Die von Bund und Ländern geplanten Einschränkungen beim Zugang zu PCR-Tests werden unter anderem auch von den Bildungsverbänden wie dem Verband Bildung und Erziehung (VBE) oder der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft kritisiert. Einwände äußerte beispielsweise der Chef des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger: "Es ist natürlich ein schreiender Widerspruch, wenn die Politik unisono beteuert, dass das Offenhalten von Schulen oberste Priorität hat, sich aber wie schon so oft zuvor wegduckt, wenn es ganz konkret darum geht, Schüler und Lehrkräfte bei Gesundheitsschutzmaßnahmen zu priorisieren", so Meidinger gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
Bund und Länder hatten eine Abkehr von der bisherigen Teststrategie beschlossen: Die besonders verlässlichen PCR-Tests sollen nur noch für sehr gefährdete Gruppen verwendet werden. Grund sind Engpässe bei der PCR-Testkapazität in Deutschland. Die konkrete Ausgestaltung der Rationierung steht noch aus.
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Auch Jochen Ott bedauert die Entscheidung, dass Schüler und Lehrkräfte beim Zugang zu PCR-Tests nicht priorisiert werden. Er ist stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion im Landtag NRW und schulpolitischer Sprecher und hat bis zu seinem Einzug in den Landtag 2010 in Köln als Lehrer gearbeitet.
Jede Form der Priorisierung habe Vor- und Nachteile, räumte Ott im Deutschlandfunk ein. In der Politik müsse es aber darum gehen, verschiedene schutzbedürftige Gruppen nicht gegeneinander auszuspielen, sondern eine Alternative anzubieten. So solle beispielsweise wenigstens sichergestellt werden, dass in Schulen mit Schnell-Antigentests gearbeitet wird.
Eine generelle Aussetzung der Präsenzpflicht für Schülerinnen und Schüler könne er nicht befürworten, so Jochen Ott weiter. Er schlug vor, Schulleitungen die Möglichkeit zu geben, mit den Eltern vor Ort Lösungen entsprechend der jeweiligen Situation zu finden, die in Regionen und Städten eben sehr unterschiedlich sei. In erster Linie müsse es darum gehen, dass Kinder möglichst täglich in die Schule gehen könnten, denn die Erfahrungen hätten gezeigt, dass Schulschließungen für viele Kinder sehr schwierig seien.
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Das Interview im Wortlaut:
Sandra Schulz: Wir haben die vielfache Aufforderung vor der MPK gesehen – von Lehrkräften, von Kultusministerinnen und Kultusministern -, dass die Lehrkräfte und die Schulkinder und die Jugendlichen priorisiert werden sollten. Genau das ist jetzt nicht passiert. Wie finden Sie das?
Jochen Ott: Ich bedauere das sehr. Ich habe ja sehr früh hier in Nordrhein-Westfalen, gemeinsam mit Thomas Kutschaty, dafür geworben, dass die Schulen kritische Infrastruktur werden, und wenn sie kritische Infrastruktur sind, dann müssen insbesondere die Lehrkräfte auch prioritär behandelt werden. Das ist nicht der Fall, das bedauere ich.
Umso wichtiger ist aber, dass jetzt in den Ländern – und ich kann nur für Nordrhein-Westfalen sprechen – eine klare Linie gefahren wird, und das scheint nicht der Fall zu sein. Gerade heute hören wir aus dem ganzen Land, dass reihenweise Schulklassen zuhause bleiben müssen, weil die Einzelauswertungen der Pooltests nicht mehr stattfinden können und aus Sicherheitsgründen die Kinder zuhause bleiben sollen. Das stürzt viele Eltern in unserem Land in eine Katastrophe und die Kinder sind frustriert.
„Unsicherheit bei den Lehrerverbänden“
Schulz: Auf der anderen Seite ist das Argument: Wenn jetzt die PCR-Tests knapp werden, dann gibt es Bereiche, die Gruppe der älteren, die deutlich stärker gefährdet sind durch Corona, auch durch Omikron. Ist diese Priorisierung dann nicht auch angezeigt?
