Das Originalmanuskript der "Goldbergvariationen" enthält eine bemerkenswerte Zugabe. Eine Reihe von Kanons über das Bass-Motiv der Aria hat Johann Sebastian Bach dort – quasi als Nachtrag – notiert. Es sind vierzehn Stück.
"Wenn Bach dort genau vierzehn auf dieses Blatt setzt, dann zeigt das, dass er die Bedeutung der Zahl kannte…"
…betont Jörg Hansen, Direktor des Eisenacher Bachhauses und zugleich Kurator der Ausstellung. Warum ausgerechnet die vierzehn für Bach derart wichtig war, lässt sich relativ einfach erklären:
"Nach dem natürlichen Zahlenalphabet ist a gleich eins, b gleich zwei, c gleich drei, also ist b plus a plus c plus h 2 plus 1 plus 3, und h ist 8 - in der Summe vierzehn."
Dass Zahlen Einfluss auf das Leben des Menschen haben, ja, dass sie ihm sogar den Willen Gottes offenbaren können – diese Theorie findet sich zuerst in der jüdischen Kabbala, dann aber auch bald in gelehrten Schriften christlicher Provenienz. Michael Stiefel, Pfarrer aus Lochau bei Wittenberg und Freund Martin Luthers, veröffentlichte im Jahr 1532 als erster deutschsprachiger Autor eine Beschreibung des natürlichen Zahlenalphabets. Sein "Rechenbüchlein vom Endchrist", das Jörg Hansen der Eisenacher Ausstellung zeigt, enthält außerdem eine genaue Vorausberechnung des Zeitenendes.
"Die Welt sollte also am 18. Oktober 1533 um 8 Uhr untergehen. Und er begab sich zu dieser Zeit mit seiner Gemeinde in die Kirche und hat gebetet. Und die Welt ging aber, wie wir wissen, nicht unter."
Zahlen haben Einfluss auf das Leben des Menschen
Für den Zahlenfetischisten Michael Stiefel bedeutete das Ausbleiben der Apokalypse letztendlich eine berufliche Neuorientierung.
"Er wurde dann verhaftet wegen Irrlehren. Und auf Einsatz von Martin Luther durfte er in Wittenberg anschließend Mathematik studieren."
Dass man Zahlen nicht nur mit Buchstaben, sondern auch mit Noten verbinden kann, das stellte der Nürnberger Gelehrte Daniel Schwentner fest, 1636 erschien sein Band mit dem Titel "Mathematische Erquick-Stunden".
"Hier finden wir also eine Anleitung, wie man die Noten nutzen kann, um geheime Botschaften zu verschlüsseln."
Es ist gut möglich, dass Johann Sebastian Bach Schwentners Buch gekannt hat, zumindest aber ähnliche Abhandlungen. So lässt sich erklären, warum die Zahl 14 in vielen seiner Kompositionen verschlüsselt vorkommt, zum Beispiel in Form eines Themas, das 14 Takte oder 14 Töne umfasst.
"Musik ist die versteckte arithmetische Tätigkeit der Seele, die sich nicht dessen bewusst ist, dass sie rechnet."
Grenzen zum Okkultismus sind fließend
Dieser Satz des Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz könnte Bach ebenfalls vertraut gewesen sein. Die Suche nach kryptischen Botschaften in seinem Oeuvre reizt natürlich auch so manchen Hobbyforscher. Die Grenzen zum Okkultismus sind da fließend, meint Kurator Jörg Hansen augenzwinkernd:
"Das gipfelt in der Theorie, dass Bach sein eigenes Todesdatum – und zwar auch in den Goldbergvariationen – vorhergesagt hat."
Diese obskure Berechnung können die Besucher der Eisenacher Ausstellung an einer Schautafel nachvollziehen. Sie können aber auch einige der vierzehn Kanons aus den Goldbergvariationen in die Hand nehmen, drehen, wenden oder sogar spiegeln - Tafeln aus Plexiglas machen das möglich. Per Lautsprecher kann das Ergebnis der Drehung oder Spiegelung dann auch hörbar gemacht werden.
So entdeckt man auf spielerische Weise die Verbindung von Musik und Mathematik. Womöglich ist es diese Verbindung, die das Genie Bach ausgemacht hat:
"Bei Bach finden wir eben dieses unglaublich geschickte intellektuelle Spiel mit den Kompositionstechniken seiner Zeit. Und was liegt näher, als ihm damit auch mathematische Fähigkeiten zuzubilligen."