Kate Maleike: Frau Wanka, in dieser Woche ist eine Hochschulreform 15 Jahre alt geworden, die wohl wie keine andere das Studium in Deutschland und den Hochschulbetrieb gleich mit aufgewirbelt hat. Denn am 19. Juni 1999 wurde in Bologna der gleichnamige Bologna-Prozess beschlossen. Ein europäischer Hochschulraum sollte entstehen, in dem sich Studierende und Wissenschaftler möglichst viel und problemlos bewegen und austauschen sollten. Wie fällt Ihre Bilanz nach 15 Jahren aus?
"Es gab sehr viele Schwierigkeiten"
Johanna Wanka: Ich finde, dass die Bologna-Reform einen sehr guten Einsatz hatte, das Studium zu modularisieren - das hätte man vielleicht auch anders regeln können –, aber das Studium zu modularisieren. Und das ist wichtig, weil sehr viele mehr als vorher studieren, also man auf ganz unterschiedliche Lebensentwürfe Rücksicht nehmen oder Möglichkeiten bieten sollte. Wir haben damit eine Umwälzung, wie sie, glaube ich, in den letzten 50, 60 Jahren nicht im Hochschulsystem war. Und so etwas ist nicht einfach zu realisieren. Es gab sehr viele Schwierigkeiten, sehr viele Probleme. Heute kann man sagen, dass auch Vieles schon gelungen ist, was die Idee des europäischen Hochschulraumes angeht, wo alles komplikationslos anerkennbar ist, das funktioniert noch längst nicht. Gerade beim Bereich der Anerkennung gibt es noch sehr viel zu tun.
Maleike: Das heißt, dem Geburtstagskind "Bologna" würden Sie mit auf den Weg geben, dass es bei der Mobilität und der Internationalität nachbessern muss?
Wanka: Weiter vorangehen muss, was die Mobilität der Studierenden anbetrifft. Da haben wir gute Bewegungen in den letzten Jahren, aber wir haben uns auch vorgenommen, gemeinsam mit den Ländern, das bis zum Jahr 2020 noch enorm auszubauen. Und das werden wir auch mit Bundesmitteln und Förderprogrammen unterstützen.
Maleike: Kernstück der Bologna-Reform ist ja die Umstellung auf die internationalen Studienabschlüsse Bachelor und Master. Und hier hatte sich ja auch die meiste Kritik eigentlich entzündet. Vor allen Dingen Studierende wie Hochschulvertreter sprachen ja vom sogenannten Bulimie-Lernen bei den Bachelors - da werde eben zu viel reinstopft, die Umsetzung sei nicht schlank genug erfolgt, alles sei prüfungsrelevant. Vor ein paar Tagen hat das Allensbach-Institut eine Umfrage herausgegeben, wonach nur knapp ein Viertel der Studierenden Vertrauen in den Bachelor hat und der Meinung ist, dass der Bachelor berufsqualifizierend ist. Was sagen Sie dazu?
Wanka: Wir haben die Situation, dass nach dieser Studie 62 Prozent der Studierenden noch versuchen, einen Master draufzusetzen - was per se nicht schlecht ist, noch eine weitere Spezialisierung oder Qualifizierungsstufe. Aber wir müssen auch dafür werben bei der Wirtschaft, die ja sehr für den Bachelor geworben hat, dass man stärker diese Berufsqualifikation dann auch anerkennt und einstellt. Die Entwicklung dort ist positiv. Und ich glaube, dass mit dem zunehmenden Fachkräftemangel auch eine höhere Akzeptanz für diese Abschlüsse in der Wirtschaft zu finden sein wird.
"Es gibt sehr viele Masterstudiengänge-Angebote"
Maleike: Sie haben den Master schon angesprochen. Viele Bachelor-Absolventen fühlen sich ja eben nicht so vorbereitet und wollen direkt in den Master. Wir haben aber ein Problem mit den Masterplätzen. Da ist die Rede davon, dass wir über 30.000 fehlende Plätze haben. Welche aktuellen Zahlen haben Sie?
Wanka: Kann ich nicht beantworten. Wir haben andererseits die Information, dass es viele Masterstudiengänge-Angebote gibt und auch viele davon gar nicht ausgelastet sind. Und durch den Hochschulpakt wird ja auch ein Teil der Masterstudienplätze mitfinanziert.
