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Johannes Brahms: Klarinettenquintett h-moll, op. 115 und Streichquintett Nr. 2 G-dur, op. 111

...mit Norbert Ely am Mikrofon. Herzlich willkommen zu einer neuen Aufnahme aus dem Bereich der Kammermusik. Es wird heute nur um eine einzige CD zu tun sein; die freilich hat es in sich, denn darauf geht es um das Klarinettenquintett von Johannes Brahms und um dessen zweites Streichquintett G-dur op. 111, also um zwei Spätwerke, die in ihrer Raffinesse der Stimmführung und der Klangwirkungen und damit auch in ihren Anforderungen an die Interpreten kaum zu überbieten sind. Das Alban Berg Quartett existiert inzwischen seit mehr als einem Vierteljahrhundert. Die Initialen ABQ, verbunden mit der Jahreszahl 1971 in römischen Ziffern, verleihen den CDs des Ensembles, die bei EMI Classics erscheinen, schon geradezu die Anmutung eines eigenen Labels. Nun steht das Alban Berg tatsächlich für Qualität; man könnte sogar sagen: für Qualitätskontrolle. Alles, was sie unter den Bogen nehmen, wird mit äußerster Sorgfalt produziert. Geniale Nebenerscheinungen sind selten. Man könnte auf dieses Ensemble ein Wort anwenden, das das Cleveland für seinen langjährigen Chefdirigenten George Szell erfand: Es probt sogar die Inspiration. Das Handicap der Bergs ist und bleibt der Primarius Günter Pichler. Er ist ein sehr guter Geiger, ohne Zweifel. Aber ein wirklich schöner Ton war ihm nie gegeben. Stets schwingt ein leicht penetranter Unterton mit - oder muß man in diesem Fall sagen: Oberton? Da stellte es sicher eine gute Wahl dar, sich für das Brahms'sche Klarinettenquintett mit Sabine Meyer zusammenzutun. * Musikbeispiel: J. Brahms - Klarinettenquintett h-moll, op.115 Der helle, lichte Klarinettenton von Sabine Meyer korrespondiert in der Tat wohl doch noch am besten mit der Geige von Günter Pichler. Der dunkle, schattenreiche Wurlitzerklang von Karl Leister etwa wäre in diesem Zusammenhang schwer vorstellbar. Leister hat ja erst vor kurzem dieses Quintett gleich zwei Mal eingespielt, mit dem Brandis-Quartett und dem Leipziger Streichquartett, die beide wiederum seiner Auffassung von Brahms so weit entgegenkommen, daß man nicht recht weiß, welcher dieser beiden neueren Aufnahmen des ehemaligen Berliner Philharmonikers man den Vorzug geben soll. Daneben gibt es immer noch seine alte Referenzaufnahme mit dem Amadeus, die freilich deutlich aus einer anderen Zeit herübergrüßt, und eine weitere Einspielung mit dem Vermeer-Quartett. Sabine Meyer gehört einer anderen Generation von Klarinettisten an, die ihren Brahms leichter nimmt. Das kommt der Faktur des Werks gewiß zugute. In Extreme des Ausdrucks begeben sich freilich alle Beteiligten nicht. Dabei handelt es sich bei dieser neuen EMI-CD um Live-Mitschnitte aus dem Mozartsaal des Wiener Konzerthauses, die Mitte 1998 entstanden sind. So vielleicht ist zu verstehen, daß bei den dem Cimbalon abgelauschten, beinahe rezitativischen Zweiunddreißigstel-Läufen der Klarinette im langsamen Satz denn doch Registerbrüche zu vernehmen sind. Da hätte Sabine Meyer bei einer Studioaufnahme sicher auf einer Korrektur bestanden. Bei einem Klarinettisten wie Michael Collins erinnern solche Stellen übrigens beinahe an Gershwins "Rhapsodie in Blue", schlägt also ein völlig anderer Geist des spontanen Musizierens durch. Insgesamt schwingt in dieser Aufnahme mit Sabine Meyer und dem Alban Berg Quartett ein Moment von Nach-Innen-Hören, vielleicht sogar von Resignation mit, was Brahms denn doch nicht ganz gerecht wird. Der Alte mit dem Landwehrbart war zum Zeitpunkt der Komposition doch ziemlich frisch und munter und durchaus temperamentvoller als die Polizei erlaubt. * Musikbeispiel: J. Brahms - Klarinettenquintett h-moll op.115, 4.Satz (Ausschnitt). Soweit noch einmal das Klarinettenquintett von Johannes Brahms mit Sabine Meyer und dem Alban Berg Quartett. Für das zweite Streichquintett G-dur, das op.111 von Johannes Brahms, tat sich das Ensemble mit dem Bratschisten Hariolf Schlichtig zusammen. Der nun integriert sich einerseits perfekt in die Klangvorstellungen der Kollegen, anderseits bringt er immer wieder ein Moment von Attacke in den Sound, was dem interpretatorischen Gestus bestens bekommt. Schlichtig ist im Quintett sozusagen der Geist heilsamer Unruhe, und es ist immer wieder erstaunlich, wieviel Impuls von den Mittelstimmen, eben denen der Violen, ausgehen kann und muß. Anderseits spielt in diesem Quintett der Cellist Valentin Erben frei auf, entfaltet den reichen Ton, dessen er fähig ist, mit einiger Entschiedenheit. Das Cello muß ja auch schon zu Beginn des Kopfsatzes sich mit Energie durchsetzen, damit die Musik überhaupt Gestalt gewinnt. * Musikbeispiel: J. Brahms - Streichquintett Nr.2 G-dur op.111, 1. Satz, Allegro non troppo, ma con brio (Ausschnitt) Die dunkle Seite der Brahms'schen Musik steht in dieser Interpretation durch das Alban Berg Quartett zusammen mit dem Bratschisten Hariolf Schlichtig nicht für Resignation, sondern für ungebrochene Kraft. Der dritte Satz, un poco allegretto, klingt zwar auf weite Strecken licht und duftig, aber aus den Mittelstimmen heraus wird der Satz immer wieder aufgebrochen, was dem widersprüchlichen Denken des Johannes Brahms allemal besser gerecht wird als eine nur aufs Atmosphärische konzentrierte Interpretation. * Musikbeispiel: J. Brahms - Streichquintett Nr.2 G-dur op.111, 3.Satz, Un poco allegretto Das war die neue Platte, heute mit einer neuen CD der EMI Classics: das Klarinettenquintett und das zweite Streichquintett von Johannes Brahms, live eingespielt vom Alban Berg Quartett zusammen mit der Klarinettistin Sabine Meyer respektive dem Bratschisten Hariolf Schlichtig. Am Mikrofon verabschiedet sich Norbert Ely und wünscht Ihnen noch weiterhin einen angenehmen Sonntag.

Norbert Ely |