Zumindest für sein Bewerbungsvideo gab es überwiegend positive Reaktionen. Dass Joe Biden im Unterschied zu vielen anderen Präsidentschaftsbewerbern keine Liste mit politischen Zielen präsentierte, sondern den "Kampf um Amerikas Seele" zur wichtigsten Aufgabe im nächsten Wahlkampf erklärte, das wurde in vielen US-Medien als gelungener Startschuss gelobt.
Bidens Kommentar zu den Bildern des rassistischen Mobs von Charlottesville zielte direkt auf Trump: "Amerikas Werte stehen auf dem Spiel". Der Historiker Douglas Brinkley meinte im Sender CNN, Biden sei der bislang stärkste Gegner, den Trump fürchten müsse:
"Wäre ich Donald Trump, wäre ich sehr besorgt wegen Joe Biden. Manche finden Biden zu alt, aber er ist eine sehr energische Person. Er hat die Gewerkschaften hinter sich und viele Mitarbeiter von Feuerwehr und Polizei. Das ist Bidens Wählerbasis."
Erinnerungen an bessere Zeiten
Bidens größte Stärke ist seine Beliebtheit in den wahlentscheidenden "Rostgürtel"-Staaten rund um die Großen Seen. Biden wird zugetraut, die Industriearbeiter und die weiße Mittelschicht in Pennsylvania, Ohio, Michigan und Wisconsin für die Demokraten zurückzuerobern.
Mit Biden verbinden viele auch Erinnerungen an bessere Zeiten mit Barack Obama im Weißen Haus. Obama selbst hielt sich jedoch an sein Versprechen, sich vorerst nicht in den Vorwahlkampf einzumischen. Eine Sprecherin sagte lediglich, Obama habe seit über zehn Jahren eine besondere Beziehung zu Biden.
Doch es gab auch Gegenwind vom linken Parteiflügel. Die New Yorker Kongressabgeordnete Alexandra Ocasio-Cortez kritisierte, der 76-jährige Biden gehöre zur "alten Garde", die von Trump geschlagen wurde: "Mich begeistert Biden nicht besonders", so Ocasio-Cortez: "Ich will nicht zurückgehen, sondern nach vorne":
Ocasio-Cortez unterstützt Bernie Sanders, der allerdings noch ein Jahr älter als Biden ist. Ebenfalls zum linken Parteiflügel gehören die Senatorin von Massachusetts, Elisabeth Warren und die Senatorin aus Kalifornien, Kamala Harris.
Auch der einzige Bewerber mit lateinamerikanischen Wurzeln, Julian Castro, früher Wohnungsbauminister in der Obama-Regierung, steht links von Joe Biden.
Dass die Demokraten mit Biden oder Sanders erneut einen "weißen alten Mann" als Spitzenkandidaten küren, könnte ein Problem werden, warnt der afroamerikanische Demokrat Joel Payne:
"An der demokratischen Basis wird erwartet, dass man die Sprache der Progressiven und der ethnischen Minderheiten spricht, die sich benachteiligt fühlen."
In den Umfragen vorne
Deshalb wird damit gerechnet, dass sich Biden schon bald für eine afroamerikanische oder hispanische Politikerin als Vize-Kandidatin entscheidet. In den bisherigen Umfragen lag Biden auch wegen seiner Bekanntheit deutlich vorne.
Auf Platz zwei folgt Bernie Sanders vor Senatorin Kamala Harris. Erst auf Platz vier und fünf kommen weitere moderate Demokraten: Beto O`Rourke aus Texas und die bisher größte Überraschung: "Mayor Pete" Buttigieg, der Bürgermeister aus Indiana. Die sechs Frauen im Bewerberfeld befinden sich bisher noch im einstelligen Prozentbereich.
Doch wichtiger als die Frage Mann oder Frau ist den demokratischen Wählern, dass am Ende Donald Trump besiegt wird. Und nach zwei Jahren Achterbahn-Fahrt mit Trump wünschen sich viele Amerikaner wieder mehr politische Erfahrung im Weißen Haus.
Auch das könnte Joe Biden nutzen, wobei es für seriöse Prognosen viel zu früh ist.
Für Europa wäre der überzeugte Transatlantiker Biden eine gute Wahl. Den verunsicherten Alliierten versprach Biden gestern:
"Amerika wird wieder sein wie es war: anständig, ehrlich, wahrheitsgetreu und an der Seite unserer Verbündeten."