Maleike: Der Ansturm auf die Hochschulen ist zur Zeit sehr groß, auch bedingt durch die doppelten Abiturjahrgänge und den Wegfall der Wehrpflicht. Aus diesem Grund fordern die Hochschulen mehr denn je, dass in der Grundfinanzierung mehr passieren muss, dass der Bund auch aktiver werden soll. Jetzt war mit Spannung erwartet worden, was die Große Koalition in den Koalitionsvertrag geschrieben hatte. Da war ja von den Bildungsmilliarden die Rede. Und tatsächlich wurde Ende Mai ja auch vorgestellt, dass es eben sechs Milliarden Euro plus geben soll. Fünf davon gehen in den Bereich Wissenschaft, Schule und Hochschule und eine weitere Milliarde in die Kitas und in die Krippen. Ist das die Aufteilung, die sich die Bundesbildungsministerin und Forschungsministerin gewünscht hat?
"4,8 Milliarden zusätzlich für Schule und Hochschule"
Wanka: Ja. Wir hatten im Dezember, wie eben von Ihnen richtig gesagt, die sechs Milliarden und wir wollten gerne langfristig in den Hochschulen Grundfinanzierung stärken. Und das Ergebnis jetzt, die Untersetzung ist, dass in dieser Legislaturperiode ab 1. Januar nächsten Jahres die BAföG-Gelder allein vom Bund getragen werden. Das heißt, 1,2 Milliarden jährlich bleiben oder gehen in die Länder und das aber nicht in dieser Legislaturperiode, sondern - das ist das Großartige, das Neue, was wir jetzt im Mai erreicht haben oder beschlossen - unbefristet. Das heißt, in die Länder gehen allein in der nächsten Legislaturperiode jetzt schon sicher, unabhängig von sämtlichen Konstellationen, egal wie der Bundeshaushalt aussieht, 4,8 Milliarden zusätzlich für Schule und Hochschule. Und das heißt, auf Dauer geben wir Geld, und damit können Dauerstellen besetzt werden, und damit kann, wenn das Bundesland das will, dauerhaft die Grundfinanzierung von Hochschulen gestärkt werden.
Maleike: Dauerhaft, das hatte auch das Länderecho gegeben, ist wirklich die Neuerung dabei, dass man damit dann eben auch planen kann – Sie haben es ja gesagt: Personalstellen?
Wanka: Ja. Das ist das gänzlich Andere gegenüber den Programmmöglichkeiten, die auch klasse sind - Hochschulpakt oder anderes -, aber was nur temporär ist, und das geht unbefristet. Also man kann jetzt, wenn man will, Stellen schaffen für Professorinnen oder für den wissenschaftlichen Nachwuchs oder wie auch immer man es ausgestalten will.
Maleike: Herr Schäuble ha
tte es gesagt - also der Bundesfinanzminister -, ungefähr 1,17 Milliarden Euro...
Wanka: Ich habe auf 1,2 gerundet.
Maleike: Okay, Sie sind ja Mathematikerin. Trotzdem ist immer noch die Frage: Bislang haben sich die Länder ja in so einer Art Selbstverpflichtung erklärt, dass sie dieses Geld dann tatsächlich auch wieder reinvestieren in die von Ihnen genannten Bildungsbereiche. Wie sicher sind Sie sich, dass das auch passiert?
"Ganzen Prozess mit einem Monitoring begleiten"
Wanka: Alle, alle kennen die Klagen der Politiker aus den Ländern, dass sie mehr Geld für Schule brauchen, dass sie mehr Geld für Hochschule brauchen. Und ich denke, die Politiker in den Ländern sind auch dem Wähler verpflichtet und müssen dann auch sagen:
Wieso wird dieses Geld, was wir jetzt dafür bekommen haben, nicht dort eingesetzt? Das, denke ich, ist ein ganz starkes Argument. Und im Bundestag haben die Regierungsfraktionen beschlossen, diesen ganzen Prozess mit einem Monitoring zu begleiten. Also immer transparent zu machen für die Öffentlichkeit: Wo wird es falsch angewendet? Wo wird es vielleicht in Schuldentilgung genommen? Und wo geht es wirklich in die Schulen oder geht es in die Hochschulen? Wie macht man das in den einzelnen Bundesländern? Und von diesem Prozess verspreche ich mir etwas. Vor allen Dingen, weil die Summen sind relativ klar. Jeder weiß, um welche Millionensumme es in welchem Bundesland geht, und dann kann man sehr gut nachverfolgen, was damit passiert.
