Christiane Florin: Am 16. Oktober 1978 trug sich im Vatikan eine Sensation zu. Der Erzbischof von Krakau, Karol Wojtyla, wurde zum Papst gewählt. Eine Sensation in mehrfacher Hinsicht: zum einen, weil er aus Polen kam, damals noch Ostblock. Zum anderen, weil der 58-Jährige eine – für vatikanische Verhältnisse – jugendliche Ausstrahlung hatte. Der Neue, der sich Johannes Paul II. nannte, amtierte bis 2005. Johannes Paul II. überlebte ein Attentat, bereiste die Welt, zeigte sich menschlich nahbar - und dogmatisch unnachgiebig.
Heute, am 18. Mai, wäre Karol Wojtyla 100 Jahre geworden. Matthias Drobinski und Thomas Urban, beide Journalisten der "Süddeutsche Zeitung", haben eine neue Biografie geschrieben: "Der Papst, der aus dem Osten kam". Sie zeigen einen politischen Papst und begutachten das kirchenpolitische Erbe. Mit den beiden Biografen habe ich vor einigen Tagen gesprochen. Wie haben Sie Johannes Paul II. untereinander aufgeteilt?
"Strenges Regiment, unter dem die Kirche bis heute leidet"
Thomas Urban: Ich habe 24 Jahre lang aus Osteuropa berichtet, spreche polnisch und russisch. Ich habe mir dann die Biografie von Karol Wojtyla bis zu seiner Wahl im zum Papst im Jahr 978 mir vorgenommen. Die Teile, die das Theologische betreffen, das Zweite Vatikanische Konzil etwa, hat Matthias Drobinski übernommen. Aus der Papstzeit habe ich mich um die Ostpolitik Johannes Paul II., seine Kontakte zur russisch-orthodoxen Kirche und vor allen Dingen um seinen Anteil am Fall der Berliner Mauer gekümmert.
Matthias Drobinski: Ich habe den Rest gemacht. Ich bin derjenige bei der "Süddeutschen Zeitung", der sich für Kirchen, Theologie, Religionen interessiert und damit beschäftigt. Das war dann mein Part: Ich habe geschaut, was seine theologischen Wurzeln sind. Wie war er auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil, wo er als Reformer auftrat? Und wie kam es, dass er später dann zu dem umstrittenen Papst wurde, der auf der einen Seite vieles modernisierte und auf der anderen Seite innerhalb der Kirche ein sehr strenges Regime führte, unter denen diese Kirche heute noch leidet.
Florin: Karol Wojtyla, vor genau hundert Jahren geboren in Wadowice in der Nähe von Krakau, der Vater Leutnant, die Mutter Hausfrau. Die Mutter stirbt, als der Junge neun Jahre alt ist. Er hat zwei Geschwister. Karol war ein sehr guter Schüler, ein frommer Junge, aber auch jemand, der als Jugendlicher gerne getanzt hat, dabei züchtig blieb, wie ich Ihrer Biografie entnehme. Er studierte später Philosophie und Literatur, und seine Kommilitonen meinten: Der wird mal Schauspieler. Warum wurde er Priester?
Uban: Er hat als junger Mann den Zweiten Weltkrieg erlebt. Er war jeden Tag mit Schrecken, mit Tod, mit Ungerechtigkeiten durch die deutschen Besatzer konfrontiert. Polen erlebt ihr eine Terrorherrschaft der Deutschen. Die Besatzung Polens bedeutete nicht nur die Verfolgung der Juden, sondern sie bedeutete für die Polen auch eine Christenverfolgung. Mehr als 2000 Priester kamen ins KZ, darunter fünf Bischöfe. Sie sind im KZ umgekommen. Karol Wojtyla musste im Untergrund seine Freunde und seine Kollegen treffen. Sie haben im Untergrund über Literatur geredet, über den Sinn des Lebens im Zeichen des Krieges. Sie haben im Untergrund Theater gespielt, polnische Klassiker. Diese tägliche Konfrontation mit dem Leiden mit der Ungerechtigkeit hat ihn nach zugeführt, selbst Priester zu werden.
