Joe Bidens erste Bilanz vor sechs Monaten fiel noch positiv und optimistisch aus: Es war Hochsommer, die Covid- Infektionszahlen waren stark zurückgegangen und zum Nationalfeiertag erstmals wieder Gäste aus dem ganzen Land in den Garten des Weißen Hauses gekommen. Nach sechs Monaten im Amt war Präsident Biden zuversichtlich, die Pandemie in den Griff bekommen zu haben: Das Virus kontrolliere nicht mehr das Leben der Amerikaner, es lähme nicht mehr die Nation: Wir haben es in der Hand, dass es so bleibt, sagte der US-Präsident.
Zögerliche Corona-Politik und volle Krankenhäuser
Doch es kam anders, mit Delta und Omikron stiegen die Todeszahlen, Krankenhäuser sind vielerorts immer noch am Anschlag. Gute Masken und Schnelltests sind Mangelware, lange zögerte die Regierung, Impfvorgaben für wichtige Sektoren zu machen. Das hat Millionen von US-Bürgern enttäuscht, die von Biden eine energischere Pandemiebekämpfung erwartet hatten. Er verstehe die Frustration und die Müdigkeit der Leute, räumte der Präsident ein. Das Virus werde nicht einfach verschwinden, aber er werde nicht aufgeben und die Dinge hinnehmen.
Erfolge bei Gesetzgebung, Armutsbekämpfung und kostenlosen Impfungen
Herausforderungen, aber auch gewaltige Fortschritte - so sieht Joe Biden sein erstes Jahr. Tatsächlich hat der Präsident mehr Gesetze verabschiedet als alle Präsidenten vor ihm und einiges erreicht: Jeder kann sich gratis impfen lassen, die Wirtschaft hat ordentlich angezogen, die Löhne sind gestiegen, die Arbeitslosenrate ist niedrig, die Kinderarmut ist um 40 Prozent zurückgegangen. Aber viele US-Bürger finden, ihr Präsident kümmere sich nicht um die wirklichen Probleme: Um die heftige Inflation und um die stark gestiegenen Preise.
Afghanistan Abzug schädigte das Image von Joe Biden
Der chaotische Rückzug aus Afghanistan hat viele Menschen tief geschockt und das Image Bidens als Krisenmanager schwer beschädigt. Ein Großteil der US-Bürger ist unzufrieden mit Joe Biden. Schlecht sei der Zustand ihres Landes, sagen heute zwei Drittel der Befragten. Mit Ausnahme von Donald Trump waren die US-Bürger mit keinem Präsidenten nach einem Jahr unzufriedener als mit Joe Biden. Er glaube Umfragen nicht, reagierte der Präsident am Mittwoch (19.01.2022).
1,9 Billionen Dollar für den "American Rescue Plan"
Andererseits zitiert Joe Biden gern Umfragen und die Unterstützung breiter Teile der Bevölkerung, wenn er über seine Herzensprojekte spricht, wie den American Rescue Plan. Der soll mit 1,9 Billionen Dollar die Pandemiefolgen für Bürger, Kommunen und Bundesstaaten spürbar gemildert hat. Oder das überparteilich ausgehandelte Infrastruktur-Gesetz, mit dem die Bundesstaaten in den kommenden Jahren marode Straßen, Brücken, Schienen modernisieren können.
Überparteiliche Einigungen mit den Republikanern
Man habe das Eis gebrochen, das zu oft Ergebnisse für das amerikanische Volk verhindert hätten, sagte Biden nach dem Kompromiss mit republikanischen Senatoren. Die überparteiliche Einigung war auch die Einlösung seines Wahlversprechens, Präsident aller US-Bürger zu sein und die tiefe Spaltung des Landes zu überwinden.
Die Spaltung des Landes bleibt
Doch das Land ist tiefer gespalten, als der Präsident es wahrhaben wollte, das ließ er am Mittwoch (19.1.2022) durchblicken. Biden macht dafür vor allem die harte Oppositionspolitik der Republikaner verantwortlich. Er habe nicht erwartet, dass sie alles tun würden, nur damit er nichts hinbekommt, sagte er gestern.
Senatoren blockierten Wahlrechtsreform und Klimaschutz
Doch die bittersten Niederlagen haben dem US-Präsidenten zuletzt zwei konservative Senatoren seiner eigenen Partei zugefügt: Sie blockierten die geplanten Sozialreformen und Maßnahmen gegen den Klimawandel, und sie weigern sich, einer Änderung der Senatsregeln zuzustimmen, um die Verabschiedung von Wahlgesetzen mit einfacher Mehrheit zu erlauben. Damit sind bundesweite Standards für freie und faire Wahlen und gegen nachträgliche Wahlfälschung erstmal vom Tisch. Das hat die demokratische Basis empört und enttäuscht - keine gute Ausgangslage in einem wichtigen Wahljahr.
Joe Biden will mehr Nähe zur Basis
US-Präsident hat für sich daraus die Lehre gezogen, öfter die Washingtoner Blase zu verlassen: Er müsse den Leuten besser erklären, was seine Regierung für sie tue, am besten im direkten Kontakt.