Maleike: Sie wollen das aber nicht kontrollieren? Weil Sie sagen: Es fällt auf, wenn zum Beispiel dann statt in Bildung oder in Schulen in die maroden Brücken zum Beispiel investiert würde?
"Länder bekommen das Geld zur Entlastung"
Wanka: Es wird durch das Monitoring deutlich, aber wir haben als Ergebnis des Koalitionsvertrages: Die Länder bekommen das Geld zur Entlastung und nicht der Bund teilt detailliert zu. Und das muss man akzeptieren.
Maleike: Sie haben gesagt: Der Bund ist demnächst ab 2015 allein fürs BAföG zuständig, dadurch entsteht diese Entlastung für die Ländern, die dauerhaft ist. Heißt aber auch, dauerhaft wird der Bund für BAföG zuständig sein?
Wanka: Ja.
Maleike: Ist das ein Wunsch, den Sie hatten?
Wanka: Eigentlich Nein
Maleike: Und ein Signal natürlich an diejenigen, die BAföG bekommen, die warten da ja schon länger darauf. Es war ja eigentlich, bevor die Bundestagswahl stattfand im letzten Herbst, schon klar, dass eine Erhöhung sich zumindest anschickt. Wie hoch, denken Sie, wird diese Erhöhung ausfallen?. Aber es ist eine ganz elegante Möglichkeit, um jenseits von irgendwelchen Grundgesetzveränderungen - die man natürlich braucht – dafür zu sorgen, dass ab 1. Januar nächsten Jahres unbefristet Geld zur Verfügung steht. Und das ist so wichtig, dass ich glaube, dieser Weg hat große Vorteile. Er ist auf jeden Fall realistisch und er ist auch ein Signal an die Hochschulen: Jetzt passiert schnell etwas. Und das ist die Sache wert.
"Wir brauchen die BAföG-Novelle!"
Wanka: Der Finanzminister hat den finanziellen Rahmen für die Novelle genannt, der zur Verfügung steht. Und ich denke - wir werden das ja jetzt im Herbst vorlegen, dass das schon Größenordnungen sind, worüber sich die Studierenden freuen werden. Und ich habe von Anfang an - das wissen Sie - als ich ins Amt kam gesagt: "Wir brauchen die BAföG-Novelle!" Und bin jetzt sehr froh, dass im Gegensatz zum Koalitionsvertrag, wo es nicht genannt wurde, wir jetzt das ganz klare Okay haben und auch die Gelder dafür, dass diese Novelle kommt.
Maleike: Da muss ich noch mal nachfragen: Was wäre dann Ihre Wunscherhöhung?
Wanka: Keine Antwort. Ich entscheide mich, das dann zu verkünden, wenn wir es fertig haben.
Maleike: Entschieden wurde in der Großen Koalition oder besser gesagt, die Parteispitzen der Großen Koalition haben sich darauf verständig, dass es auch eine Grundgesetzänderung geben soll, und zwar im Bereich der Hochschulen. Das war Ihnen ganz wichtig. Und jetzt liegt ein Entwurf auf dem Tisch. Das heißt, Sie machen Dampf in der Geschichte?
Wanka: Ja. Wir wollen - also vonseiten der Bundesregierung und insbesondere Thomas de Maizière als verfassungsgebendes Ministerium und unser Haus - diese Grundgesetzänderung noch in diesem Jahr realisieren. Das heißt, wir möchten den letzten abschließenden Bundesrat im Dezember erreichen. Und das geht nur, wenn wir jetzt sehr konzentriert vorlegen und diskutieren. Und dieser Diskussionsprozess ist jetzt gestartet.
Maleike: Was genau wird denn verändert? Also, wie werden die Zuständigkeit dann künftig sein?