"Menschliche Würde war sein Lebensthema"
Florin: Er ist im Untergrund Priester geworden, Sie haben es gerade gesagt. Es war auch ein Priesterseminar im Untergrund. Ein Thema, das ihn immer beschäftigt hat, im Studium und dann auch in seiner Doktorarbeit 948 ist die Frage der menschlichen Würde. Er nannte das "Grundzüge eines christlichen Humanismus". Herr Drobinski würde was, meinte er damit?
Drobinski: Ich glaube, dass tatsächlich diese Theologie, die er vertreten hat, ohne die Erfahrung, die Thomas gerade beschrieben hat, nicht zu verstehen ist. Er hat ja genau diese extreme Würdeverletzung, also dass der Mensch als Objekt von anderen Menschen behandelt wird, erlebt unter den Nationalsozialisten, später etwas milder, aber natürlich in der Summe nicht weniger, auch in der kommunistischen Diktatur. Dagegen hat er einen Humanismus gesetzt, der sagt: Menschenwürde besteht darin, auch auf das höher Liegende, auf das Mystische, auf das Gotteserlebnis zu sehen. Das macht den Menschen eigentlich erst zum zu Menschen. Und die Kirche ist auch dazu da, diese Menschlichkeit in die Gesellschaft zu bringen.
Er hat sich sehr viel mit den Mystikern beschäftigt, mit Johannes vom Kreuz, Teresa von Avila. Da war dieser Gedanke auch da: Der Mensch sucht etwas, was verborgen ist, was ihn zu seiner eigentlichen Menschenwürde bringt. Und das sah er maximal im Kommunismus, aber auch im Nationalsozialismus und später interessanterweise auch in einer extremen Form des Kapitalismus verletzt.
"Von den Partei-Ideologen unterschätzt"
Florin: Das Nachdenken über die Würde ist das Thema seines Lebens. Kann man das so sagen?
Drobinski: Ja, also: Was ist die Conditio humana? Was macht den Menschen zum Menschen? Da gehört die Menschenwürde und die Frage, was ja, was ist das, was ihn unterscheidet, ist in allen anderen. Was macht ihn einzigartig? Was bringt ihn dazu zu lieben, aber auch andersherum zu hassen? Ich glaube, diese Fragen haben ihn schon umgetrieben.
Florin: Herr Urban, er hat schnell Karriere gemacht in der polnischen Kirche. Er wurde Priester, er wurde Professor, Erzbischof von Krakau, dann Kardinal. Wie war diese Karriere möglich?
Urban: Diese Karriere war auch möglich, weil er immer unterschätzt wurde. Man muss sich vor Augen halten, dass in der Volksrepublik Polen die Regierung Einfluss hatte auf die Besetzung der Bischofssitze. Der Religionsminister hatte ein sehr starkes Ressort, Teile der Geheimpolizei arbeiteten ihm zu. Die größte Abteilung Geheimpolizei konnte ein Veto einlegen. Das war das Ergebnis eines Vertrags, der im Stalinismus zwischen der den Bischöfen und der Kommunistischen Partei geschlossen wurde. Die Bischöfe wollten auf diese Weise sich wenigstens kleine Freiräume erhalten, was auch gelungen ist. Von den Parteiideologen wurde Karol Wojtyla völlig unterschätzt. Sie haben gesagt: Das ist ein Philosoph, der beschäftigt sich mit Thomas von Aquin, der beschäftigt sich mit den alten Griechen. Wie kann der uns gefährlich werden? Aber genau dort, bei den alten Griechen und auch bei der mittelalterlichen Philosophie, hat er die Wurzeln für seinen Gottes- und sein Menschenbild gefunden.
Die Wonne der Sexualität, das Heilige des Aktes
Florin: Karol Wojtyla hat an der Katholischen Universität Lublin gelehrt, und eines seiner Hauptthemen war Sexualität. Er hat eine vielbeachtete Vorlesung über Liebe und Verantwortung gehalten. Dieses Thema Sexualität hat ihn ein Leben lang, vor allem dann später als Papst beschäftigt. War das eigentlich subversiv in Polen, sich mit Sexualität zu befassen?
