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Joe Henry
Absolute Hingabe für die Langsamkeit

Joe Henry verdient sein Geld als mehrfach grammyprämierter Produzent. Als Singer/Songwriter bekommt er dagegen zwar viele Lorbeeren von Kritikern, nicht aber von der breiten Masse. Das wird sich wohl auch nicht ändern - sein inzwischen 14. Album ist eher ein stilles Meisterstück.

Von Andreas Zimmer | 31.05.2014
    Der US-Musiker Joe Henry (undatiert)
    Der US-Musiker Joe Henry ist Schwager von Superstar Madonna. (picture alliance / Daniel Wheeler)
    "Es war nicht Ruhe, die ich suchte, und so fand ich keine Ruhe." Mit diesen Textzeilen eröffnet Joe Henry sein neues Album "The Invisible Hour" - sein 14. mittlerweile. Und tatsächlich, viel "Ruhe" im Sinne von Zeit zur Entspannung hat der viel beschäftigte 53-Jährige wahrlich nicht.
    "Ich habe entdeckt, je beschäftigter ich bin, desto mehr Arbeit bekomme ich hin. Am Anfang hab ich ganze Tage damit verbummelt, durch das Haus zu laufen und auf einen Song zu warten. Als ich dann an die kürzere Zeitleine kam, hab ich gelernt, effektiver damit umzugehen. Es ist dieser magisch-elastische Aspekt der Zeit."
    Trotz allem guten Zeitmanagement muss sich Joe Henry immer wieder neu ausbalancieren zwischen seinem Job als mehrfach grammyprämierter Produzent einerseits und seiner Berufung als Musiker andererseits. Mit allen Konsequenzen. So muss eben seine eigene Tonkunst öfter mal hinten anstehen, weil das Schreiben neuer Songs manchmal sehr lang dauert. Für seine neue CD immerhin drei Jahre. Obwohl er schon lange sehr früh aufsteht, damit er möglichst viel vom Tag hat.
    "Am Anfang meiner Karriere dachte ich immer – romantisch verklärt - dass die kreativste Arbeitsphase mitten in der Nacht sei. Nachdem ich aber Kinder hatte und so immer früh morgens aufstehen musste, habe ich entdeckt, dass das nicht nur eine super Zeit zum Schreiben, sondern auch zum Singen ist."
    Joe Henrys neuer CD "The Invisible Hour" merkt man die Lust an, endlich einmal wieder eigene Musik aufzunehmen. Durch seine Erfolge als Produzent muss er sich um die Erlöse seines Albums keine Gedanken mehr machen. Und so schreibt er gänzlich ohne den Druck und die Zwänge, denen andere Musiker ausgesetzt sind.
    "Ich habe mich entschieden, zum ersten Mal keine Keyboards zu verwenden. Dafür sollten die Stahlsaiten mehr im Vordergrund stehen. Außerdem sollte es eine orchestrale Seite geben. Mein Sohn Levon hat alle Holzblasinstrumente gespielt. Und mit mir zusammen die Orchesterarrangements ausgearbeitet. Ein sehr wichtiger Teil des Albumsounds."
    Der rote Faden: absolute Hingabe
    Frei und ungezwungen erkundet der Singer/Songwriter dabei genussvoll die Langsamkeit seiner Kompositionen, taucht ab in Acht-Minuten-Stücke und gibt sich ganz der Schönheit der auf den ersten Eindruck oftmals nicht leicht zu erfassenden Holzblasarrangements hin. In Teilen erinnern diese gar an Klassik à la Gershwin.
    Joe Henry wäre allerdings nicht der Künstler, der er ist, wenn es neben dem musikalischen Faden auf "The Invisible Hour" nicht auch noch einen textlichen gäbe. Schließlich heißt es nicht umsonst, der Rilke-Fan sei ein wahrer Denker und Poet, der die Schönheit der Sprache liebt. Es wundert daher nicht, dass es auch diesmal einen roten Faden gibt.
    "Im Nachhinein sehe ich, dass sich alle Songs um das Thema Vermählung drehen. Beziehungsweise um die absolute Hingabe. In jeglicher Beziehung. Zum Beispiel die, die uns den anderen gegenüber identifiziert oder die, die uns alles abverlangt."
    Joe Henry arbeitet nicht nur als Produzent, der Schwager von Madonna - er ist seit Mitte der 1980er Jahre mit ihrer Schwester verheiratet - schreibt auch Songs für andere. Sowohl am Mischpult als auch als Songschreiber lässt er sich dabei ganz auf sein Gegenüber ein. Dieses Einfühlungsvermögen ist eines seiner Erfolgsrezepte. Von dem er selbst in vielerlei Hinsicht profitiert.
    "Es kommt vor, dass ich sehr inspiriert nach Hause komme und dann einen neuen Song schreibe. Ich mach das aber nicht aus Frustration. Denn meine Rolle als Produzent ist es nicht, die anderen mehr nach mir klingen zu lassen, sondern ihnen dabei zu helfen, so gut wie möglich sie selbst zu sein."
    In seinen jungen Jahren arbeitete der künstlerisch vielseitig interessierte Joe Henry für seine ersten Alben mit ein paar der Legenden im Produzentengeschäft zusammen: beispielsweise mit Daniel Lanois und T Bone Burnett. Heutzutage schließt er das aus. Und sein neues Album "The Invisible Hour" gibt ihm recht. Es ist ein stilles Meisterstück, das man mehrfach anhören muss, kann und soll.
    "Ich weiß mittlerweile sehr genau, was ich will und denke, ich kann nicht mehr mit anderen Produzenten zusammenarbeiten. Aber durch meine Produzenten-Arbeit mit anderen lerne ich vieles, was ich für meine eigene Musik gut verwenden kann."