Ott: Ich kann nachvollziehen, dass jede Form der Priorisierung immer Vor- und Nachteile hat. Wir müssen aber feststellen, dass unsere Kinder und Jugendlichen jetzt seit zwei Jahren einen hohen Preis bezahlen. Und wenn ich an die Kinder in den Förderschulen denke, dann habe ich da ganz, ganz große Sorgen, weil viele von den Kindern keine Therapiemöglichkeit hatten, und die Folgen werden uns noch lange beschäftigen.
Insofern geht es am Ende in der Politik aber darum, nicht gegeneinander auszuspielen, sondern dann wenigstens eine Alternative anzubieten. Dann muss wenigstens dort sichergestellt werden, dass mit den Antigentests gearbeitet wird. Wir brauchen auch die nötige Freiheit in der jeweiligen Schule, Entscheidungen treffen zu können. Die Schulen in NRW jedenfalls fühlen sich vom Schulministerium schlicht alleine gelassen.
Heute Morgen wurde durch die Testlabore angekündigt, das Schulministerium wird sich äußern. Stand jetzt gibt es noch keine Hinweise, wie zu verfahren ist. So erklärt sich dann auch die Unsicherheit bei den Lehrerverbänden.
„Schulleitungen die Möglichkeit geben, vor Ort zu entscheiden“
Schulz: Warum geht der Unmut jetzt in Sachen NRW-Schulministerium, wenn wir doch über einen Beschluss aus der MPK von gestern sprechen, auch unter Beteiligung von Bundeskanzler Scholz von der SPD, natürlich auch von vielen Ministerpräsidentinnen und Präsidenten aus den Reihen der SPD? Auch da fehlte ja die konkrete zeitliche Angabe.
Ott: Ich glaube, die Leute haben überhaupt kein Interesse daran, Schuldzuweisungen hin- und herzuschieben. Fakt ist, man muss jetzt mit der Situation umgehen. Es deutete sich ja letzte Woche schon an: Während im Schulausschuss die Schulministerin der FDP klar gesagt hat, sie will die Tests weiter fortführen, wurde im Jugendausschuss dann darüber gesprochen, ist das mit den Tests überhaupt noch sinnvoll. Deshalb habe ich schon den Eindruck, dass es auch in Nordrhein-Westfalen hier eine Frage zu klären gilt.
Diese Frage ist vor allen Dingen, jetzt denen, die vor Ort jeden Tag die Entscheidungen treffen müssen, die unter dem Druck stehen, irgendwie mit den Testergebnissen, die nicht angekommen sind, umzugehen, den Rücken freizumachen. Das ist das, was mir jetzt am Herzen liegt. Wir müssen den Schulleitungen vor Ort die Möglichkeit geben, vor Ort zu entscheiden.
Jetzt geht es in erster Linie darum, die Kinder sollen möglichst in die Schule gehen können, möglichst auch jeden Tag, weil wir gelernt haben, Schulschließungen sind für viele Kinder ganz, ganz schwierig. Aber es muss sicher sein und dann wird man sowohl beim Stundenplan als auch beim Lehrplan, auch bei anderen Dingen Abstriche machen müssen. Aber man muss den Schulen diese Freiheit geben, insbesondere nach der Entscheidung von gestern.
Schulz: Waren die Lollitests überhaupt so eine Erfolgsstrategie? Es gibt ja das große Problem, dass die Kinder morgens die Probe abgeben, und ob der Pooltest oder die Kinder positiv sind, das stellt sich erst am Nachmittag raus, also dann, wenn sie schon den ganzen Schultag miteinander verbracht haben.
Ott: Ich glaube, es ist jetzt wohlfeil zu sagen, ob das sich bewährt hat oder nicht, sondern das wird man alles mit auswerten müssen, war das vernünftig oder nicht. Auf den ersten Blick war es zumindest der Versuch, sichere Schulen herzustellen. Deshalb möchte ich das gar nicht kritisieren.