Urban: Eigentlich nicht. In der ersten Phase des sozialistischen Regimes in der Volksrepublik wurde sogar eine gewisse sexuelle Freizügigkeit propagiert. Abtreibung war erlaubt, Scheidungen waren sehr einfach formal zu erledigen. Was neu war an Karol Wojtylas Vorlesungen, die er als junger Professor gehalten hat, war seine Distanzierung von der bisherigen Lehre der katholischen Kirche. Die propagierte sexuelle Begegnung eigentlich nur als Mittel zum Zweck der Fortpflanzung. Wojtyla führte auf einmal den Begriff der sexuellen Wonne ein. Er schrieb ausdrücklich in der ersten Fassung seines Buches "Liebe und Verantwortung", dass die Ehepartner sich gegenseitig Freude schenken sollen. Das war neu, das hatte es noch nicht gegeben. In der späteren Übersetzung des Buches – es erschien, als schon Papst war - wurde der Begriff Wonne abgeschwächt. Auf Deutsch heißt es dann Annehmlichkeit.
Florin: Herr Drobinski, warum hat ihn das Thema Sexualität so beschäftigt als Mann, der wegen des Zölibats enthaltsam leben musste oder wollte?
Drobinski: Er hatte trotzdem eine Sexualität, und das merkt man auch in vielem. Er war ein viriler Mann, der sportlich war, der Freundschaften mit Frauen pflegte, der Verliebtheiten kannte als junger Mann. Er war auch Seelsorger vieler junger Paare in Polen. Das Thema Sexualität kannte er, das beschäftigte ihn auch erkennbar sehr. Und das führte dazu, dass er zuerst sehr liberal sagte: Sexualität soll Freude machen, sie soll dazu dienen, auch Paare zueinander zu bringen. Sie ist etwas, was eben viel mehr als die Erzeugung gesunden Nachwuchses, sondern auch wirklich etwas, was den Menschen zum Menschen macht. Das hat er gerade in "Liebe und Verantwortung" so weit getrieben, dass es richtig überhöht wurde, also praktisch eine Art "heiliger Akt" wurde. Die Kehrseite davon ist, dass alles, was an Sexualität außerhalb der katholisch geschlossenen Ehe passierte, für ihn dann irgendwann quasi eine Menschenrechtsverletzung war.
Moskau sah den polnischen Papst als Bedrohung
Florin: Auf seine Sexualmoral kommen wir später noch einmal zu sprechen. Jetzt erst einmal ein Blick ins Jahr 1978, das Jahr, in dem er Papst wurde. Was bedeutete das für die Kirche und für die Welt?
Thoms Urban: In den Hauptstädten Moskau und Warschau war man erschrocken darüber, dass ein Pole Papst wurde. Man fürchtete Folgen für die Stabilität des Ostblocks, und das hat sich ja auch als richtig erwiesen. Es ist ja dann so gekommen.
Florin: Sie sehen einen unmittelbaren Zusammenhang zu dem, was dann gut zehn Jahre später passierte, also das Ende des Ostblocks?
Urban: Wenn man die mittlerweile veröffentlichten Protokolle der Politbürositzung in Moskau liest, so wurde der Papst schon kurz nach seiner Wahl als Bedrohung für die sowjetische Herrschaft in Osteuropa angesehen.
Florin: Der damalige polnische Gewerkschaftsführer Lech Walesa hat gesagt, das sei ein Tritt in den Unterleib des Kommunismus gewesen.
Urban: So ist es. Denn Johannes Paul II. kam ein halbes Jahr nach seiner Wahl nach Polen und zehn Millionen Menschen haben ihn gesehen in den neun Tagen, in denen er durch Polen gereist ist. Die Parteiführung war völlig schockiert.
"Er hat schnell sein Charisma spielen lassen"
Florin: Matthias Drobinski, was bedeutete die Wahl dieses Außenseiters für die Kirche?
Drobinski: Die katholische Kirche war in einer nicht ganz einfachen Situation. Papst Paul VI. hatte angefangen, das Konzil in die Tat umzusetzen, aber in den letzten Jahren hatte er gezögert. Man wusste nicht so recht, wie es weitergeht. Dann gab es Johannes Paul I., der nach 33 Tagen schon starb. Auch das war ein Schock. Also man suchte jemanden, den man zutraute, einerseits diese Kirche aus dieser Erstarrung oder aus dieser Mehltau-Atmosphäre zu führen.