Wanka: Wir haben ja im Bereich der Wissenschaft kein Kooperationsverbot, sondern wir haben Kooperationen, lange geübte Kooperationen über alle Außeruniversitären - also Helmholtz, Leibniz et cetera -, auch die Prozedere, wie man da sich abstimmt mit den Ländern, wie man gemeinsame Strategien macht. Und wir haben auch im Bereich der Hochschulen so viel Kooperationen - jetzt zur Zeit schon -, wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Denken Sie nur an die Milliardenpakete "Hochschulpakt", "Qualitätspakt Lehre", "Exzellenzinitiative". Aber all das war immer unter der Prämisse: Es darf nur temporär, zeitlich begrenzt sein und der Bund kann nicht in Institutionen auch finanzieren im Hochschulbereich. Und genau das ist der Makel gewesen. Und jetzt ist die Vorstellung oder die Absicht, dass man auch unbefristet im Hochschulbereich als Bund sich engagieren kann. Und dass die Grundkompetenz natürlich föderal bei den Ländern bleibt, aber dass man, so wie im außeruniversitären Bereich, Strategien gemeinsam machen kann: Bund und Länder für das Herzstück des Wissenschaftssystems, für die Hochschulen.
"Es wird keine Bundesuniversitäten geben"
Maleike: Es wird also nicht so sein, dass es reine Bundesuniversitäten geben wird?
Wanka: Nein, auf keinen Fall. Auf keinen Fall. Das ist in keiner Weise die Absicht. Und es sollen Dinge sein, die sozusagen für die Nation als Ganzes von Interesse sind. Das kann auch mal ein einzelnes Institut sein, was ein Land, ein Bundesland überfordert, was aber für uns insgesamt in der Landeskunde von Interesse ist. Das kann ein Thema sein, wie "Professorinnenprogramm", was sehr viele Hochschulen betrifft, also nicht nur einige wenige, was aber substanziell ist, oder "Qualität der Lehre". Das sind Dinge, die im Bundesinteresse sind. Aber es kann auch sein "Exzellenzcluster" weiterführen und anderes.
Maleike: Und was heißt das für die Exzellenzinitiative?
Wanka: Also die Exzellenzinitiative ist ja jetzt ausfinanziert und läuft bis 2017. Und wir überlegen und diskutieren: Wie geht es weiter? Und für dieses „Wie geht es weiter?" vereinfacht das die Dinge. Wenn man also zum Beispiel sagt: Man will Cluster langfristig unterstützen, dann ist das theoretisch möglich - das ist jetzt keine feste Zusage, dass wir das so machen, aber das ist dann machbar. Also auch für die Weiterführung der Exzellenzinitiative und für die Kooperation außeruniversitär und universitär ist das ein totale Veränderung. Also diese Grundgesetzänderung wird über den Tag hinaus wirken.
Wanka: Unsere Arbeit geht dahin, dass wir das in diesem Jahr abschließen, sodass es dann ab nächstem Jahr gelten kann.
Maleike: Wann denken Sie denn, dass die Grundgesetzänderung Gesetz wird?
Maleike: Frau Wanka, der nationale Bildungsbericht 2014 liegt seit Kurzem vor, der alle zwei Jahre im Auftrag von Kultusministerkonferenz und Ihrem Bundesministerium veröffentlicht wird. Dieser Bericht bilanziert sozusagen die Fortschritte und Probleme unseres Bildungssystems von der Kita bis zu Beruf und Hochschule. Und danach ist der Trend zu mehr Bildung in Deutschland zwar unverkennbar. Es gibt mehr Abiturienten und mehr Studienanfänger beziehungsweise Absolventen und in den Unternehmen wächst das Interesse an Weiterbildung. Aber trotzdem bleiben noch zu viele Jugendliche ausgegrenzt. Wie werten Sie denn diesen neuen nationalen Bildungsbericht?
Wanka: Also ich sage: Er ist Zustimmung, also Ermutigung, aber auch Auftrag. Also es ist ganz klar gekennzeichnet: Wo haben wir Erfolge errungen, worüber kann man sich freuen, und trotzdem wird deutlich: Was sind noch Schwächen oder wo müssen wir weiter marschieren. Und so ein Bildungsbericht, auch insbesondere hier mit dem Schwerpunktthema "Inklusion", Menschen mit Behinderung, der ist immer sehr, sehr wichtig, weil wir dann verlässliches Datenmaterial für die ganze Bundesrepublik haben und nicht nur für einzelne Länder und nicht nur von Interessengruppen. Also Ermutigung, aber eben auch Auftrag. Und es geht im Bildungsbereich nicht alles zack zack, sondern da braucht man auch einen längeren Atem. Und deswegen ist so ein Zwischenschritt oder so eine Bilanz immer sehr wichtig.
Maleike: Was sehr deutlich geworden ist in diesem Bericht ist, dass wir immer noch diese große Schere haben zwischen Herkunft und Bildungserfolg. Das ist für eine "Bildungsrepublik Deutschland" eigentlich eine echte Achillesferse, oder?
