich die nicht wieder los."
    Aber diese Angst ist unbegründet, so Armin von Buttlar von der Aktion Mensch.
    "Es gibt einen verbesserten Kündigungsschutz, das stimmt, aber auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit einer Behinderung sind, wenn es nötig ist, kündbar, wie alle anderen Arbeitnehmer auch. Und, was man unterschätzt, viele Kolleginnen und Kollegen mit einem Handicap sind sehr gut ausgebildet, sind in der Regel sehr loyale Mitarbeiter, weil sie eben die Schwierigkeit haben, überhaupt einen vernünftigen und für sie passenden Job zu finden. Und was noch dazu kommt: Es hilft auch, das Sozialgefüge in einem diversen Unternehmen zu verbessern."
    Das kann Franziska Haas bestätigen. Sie ist die Leiterin des Kommunikationsstabs im Arbeitsministerium und betont, dass Patricia Falk keinesfalls eingestellt wurde, um die vom Gesetzgeber für größere Unternehmen vorgeschriebene Behindertenquote zu erfüllen:
    "Das heißt, bei schwerbehinderten Bewerberinnen und Bewerbern, die laden wir alle ein zu den Vorstellungsgesprächen, aber, das kann ich auch ganz offen sagen, wenn eben keine Eignung für die jeweilige Stelle gegeben ist, dann stellen wir auch nicht ein, Quote hin oder her."
    Hohe Hürden für kleine und mittlere Unternehmen
    Der Arbeitsmarkt für Behinderte entwickelt sich seit Jahren positiv, so Zahlen des Inklusionsbarometers des Sozialverbandes. Dennoch sei die Arbeitslosenquote bei Menschen mit Behinderung mit fast zwölf Prozent noch immer deutlich höher als die der Nichtbehinderten mit knapp sechs Prozent, bedauert Armin von Buttlar von der Aktion Mensch: "Das eine ist, dass viele Unternehmen, insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen, nach wie vor wenig wissen über Menschen mit Behinderungen. Sie haben Berührungsängste, sie haben vielleicht auch keine Erfahrungen."
    Größere Unternehmen haben es etwas einfacher, meint Franziska Haas. Im Arbeitsministerium gibt es einen Personalrat und einen Behindertenbeauftragten, die sich um alle entsprechenden Angelegenheiten kümmern:
    "Natürlich haben wir hier Fahrstühle im Haus, die sagen auch die Stockwerke an für diejenigen, die seheingeschränkt sind. Und was den ganzen Umbau angeht, sei es Toiletten, sei es Küche, da ist natürlich das größere Unternehmen etwas im Vorteil."
    Dennoch werden auch kleinen Unternehmen bei der Einstellung von Behinderten Auflagen gemacht, wie der Einbau behindertengerechter Toiletten. Davon lassen sich viele abschrecken, sagt Patricia Falk, die die gut gemeinten Vorschriften teilweise übertrieben findet. Einen Job in einer kleinen Tischlerei in der Nähe hat sie deshalb nicht bekommen:
    "Da hätte ich eine Teilzeitstelle mit vier Stunden kriegen können, da sollte aber umgebaut werden, weil ich auch in die Sozialräume nicht reinkam und das hat die Arbeitgeber dann abgeschreckt, weil die sagten: 'Ich kann doch nicht für die Vier-Stunden-Kraft den kompletten Betrieb umbauen.' Und in den Pausenraum wäre ich sowieso nicht gegangen, bei vier Stunden machst du doch eh keine Pause."
    Komplizierte Verteilung auf viele Ämter
    Dass die Auflagen teilweise ein Problem sind, gibt Armin von Buttlar zu. Allerdings bekommen Unternehmen bei der Einstellung von Behinderten Unterstützung vom Jobcenter und vom Integrationsamt. Das Gehalt wird teilweise übernommen, gesetzlich vorgeschriebene Umbauten werden bezuschusst. Aber das alles sei zu unübersichtlich und zu kompliziert:
    "Es gibt das Integrationsamt, es gibt die Arbeitsagentur, es gibt unterschiedliche Geldgeber, das macht es den Arbeitgebern schwer. Ich glaube, das müsste man besser bündeln, so dass es für Arbeitgeber möglichst einfach wird, Menschen mit Behinderung zu beschäftigen und dann auch die notwendige Unterstützung finanzieller Natur zu bekommen."
    Arbeitslose Menschen mit Behinderung suchen laut Inklusionsbarometer durchschnittlich 366 Tage nach einer Beschäftigung. Das sind 104 Tage mehr als Menschen ohne Handicap. Wichtig sei, den Arbeitgebern statt der Risiken eher die Chancen bei der Einstellung von Behinderten aufzuzeigen, meint Franziska Haas. In ihrem Haus arbeiten neben Patricia Falk Menschen mit den verschiedensten Einschränkungen. "Die Idee des gemeinsamen Arbeitens ist ja auch, jeden nach seinen Stärken einzusetzen, zu sehen, wo fühlt sich jeder wohl mit seiner Aufgabe; zu sehen, welche Aufgabe kann er erledigen, hat vielleicht Spaß dran und ist so dann auch erfolgreich." Seit fast sechs Jahren arbeitet Patricia Falk nun hier in der Pressestelle. Anderthalb Stunden Fahrt pro Strecke nimmt sie für ihren Job seitdem täglich gerne in Kauf.