Mit einem Abstand zwei Metern ist Sporttreiben im Freien trotz Coronavirus in Deutschland erlaubt. Die These dahinter: Die Viren in den Tröpfchen in der Atemluft fallen zu Boden und erreichen die Menschen in der Umgebung dann nicht mehr und können ihnen nicht mehr gefährlich werden. Professor Bert Blocken lehrt Gebäudephysik und Aerodynamik. Er hat gemeinsam mit einem Team von den Universitäten Leuven und Eindhoven herausgefunden, dass der Abstand deutlich größer sein müsste - und dass man nicht in großen Gruppen unterwegs sein sollte.
Tobias Oelmaier: Herr Blocken, würden Sie uns zunächst den Versuchsaufbau beschreiben, um den Mindestabstand zwischen zwei Joggern oder Radfahrern herauszufinden?
Bert Blocken: Wir haben sowohl Windkanalmessungen als auch Computersimulationen durchgeführt. Der Schwerpunkt lag auf der Computersimulation. Daran konnten wir erkennen, was Forscher bereits seit 2002 in Studien in Asien herausgefunden haben: Wenn Menschen sich stehend unterhalten, sind zwei Meter Abstand ausreichend - die Speicheltröpfchen bewegen sich nicht darüber hinaus. Wenn sich die Personen jedoch bewegen, ist die Situation eine ganz andere. Stellen Sie sich vor, zwei Gesprächspartner sprechen im Abstand von zwei Metern miteinander, dabei atmen sie Tröpfchen aus. Wenn nun der eine auf den anderen zugeht, läuft er direkt in die Tröpfchenwolke des anderen hinein
Oelmaier: Von welchen Faktoren hängt der Mindestabstand ab?
Blocken: Das ist eine sehr gute Frage! Wenn Sie von Windstille ausgehen, dann ist die Zwei-Meter-Abstandsregel in Ordnung. Ob Sie dann der Speichelpartikelwolke anderer Personen ausgesetzt sind, hängt davon ab, ob Sie sich im Windschatten dieser Person befinden.
Wenn Sie also im Freien joggen und dabei Tröpfchen ausatmen, dann sind diese so leicht, dass sie sich nicht mit Ihnen mitbewegen. Sie bleiben in der Luftwolke hinter Ihnen zurück und benötigen einige Zeit, bis sie zu Boden fallen. Wenn ich nun direkt hinter Ihnen laufe, reicht diese Zeit nicht, dann bewege ich mich direkt in diese Wolke hinein. Vermeiden kann man das mit einem Schritt zur Seite, dann ist man nicht mehr den Mikrotröpfchen ausgesetzt, die sich ganz gut im Windschatten halten können. Es hängt also von den Bedingungen ab: Bei Seitenwind verändert sich der Windschatten entsprechend. Die höchste Tröpfchenkonzentration befindet sich dann nicht direkt hinter dem Läufer, sondern wird seitlich versetzt.
"Der Windschatten eines Joggers kann 25 Meter lang sein"
Oelmaier: Wie lang ist dieser Windschatten?
Blocken: Der Windschatten selbst kann recht lang sein. Das hängt von der Körpergröße ab. Der Windschatten eines Fahrradfahrers oder eines Joggers kann ohne weiteres 20 bis 25 Meter lang sein. Je weiter man von der vorausfahrenden oder -laufenden Person im Windschatten entfernt ist, desto geringer ist die Konzentration der Tröpfchen. Und diese Konzentration nimmt sehr schnell ab. In einem Abstand von ein bis zwei Metern ist die Konzentration noch sehr hoch, aber bereits zehn Meter hinter dem Sportler haben sich die größten Tröpfchen auf den Boden abgesenkt, und die Gesamtkonzentration hat sich verringert.
Es ist also wichtig, einen Mindestabstand einzuhalten. Dabei ist es nicht erforderlich, sich komplett außerhalb des Windschattens zu bewegen, aber man sollte sich eben nicht unmittelbar hinter der Person befinden.
Wenn die Regierung also vorgibt, man solle einen Sicherheitsabstand von zwei Metern einhalten, dann bedeutet das logischerweise, dass der Sicherheitsabstand in Bewegung, also zum Beispiel beim Laufen oder Fahrradfahren, größer sein muss, um den gleichen Effekt zu haben wie bei stehenden Personen mit zwei Metern Abstand. Beides mit dem Ziel, sich nicht der Tröpfchenwolke des anderen auszusetzen. Diese aerodynamischen Werte haben sich in unseren Richtlinien niedergeschlagen. Wenn man also verhindern möchte, sich im Windschatten einer anderen Person zu bewegen, sollte man einen entsprechenden Sicherheitsabstand einhalten. Wenn man beispielsweise auf engen Pfaden beim Laufen oder schmalen Fahrradwegen nicht verhindern kann, dass man sich direkt dahinter befindet, sollte man ebenfalls auf entsprechenden Abstand achten.
Oelmaier: Man kann nicht immer verhindern, sich anderen Läufern im Park zu nähern. Manchmal muss man sie überholen oder man wird überholt. Wie sollte man sich dann verhalten?
