Johann Ludwig Krebs: Complete works for organ and instrument obbligato
Zum Sonntagmorgen gibt's heute Musik auf historischen Instrumenten. Dabei möchte ich Ihnen eine CD ausführlich vorstellen, eine zweite eher kursorisch. Die umfänglichere Information gilt einem spätbarocken deutschen Meister, den jeder Orgelschüler kennt, weil etliche seiner Werke sich ausgezeichnet für gehobene pädagogische Zwecke eignen, der aber im Musikleben dennoch eine eher untergeordnete Rolle spielt: Johann Ludwig Krebs. Der klingt ein bisschen wie Bach. * Musikbeispiel: Johann Ludwig Krebs - "Wachet auf, ruft uns die Stimme" für Orgel und obligate Trompete "Wachet auf, ruft uns die Stimme" für Orgel und Trompete. Der Organist Franz Raml und die Solisten seines Hassler Consorts haben bei Dabringhaus und Grimm eine Doppel-CD herausgebracht mit den beiden Teilen der Clavier-Übung von Johann Ludwig Krebs und allen Werken für Orgel und obligates Solo. Alles in allem war dies ein kompliziertes Unterfangen, und wie bei dem Detmolder Label üblich, ging man der Sache auch mit der größten Gewissenhaftigkeit nach. Man begab sich also in die schöne Barockkirche im schwäbischen Weingarten, wo es eine Gabler-Orgel aus der Mitte des 18. Jahrhunderts gibt. Das Prachtstück bietet 66 klingende Register und damit schier unendliche Möglichkeiten der Farbkombination. Der Raum ist ein wenig überakustisch, und auch das hat man über die Mikrofone festgehalten. Der Stimmton ist allerdings deutlich tiefer als der norddeutsche Chorton; also hat man sich dahingehend beholfen, dass man zum Beispiel f-moll nach g-moll transponierte. Es ist wirklich mit ungewöhnlicher Sorgfalt produziert worden, und wer will, kann im Booklet sogar die Registrierung der einzelnen Stücke nachschlagen. Derer gibt es viele. Johann Ludwig Krebs, seines Zeichens Schlossorganist im thüringischen Altenburg, liebte es kurz und bündig, und so finden sich insgesamt 37 Titel auf den beiden CDs. Die haben es allerdings häufig in sich. Krebs war Thomasschüler, und sein wichtigster Lehrmeister hieß Johann Sebastian Bach. Gelebt hat er bis 1780, und dass sich die Musik spätestens ab 1750 gründlich zu wandeln begann, hat er wohl gar nicht oder nur mit Unmut registriert. Man müsste ihn also eigentlich hoffnungslos unmodern nennen, rückständig, zopfig, einen zünftigen Vertreter der Rheumadeckenfraktion. Aber so leicht liegt der Fall Krebs nicht. Vor allem hält er den lutherischen Choral hoch. Schließlich ist er Organist. Alle Stücke auf der Doppel-CD sind aus der Auseinandersetzung mit dem lutherischen Choral erwachsen. Nun war der Krebs ein grundehrlicher Kerl, und das Material des Chorals sperrt sich nun einmal gründlich gegen jenen empfindsamen Stil, dessen sich Krebsens Zeitgenossen befleißigten, allen voran die ungefähr gleichaltrigen Kollegen Carl Philipp Emanuel Bach und Christoph Willibald Gluck. Der Choral ist keine Spur empfindsam. Er gewinnt bei Krebs einerseits etwas Archetypisches, zum anderen bildet er den Rahmen für eine hochkomplexe, auf kleinem Raum verdichtete Musik, die voller Doppeldeutigkeit ist. Immer wieder erfand Krebs Modulationen der dritten Art, Umwertungen der melodischen Fragmente und der Harmonien. Was wie der Ausklang einer Passage oder Phrase wirkt, entpuppt sich einen Moment später als der Beginn eines neuen Gedankens. So zeugt sich die Musik fort und fort, und trotz der Kürze der Stücke hat man nie den Eindruck, der Komponist sei am Ende. Ganz selten nur finden sich die beliebt-berüchtigten Schusterflecke oder Rosalien, die es dem versierten Organisten erlauben, sich mal so eben durch drei, vier Tonarten durchzumogeln. Wenn etwas auftaucht, was danach klingt, so handelt es sich um dramaturgisch konsequent eingesetzte Sequenzen, die in eben diesem Zusammenhang zwingend erscheinen. Wie gesagt: ein grundehrlicher Musiker. Besonders reizvoll sind die Werke für Orgel und obligates Solo. Auf der vorliegenden Einspielung hat man sich vor allem für Naturtrompeten, Naturhorn und Barockoboe entschieden. Johann Ludwig Krebs vertraute dem Solo-Instrument die einzelnen Zeilen des Chorals an. Die Orgel übernimmt die Funktion eines sehr komplexen, durchgängig polyphon angelegten Ripieno, und das Ganze klingt eher wie die protestantische Adaption des italienischen Konzerts denn nach der Manier des hergebrachten Choralvorspiels. Oder auch wie das Ineins von Abendmahl und Fürstentafel. Die Gemeinde dürfte dem Meister nicht ohne Vergnügen gelauscht haben. In der Orgel finden sich manchmal auch Anklänge an den aktuellen empfindsamen Stil; sie sind jedoch sehr behutsam und bleiben sozusagen bibelfest. Besonders ins Herz geschlossen hatte Johann Ludwig Krebs den mehrfach verwendeten Choral "Wachet auf, ruft uns die Stimme", was einen heute rätseln lässt, ob der Meister nun ein Frühaufsteher gewesen sein mag oder eher ein Morgenmuffel. Wie ganz anders indes als diesen Choral mit seinem aufmunternden Dreiklangsmotiv behandelt Krebs das alte Lied "Wie schön leuchtet der Morgenstern", hier für Oboe und Orgel. * Musikbeispiel: Johann Ludwig Krebs - "Wie schön leuchtet der Morgenstern" für Orgel und obligate Oboe An dieser Stelle sind ein paar Bemerkungen zu den Teilnehmern an diesem Projekt angebracht. Franz Raml ist ein tüchtiger Organist, der bei der Registrierung seiner Phantasie freien Lauf lässt, gleichwohl auf das jeweilige Soloinstrument Rücksicht nimmt und die Phrasierung so wählt, dass die Zusammenhänge deutlich werden. In einigen wenigen Momenten lässt er eine gewisse Ungeduld erkennen. Hans Peter Westermann spielt eine selbstgebaute Oboe nach italienischem Vorbild, mit der er auch das dichteste Schlachtgetümmel würde durchdringen können und die manchmal schon waffenscheinpflichtig klingt. Da kommt ein Touch von Sopransax ins Spiel. Die Trompeterin Ute Hartwich setzt da noch einen drauf; es ist fürwahr ein ebenso gottesfürchtiger wie virtuoser Alarm, den sie bläst. Nur das Horn von Wilhelm Bruns schlägt sich mehr on the bright side of life, klingt lyrischer und stammt ja auch aus dem späten 18.Jahrhundert, wo man eher "Ich liebe dich" auf dem cornu da caccia intonierte als "Hirsch tot" oder "Sau tot". Die Flöte von Laurence Dean kommt nur zweimal ins Spiel, und das ist auch gut so, denn dieses Potsdamer Philosopheninstrument sieht neben der Orgel zwangsläufig blass aus, wofür der Flötist nun wirklich nichts kann.