Wanka: Schon 2000, als der erste PISA-Bericht kam, waren wir natürlich über die Ergebnisse in Deutsch und Mathe enttäuscht, aber das eigentliche Problem war - womit wir nicht gerechnet haben in diesem Maße - diese Abhängigkeit. Seitdem ist viel geschehen. Und wir haben dort auch eine positive Tendenz. Also auch im letzten PISA-Bericht, auch was jetzt Menschen mit Migrationshintergrund anbetrifft, die mehr zum Gymnasium kommen oder anderes, dass sich die Leistungen verbessert haben. Aber auf dem Weg ist noch Einiges zu tun.
Maleike: Die Inklusion haben Sie angesprochen. Das ist natürlich eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, und wenn man sich mit Lehrern unterhält, wahrscheinlich im Moment die allergrößte. Sie haben angekündigt, ein Förderprogramm für die Inklusion aufzulegen, haben ich das richtig verstanden?
Wanka: Nein, Forschung. Ein Forschungsprogramm zu all diesen Themen, weil dort viele Zusammenhänge noch gar nicht klar sind, also wo wir da auch wirklich Untersuchungen brauchen. Und das wollen wir starten. Und da haben wir auch gewartet auf diesen Bildungsbericht, der uns dann Fingerzeige gibt: Was sind Bereiche, wo uns einfach Erkenntnisse fehlen, wo wir Scheinkorrelationen haben, wo wir nicht wissen, was hängt womit zusammen. Und ein Forschungsprogramm wollen wir starten jetzt im Herbst zu diesem Thema.
Maleike: Jetzt habe ich die Lehrer schon angesprochen. Die Lehrer sind ja Dreh- und Angelpunkt, auch gerade natürlich bei Bildungserfolgen und auch beim Thema Inklusion. Die amtierende Vorsitzende der Kultusministerkonferenz in diesem Jahr ist Sylvia Löhrmann, die NRW-Schulministerin, und sie hat gesagt: "Wir werden auf jeden Fall die Lehrerausbildung nach mal im Hinblick auf die Inklusion verbessern müssen." Das kommt Ihnen auch zupass?
Wanka: Ja. Wir haben eine Qualitätsoffensive "Lehrerbildung" - die haben wir ja besprochen mit den Ländern. Da war die notwendige Bedingung, dass bis zum Ende letzten Jahres alle Gesetze so geändert werden müssen, dass Lehramtsabsolventen problemlos von einem Land ins andere wechseln können, dort Anstellung finden, und dass wir jetzt nach dem Abschluss der Haushaltsaufstellung, die Förderausschreibung für diese Qualifizierungsoffensive "Lehrerbildung" rausgeben. Und da hängt es auch davon ab, was eingereicht wird. Und da werden sehr viele Anträge sein, Vorschläge zur Verankerung von Inklusion in der Lehrerbildung. Und dafür stehen in den nächsten Jahren 500 Millionen zur Verfügung.
Maleike: Also wo steckt jetzt diese Initiative? Wann kann es da losgehen?
Wanka: Die ist fix und fertig konzipiert - also wer entscheidet, wie ist es mit den Summen, was geht wohin. Wir mussten nur abwarten, dass unser Haushalt steht. Also das wird jetzt noch vor Semesterende ausgeschrieben.
Maleike: Inklusion ist nur ein Thema dabei. Das andere ist, dass es im Bereich Schule auch immer wieder die Forderungen gibt, dass auch da das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern fallen sollte. Wie denken Sie darüber? Sollte es fallen?
Wanka: Also was den Schulbereich anbetrifft, kenne ich keine Gemeinsamkeit der Bundesländer. Und solange es dort nicht gemeinsame Positionen gibt: Wir wollen das und das, dass der Bund das kann oder möchte, solange kann man nicht miteinander reden. Wenn es eine gemeinsame Länderposition gibt, denke ich, dann wäre ich auch sehr gesprächsbereit.
Maleike: Eine gemeinsame Länderposition wird schon schwierig, weil Herr Spaenle, der Bayrische Kultusminister, sofort nachdem klar war, dass eine Grundgesetzänderung kommen wird im Hochschulbereich, gesagt hat: "Ja, wunderbar, aber bei uns bitte nicht im Schulbereich!" Also wird das wahrscheinlich auf den Sankt-Nimmerleinstag verschoben, oder?