Ich glaube, Karol Wojtyla war weniger ein Außenseiter als wir Journalisten oder als wir im Westen das dachten. Er hatte in den vergangenen Jahren sehr viele Kontakte geknüpft. Er war ein Mensch, der wirklich Freundschaften und Beziehungen pflegte. Da hatte er durchaus ein weltweites Netz von Unterstützern. Also in diesem Sinne erhofften sich viele Kardinäle von ihm auch einen Aufbruch. Auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil, an dem er als junger Bischof teilgenommen hatte, gehörte er zu den Reformern. Bei der Enzyklika "Humanae Vitae" gehörte dagegen zu denjenigen, die Papst Paul VI. davon überzeugt hatten, doch beim Verbot künstlicher Verhütungsmittel zu bleiben. Beide Seiten erhofften sich das ihre von ihm.
Aber zuerst einmal wirkte er wirklich befreiend. Beim ersten Auftritt nach seiner Wahl sagte er, er habe keine Angst. Er hat sehr schnell auch sein Charisma einfach spielen lassen. Er hat schnell die Pressearbeit zum Beispiel geändert. Er gab auf einmal einen professionellen Pressesprecher. In diesem Sinne wirkt er auch erst einmal durchaus als Reformer seiner Kirche
Florin: Herr Urban, er war ein Medienpapst, der erste Medienpapst. Er fuhr mit dem Papamobil. Es gibt viele Bilder von Menschenmassen, die ihm zujubeln. Er reiste viel, küsste den Boden. Wieviel Schauspieler steckte in diesem Papst?
Urban: Ganz sicherlich eine große Portion. Jugendfreunde haben berichtet, als er schon Papst war, dass er schon als 15-, 16-Jähriger seine Auftritte auf der Bühne auf Laienbühnen, auf Schulbühnen so angelegt hatte, dass es am Schluss großen Beifall gab. Er hatte dieses Talent, zu einer Masse zu reden, gleichzeitig aber auch in kleinem Kreis überzeugend zu wirken. All das, was man ganz einfach mit dem Wort Charisma umschreibt.
Diskussion in der Kirche galt ihm als gefährlich
Florin: In seinem Pontifikat gab es viele historische Momente. Wir können in diesem Gespräch längst nicht alle ansprechen. In Ihrem Buch kommen sie alle vor: zum Beispiel das Schuldbekenntnis, das er im Heiligen Jahr 2000 ablegte; das Bekenntnis zur Schuld, die die katholische Kirche im Laufe ihrer Geschichte auf sich geladen hatte; kurze Zeit später der Besuch in Yad Vashem, wo er um Vergebung bat für die antisemitischen Ausschreitungen von Christen; das Verhältnis, das er zu anderen Religionen pflegte, das gemeinsame Gebet in Assisi, auch das war historisch und es war innerkirchlich umstritten.
Ich möchte aber noch ein paar Fragen stellen, die auf die Ambivalenz dieser Figur abzielen. Wenn man Ihre Biografie liest, dann wirkt Johannes Paul II. unbeirrbar, unerschütterlich und vieles, was er als junger Mann schon dachte, was ihn widerständig machte gegen die Diktatur, galt auch für den späteren Papst. Diese Unbeirrbarkeit war auch ein Problem. Er hat zwei Diktaturen bekämpft, aber hat zugleich auch verhindert, dass es in der katholischen Kirche Anflüge von demokratische Debatte gab. Es ist gegen "Abweichler" hart vorgegangen, gegen die Befreiungstheologen zum Beispiel. Wie ging das zusammen?
Drobinski: Ich glaube, er hatte tatsächlich dieses Gefühl: "Ich habe eine Mission, die nicht meine eigene ist. Ich bin derjenige, der diese Kirche auch ins dritte Jahrtausend führen muss. Und ich bin auch derjenige, der diese Kirche zusammenhalten muss."
Florin: Andere haben ihn unterschätzt, hat Thomas Urban vorhin gesagt. Aber er selbst hat sich nicht unterschätzt. Er selbst hat viel von sich gehalten.