Blocken: Die Leute wollen wahrscheinlich wissen, welches Infektionsrisiko sie haben. Und dazu muss ich sagen, wir sind keine Virologen, wir sind Aerodynamiker und Ingenieure. Wir haben uns deshalb ausdrücklich dazu entschieden, dass wir keine Aussagen zum Infektionsrisiko machen, außer einer sehr einfachen, und da wird uns jeder zustimmen: Es ist besser, man ist den Tröpfchen nicht ausgesetzt.
Um ihre Frage konkreter zu beantworten: Es ist ein großer Unterschied jemanden zu überholen und sich nur kurz im Windschatten aufzuhalten oder sich vier Stunden bei einem Lauf oder einer Fahrradtour im Windschatten einer anderen Person zu befinden. Das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht.
Ich möchte die Menschen nicht noch mehr beunruhigen, als sie ohnehin schon sind, aber: Lasst uns konsequent sein und einen größeren Abstand halten, das kann nur einen positiven Effekt haben! "Sicher ist sicher", das ist unsere Botschaft.
"Zwei Meter Abstand sind im Supermarkt in Ordnung"
Oelmaier: Haben Sie auch untersucht, ob die Anderthalb- oder Zwei-Meter-Abstandsregel im Alltag - also im Supermarkt oder auf dem Gehweg - so funktioniert? Wenn man sich also nur sehr langsam oder gar nicht bewegt?
Blocken: Da ist das Fazit recht beruhigend. Sie haben in Deutschland die Abstandsregel von zwei Metern, in Belgien sind es anderthalb Meter. Zwei Meter sind auf jeden Fall besser.
Es gibt viele Studien aus den vergangenen zwei Jahrzehnten in Asien und Europa, die zeigen, dass Hustentröpfchen weiter als anderthalb Meter reichen können - also sind zwei Meter eine gute Distanz. Im Supermarkt beispielsweise werde ich mich nicht mit einer Geschwindigkeit von vier oder fünf Stundenkilometern bewegen. Zwei Meter Abstand sind dort in Ordnung. Aber draußen beim Wandern oder Spazierengehen in einer großen Gruppe, wenn man dort im Windschatten anderer Leute bleibt, dann ist es besser, einen größeren Abstand zu halten. Die Entsprechung von zwei Meter Abstand ohne Bewegung ist ein Abstand von vier bis fünf Metern, wenn man sich schnell bewegt.
Oelmaier: Ich habe gelesen, dass Sie selbst passionierter Radsportler sind. Was würden Sie Ihren Sportfreunden in diesen Corona-Zeiten raten?
Blocken: Meine Sportfreunde waren genau die Basis für meine Studie. Sie fragten mich: Was soll ich tun, wenn ich einen anderen Radfahrer oder Läufer überhole?
Sie waren besorgt und erzählten mir: Manchmal halten wir den Atem an, wenn wir einen anderen überholen. Du kennst dich doch mit Aerodynamik und Windschatten aus, kannst du das nicht mal für uns untersuchen? Und genau das haben wir getan.
Und die Schlussfolgerung lautet: Halte mehr Abstand, als du es normalerweise tun würdest!
Wenn wir eine Fahrradtour machen, halten sich Leute wie ich mit weniger Kondition gerne im Windschatten auf, aber das ist zur Zeit nicht zu empfehlen.
Draußen Fahrrad zu fahren oder zu joggen ist gut, aber tun Sie es alleine, auf gar keinen Fall in großen Gruppen. Und wenn Sie jemanden überholen, bleiben Sie nicht sehr lange im Windschatten!
Deshalb haben ja die Regierung hier in Belgien und wahrscheinlich auch Ihre Behörden in Deutschland es verboten, dass große Gruppen von Radfahrern zusammen fahren. Stellen sie sich vor, man radelt zusammen mit 30 oder 40 Leuten und der Frontmann niest oder hustet, dann wird ein großer Teil der Leute durch diese Tröpfchenwolke fahren.
Ich sage nicht, dass es dann auf jeden Fall eine Infektion gibt, aber es ist auf jeden Fall sicherer, nicht dieser Tröpfchenwolke ausgesetzt zu sein.
Oelmaier: Hat sich eigentlich schon irgendeine Regierung an Sie gewandt und um Ihre Einschätzungen gebeten bei der Bewertung von den Gefahren, denen man sich beim individuellen Sporttreiben aussetzt?
Blocken: Das ist Teil der Arbeit, mit der sich mein Kollege Thierry Marchal beschäftigt. Er hat auch bei dieser Studie mitgewirkt und unterhält Kontakte zu Behörden in Europa und den USA, zum Beispiel der Food and Drug Administration. Er gibt diese Informationen an die zuständigen Stellen weiter und wir müssen abwarten, was passiert. Üblicherweise dauert es seine Zeit bis man Regierungen von bestimmten Maßnahmen überzeugen kann.
Sie wollen wahrscheinlich mehr über das Infektionsrisiko erfahren, aber da kann ich ihnen nicht helfen. Und dann müssen sie unsere Erkenntnisse mit denen der Virologen zusammenbringen.
Aber ich habe bereits Reaktionen von Virologen und Epidemiologen bekommen, die mit mir zusammenarbeiten wollen, und ich denke, das ist der nächste Schritt. Aber solange ich keine Aussagen über die Infektionsrisiken treffen kann, ist es schwierig für die Behörden, die Richtlinien entsprechend anzupassen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.