Wanka: Nein. Aber ich will zur Ehrenrettung sagen, dass zum Beispiel auch der Ministerpräsident von Baden-Württemberg das vehement ablehnt, im Schulbereich etwas zu verändern. Und ich denke, an der Stelle kann der Bund ja nichts machen, sondern wenn sie Länderkompetenzen abgeben wollen, dann muss das von den Ländern kommen. Und da sehe ich im Moment keine - wie Sie es eben an ein, zwei Beispielen charakterisierten - einheitliche Position.
Maleike: Es könnte aber sein, wenn dann die eine Grundgesetzveränderung erklärt ist und ein Gesetz ist, dass man dann möglicherweise auf den anderen Bereich auch noch mal zu sprechen kommt?
"Ich bin sehr froh, wenn wir das dann geschafft haben"
Wanka: Es wird schon auch ein ganzes Stück Arbeit, die Grundgesetzänderung Artikel 91b im Wissenschaftsbereich jetzt zu realisieren, und ich bin sehr froh, wenn wir das dann geschafft haben.
Maleike: Frau Wanka, Sie sind nicht nur Bundesbildungsministerin und Bundesministerin für Forschung, sondern auch für die berufliche Bildung zuständig. Jetzt haben wir eine aktuelle Situation, dass wir wieder Meldungen haben über noch offene Lehrstellen. Ungefähr 30.000 werden jetzt noch gemeldet zum anstehenden Lehrjahr, und trotzdem haben wir aber auch sehr viele Jugendliche, die immer noch suchen. Die Arbeitsmarktforschung spricht da von „Mismatching". Was, denken Sie, läuft da falsch?
Wanka: Ich würde nicht einfach sagen "es läuft falsch", sondern es ist kompliziert. Es ist kompliziert, für die vielen neuen Berufsbilder, die es gibt, den jungen Leute, die sich ja bei ihren Eltern und Großeltern und Freunden beraten, deutlich zu machen, welcher Beruf passt zu mir. Und ich denke, wir haben sehr viele Beratungsangebote bei der BA, wir haben viel im Internet, wir haben Flyer. Was man braucht, ist eine sehr individuelle Beratung für die jungen Menschen. Und da bemühen wir uns zum Beispiel mit dem Programm "Bildungsketten", was sehr gut angenommen wird. Also das ist für mich der Weg, um vonseiten des Bundes bei diesem Matching-Problem zu unterstützen, das zu bewältigen.
Maleike: Ein anderes ist ja, dass es bestimmte Branchen gibt, die einfach ein schlechtes Image haben. Also es will kaum noch jemand Koch werden oder in die Gastronomie gehen, weil man weiß, man wird unter Umständen schlecht bezahlt oder hat sehr hohe Arbeitsstunden. Müsste da nicht eigentlich auch ein bisschen bei den schwarzen Schafen mal stärker drauf geguckt werden, dass besser ausgebildet wird?
Wanka: Wir wollen natürlich eine qualifizierte Ausbildung haben, und wir müssen für die duale Ausbildung werben. Und das ist nicht ganz einfach in Deutschland, wo man immer dazu neigt: Also ein Bachelor- oder Master-Zeugnis an der Wand, das wird noch höher gewertet als der Abschluss einer beruflichen Ausbildung. Ich finde die Kampagne des Handwerks sehr gut für die duale Ausbildung. Und wir machen ja auch Einiges in der Richtung. Aber es ist eine ganz wichtige Aufgabe deutlich zu machen - auch für junge Leute mit Abitur -, welche Chancen sie haben, wenn sie jetzt über die duale Ausbildung in einen mittleren Betrieb mit überschaubarer Personenzahl gehen, welche Karrieremöglichkeiten sie haben. Und nicht jeder will in einem Großbetrieb dann sozusagen ein Rädchen sein, sondern die Vorteile, die es auch gerade im Mittelstand, auch in kleineren Betrieben bietet. Und da sind wir gemeinsam auf dem Weg, also sowohl die Kammern, als auch die Wirtschaft, als auch die Landesminister. Da wollen wir unsere Anstrengungen verstärken.