Drobinski: Eindeutig, er hat sich nicht unterschätzt. Er hatte das Gefühl: "Ich bin so eine Art Werkzeug. Ich bin derjenige, der das machen muss. Ich bin mehr als nur meine Person." Er hatte den Eindruck: Die katholische Kirche ist dann stark und dann die Anwältin der Menschenwürde, wenn sie sich nicht verdiskutiert, wenn sie intern geschlossen ist, wenn sie nicht abweicht, wenn sie zu dem steht, was sie als wahr und richtig erkannt hat. Es ging für ihn dann doch immer ums Ganze. Und das machte ihn natürlich auch zu einem unerbittlichen Gegner für alle, die das anders sahen.
Urban: In diesem Punkt kam seine persönliche Lebenserfahrung dazu. Er hat unter zwei totalitären Regimen gelebt, und beide Regime haben die katholische Kirche angegriffen, wollten sie zerstören, sowohl die Nazis wie auch die Kommunisten. Ein Instrument der Zerstörungsstrategie war die Unterwanderung der Kirche. All das wollte er auch verhindern. Es hieß: Wir müssen die Reihen geschlossen halten. Jede Abweichung ist ein Teil einer Zersetzungsstrategie.
Über sexuellen Missbrauch hinweggesehen
Florin: Würde war sein Lebensthema, die Würde des Menschen. Warum hat ihn die Würde von Betroffenen sexualisierter Gewalt so kalt gelassen, dass er ein Vertuschungssystem ermöglicht hat, dass er Täter und Beschuldigte bis zum Schluss gedeckt hat?
Urban: Das ist die Frage, die wir auch als Autoren am meisten diskutiert haben. Ich glaube, wir müssen eine Sache berücksichtigen: Vor 25 Jahren war das Thema auch in der breiten Gesellschaft nicht groß diskutiert. Das ist das eine. Das zweite ist: Er hat erlebt, wie auch gerade über den Bereich Sexualität, nämlich sexuelle Verfehlungen von Priestern, die Kirche in der Volksrepublik unterwandert worden ist. Der polnische Geheimdienst hat viele Priester, die auf sexuelle Abwege geraten waren, erpresst zur Mitarbeit. Die wurden Informanten. Johannes Paul II. und vor allem sein Faktotum Dziwisz, der die letzten Jahre dann auch schon Erzbischof im Vatikan war, waren der festen Meinung, dass diese ganzen Geschichten über Missbrauch aufgebauscht sind und im Grunde dahinter eine großangelegte Attacke auf die Kirche steht.
Drobinski: Ich glaube, es hat auch wieder mit dieser Vorstellung zu tun: Kirche muss als Institution stark bleiben, sie darf nicht durch Skandale erschüttert werden. Ich glaube, es war nicht einfach die Frage, ob diejenigen, die Priester beschuldigen, blöde Nestbeschmutzer sind. So einfach hat er nicht gedacht. Man kann das an dem Fall von Marcial Maciel sehen, dem Gründer der "Legionäre Christi". Der hat ihm eine Kampftruppe zur Seite gestellt, papstreu, sehr ergeben, antikommunistisch. Das war ihm schon sehr wichtig, das fand er toll. Da war er bereit, dann über das hinwegzusehen, was offen ich über diesen Mann auch berichtet wurde, nämlich über Drogenmissbrauch, aber auch darüber, dass er auch Kindern und Jugendlichen sexualisierte Gewalt antat, dass er Beziehungen hatte, dass er (Marcial Maciel) ein brutaler Gewalttäter war. Das hat er zur Seite schieben können. Also warum auch immer. Das andere, die Frage, die Stärke der Institution, die war ihm wichtiger als als da genau hinzuschauen und zu sagen: "Mit diesem Mann arbeiten wir lieber nicht zusammen".
Matthias Drobinski/Thomas Urban:
Johannes Paul II. Der Papst, der aus dem Osten kam.
CH Beck, München 2020.
336 Seiten. 24,95 Euro.
Johannes Paul II. Der Papst, der aus dem Osten kam.
CH Beck, München 2020.
336 Seiten. 24,95 Euro.
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