In der Tat problematisch ist, dass viele Schulleitungen teilweise die Testergebnisse erst mitten in der Nacht bekommen haben, manchmal so spät erst vor Unterrichtsbeginn, dass überhaupt nicht mehr agiert werden konnte. Das ist tatsächlich organisatorisch hoch problematisch.
Dazu kommt dann auch noch die Fragestellung, was ist mit den Tests insgesamt an den Schulen, wo die Eltern in Sorge waren, dass die weniger sensitiv waren. Man hatte in Nordrhein-Westfalen keinen Krisenstab eingerichtet, sondern das Innenministerium im Oktober mal nonchalant herübergeschoben an die Häuser, dass jeder seine eigenen Tests bestellen soll. Dann musste das Schulministerium das erst mal aufbauen und eine europaweite Ausschreibung machen.
Das heißt, im organisatorischen Ablauf ist aus meiner Sicht viel schiefgegangen. Aber das jetzt einzelnen vorzuwerfen, wäre falsch. Es ist mehr die Frage, wie ist Krisenszenario oder wie ist eine Krisenbewältigung insgesamt organisiert, und da muss man in NRW jedenfalls viele Fragezeichen dranmachen.
„Eine soziale Verantwortung, dass Kinder in die Schule gehen“
Schulz: Jetzt gehe ich von NRW aus mit Ihnen noch mal nach Berlin, denn da hat die Senatorin Busse, auch eine SPD-Politikerin, nach einem relativ überraschenden Schritt in der vergangenen Woche, nämlich der Entscheidung, dass die Kontaktnachverfolgungen in der Schule eingestellt werden, auch die Präsenzpflicht ausgesetzt. Ist sie da auf dem richtigen Weg?
Ott: Wir haben das jetzt in mehreren Bundesländern, dass die Präsenzpflicht ausgesetzt wird, um den Eltern die Möglichkeit zu geben, selbst zu entscheiden. Ich glaube, der Schritt, der davor kommen muss, ist, dass die Schulleitungen die Möglichkeit haben, mit den Eltern vor Ort Lösungen zu finden. Das würde ich zum jetzigen Zeitpunkt präferieren, weil dann vor Ort entschieden werden kann, wie die Situation ist. Es ist nämlich von der Eifel bis nach Ostwestfalen in so einem großen Bundesland etwas anders als in einzelnen Städten.
Ich glaube, die Situation in Köln beispielsweise ist auch anders als etwa in der Eifel. Deshalb muss man das den Schulen vor Ort überlassen und eine Krisenentscheidung vor Ort treffen. Deshalb würde ich eine generelle Aussetzung nicht befürworten.
Schulz: Aber es ist ja schon eine zentrale Frage, ob in einem Bundesland die grundsätzliche Präsenzpflicht herrscht oder nicht. Können das wirklich die Schulen individuell für sich beschließen? In den Schulen in finanziell bessergestellten Stadtteilen sitzen die Kinder zuhause luxuriös vorm Rechner, vielleicht noch mit eigenem Coach, und andere Schulen haben dann wieder das Nachsehen.
Ott: Das ist ja der Grund, warum ich sage, es muss eine Rahmenplanung geben. Beispielsweise in Brandenburg hat man verschiedene Stufen definiert. Die machen sich zum Beispiel daran fest, wie viele Lehrkräfte sind im Einsatz, wie ist die Situation an der jeweils einzelnen Schule. Damit eine solche Entscheidung vor Ort nicht der Beliebigkeit unterworfen wird, bräuchte man solche Notfallpläne und Szenarien, dass jeder weiß, auf dieser Grundlage kann ich A, B oder C den Weg dann jeweils gehen.
Ein generelles Aussetzen der Präsenz halte ich deshalb für den falschen Weg, weil dann die Situation entsteht, die Sie gerade beschrieben haben. Und wir wissen ja, dass gerade in den Stadtteilen, in denen Menschen besonders eng zusammenwohlen und viele Menschen in kleinen Wohnungen zusammenleben, eine besondere soziale Verantwortung darin liegt, dass die Kinder tatsächlich in die Schule gehen und im wahrsten Sinne des Wortes Platz haben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.