Maleike: Studienabbrecher waren ja früher mehr oder weniger auch eine Gruppe, um die sich niemand gekümmert hatte, die immer auf sich allein gestellt waren. Nun hat man sie entdeckt. Ist das nicht eigentlich schade, dass man Studienabbrecher ins Handwerk bringen muss? Eigentlich muss man doch erst mal gucken, dass das Studium gelingt?
"Es gibt Gründe ein Studium abzubrechen"
Wanka: Ja, ganz klar. Zwei Dinge: Präventiv versuchen oder überhaupt sich darum zu kümmern, dass es einen Studienerfolg gibt. Da haben wir ja auch mit "Qualitätspakt Lehre" interessante Projekte an den Hochschulen. Trotzdem wird es immer so sein - das weiß ich auch aus meiner eigenen Zeit als Hochschullehrerin -, dass es Gründe gibt, ein Studium abzubrechen. Das können persönliche Gründe sein, das kann eine völlig andere Vorstellung sein, was man in einem solchen Studium realisiert. Und ich habe es immer wieder erlebt, dass das persönlich ein Einschnitt ist. Man traut sich dann nicht, es zu Hause zu sagen, man verliert Lebenszeit. Und ich finde, diese jungen Leute, die ein Abitur bestanden haben, die einige Semester studiert haben, die wirklich helle im Kopf sind, denen sollte man sofort Möglichkeiten bieten, wenn sie sehen: 'Das Studium ist nicht der richtige Weg für mich.' Und nicht, dass sie unnötig Zeit verlieren oder sich auch persönlich gekränkt fühlen oder enttäuscht sind. Und deswegen glaube ich, dass diese Durchlässigkeit, dass man studieren kann ohne Abitur mit beruflicher Qualifikation, aber eben auch dass man vom Studium unter Anrechnung der Credits sehr schnell einsteigen kann, quer einsteigen kann in berufliche Bildung oder in Aufstiegsfortbildungen. Das ist mir ganz wichtig. Und das ist auch wichtig unter dem Aspekt, dass wir jedem optimale Chancen bieten wollen. Und wir brauchen die, die leistungsschwächer sind, dass wir die besonders fördern, damit sie in die Ausbildung gehen, aber wir brauchen auch die, die leistungsstärker sind, solche brauchen wir auch in der dualen Ausbildung. Und deswegen diese Initiative, die wir jetzt gestartet haben, wo wir mehrere Millionen in den nächsten Jahren ausgeben, um dieses stärker zu verankern. Und ich habe mich gefreut, dass aufgrund der Tatsache, dass das thematisiert wurde, sich jetzt junge Leute trauen und anrufen bei den Kammern und sagen: "Ich möchte!" Und das wollen wir noch sehr viel einfacher machen und auch fördern und gestalten.
Maleike: Würden Sie sagen, dass wir in Deutschland eine "Überakademisierung" betreiben? Das haben ja zum Beispiel sehr viele Vertreter aus dem wirtschaftlichen Bereich in den letzten Wochen angemerkt.
Wanka: Ja - also ich sage jetzt nicht "Ja" zu der Überakademisierung, sondern: Ja, wir haben viele Jahre Schelte bekommen, es würden zu wenig studieren, 'Deutschland würde als Innovationsland große Probleme haben. Wir haben sehr viel gemacht. Wir haben die Kapazitäten ausgebaut. Wir haben jetzt bei den starken Studiengängen die Möglichkeit eröffnet, dass jeder, der studieren will, dieses auch machen kann. Und das ist richtig. Aber wir haben viel zu viele, die abbrechen. Das heißt, ich finde, jeder, der jetzt studieren möchte und die Chance hat, ein Studium zu absolvieren - erfolgreich -, der soll es tun. Weil die potenziellen Studentenzahlen gehen extrem runter bis 2023. Das heißt, diejenigen, die jetzt erfolgreich Zahnarzt werden, Rechtsanwalt, Ingenieur, Architekt, die brauchen wir dann in den 20er, 30er, 40er, 50er Jahren dieses Jahrhunderts. Und deswegen: Jeder der studieren möchte und es erfolgreich bewältigen kann, der soll es. Aber es soll auch auf der anderen Seite klar sein: Es ist nicht für jeden der richtige Weg, auch nicht für jeden Abiturienten. Und deswegen auch die anderen Angebote von vornherein sozusagen neutral offerieren und damit ein Stück stärker individuell beraten.
Maleike: Das heißt, die Wertigkeiten zwischen Studium und beruflicher Bildung dürften nicht die sein: Studium ist das Allheilmittel und die berufliche Bildung ist das, was dann danach möglich ist, wenn das Studium nicht möglich wäre? So verstehen wir Sie richtig?
Wanka: Ja. Ja, von vornherein das als einen attraktiven Weg. Und da haben wir ja viel getan. Wenn man heute Tischler lernt, dann kann man in Deutschland - jedenfalls in Niedersachsen, wo ich verantwortlich war - Design studieren in einigen Jahren, wenn man merkt: Mir macht hier das Handwerk Spaß, aber ich bin kreativ. Dann braucht man kein Abitur nachholen, keinen zweiten Bildungsweg, sondern das sind Möglichkeiten. Und deswegen ist es kein Umweg, sondern unter Umständen der richtige Weg für junge Leute, mit den Chancen, die sich dann später bieten. Und das ist auch für die Hochschulen von Interesse.
Maleike: Es gibt ja viele Studiengänge, in denen es sehr hohe Abbruchquoten gibt: Physik, Mathematik, Maschinenbau. Da ist zum Teil bis zu 40, 50 Prozent von einem Jahrgang weg. Da sind die Hochschulen schon aber auch noch mal gefordert nachzubessern, oder?
An den Hochschulen sind viele Anstrengungen vorhanden
Wanka: Ja. Es ist die Verantwortung der Hochschulen, das Studium so zu gestalten, dass man es erfolgreich absolvieren kann. Und ich sagte vorhin "Qualitätspakt Lehre". Es sind sehr viele Anstrengungen in den Hochschulen vorhanden, auch so festzustellen: Was bedingt den Studienerfolg? Aber ich finde, man muss auch an den Hochschulen dann intensiv beraten, wenn man sieht: Es wird nicht funktionieren oder von vornherein darüber aufklären, dass derjenige vielleicht ganz falsche Vorstellungen hat von dem Studiengang. Also ich habe es erlebt bei Umwelttechnik an meiner alten Hochschule, dass dann viele Mädchen, weil sie dachten: 'Es ist so grün' und als gemerkt wurde; 'Es ist richtige schöne Verfahrenstechnik', da erschien es ihnen als nicht das Richtige. Und da kann man auch vorbeugen.
Maleike: Die "alte Hochschule" war die Fachhochschule Merseburg, wo Sie Rektorin waren.
Wanka: Ja.
Maleike: Sie haben ja alle Facetten durchlaufen, insofern kennen Sie natürlich die Hochschulen sehr gut. Wir haben in unserem Gespräch jetzt viele einzelne Bildungsbereiche angesprochen. Sagen Sie uns doch noch zum Schluss: Wo steht für Sie, die von Bundeskanzlerin Merkel ausgerufene Bildungsrepublik Deutschland im Moment?
Wanka: Ich denke, seit dem 2008er Termin der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten, haben wir Vieles erreicht - zum Beispiel drei Prozent für Forschung vom BIP (Bruttoinlandsprodukt). Wir sind bei den Schulabbrechern jetzt bei 5,9 Prozent. Das ist immer noch zu viel, ist aber wesentlich, wesentlich mehr gewesen - es waren mal irgendwann 12 Prozent und 2008 waren es 8 Prozent. Wir haben Vieles gemeinsam erreicht. Bund und Länder zum Beispiel, demografischer Entwicklung Rechnung tragen, den potenziell möglichen Studierenden durch den Hochschulpakt auch wirklich die Möglichkeit zum Studium zu geben. Aber es ist auch noch viel zu tun, zum Beispiel das Thema Bildungsgerechtigkeit. Ich glaube, da haben wir noch eine lange Wegstrecke vor uns, bevor alle der Meinung sind: Es ist wirklich Bildungsgerechtigkeit vorhanden in diesem Staat.
Maleike: Frau Wanka, schönen Dank für das Gespräch und viel Erfolg für Ihre weitere Arbeit als Bundesministerin für Bildung und Forschung. Danke für den Besuch.
Wanka: Danke.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Johanna Wanka, geborene Müller, wurde am 1. April in Rosenfeld geboren. Sie ist eine deutsche Politikerin der CDU und seit dem 14. Februar 2013 Bundesministerin für Bildung und Forschung. Von 2000 bis 2009 war sie Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur in Brandenburg. Von 2010 bis 2013 war Wanka niedersächsische Ministerin für Wissenschaft und Kultur.