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Johannes Paul II. und die Sexualität
Einseitige Leibesübung?

Die katholische Universität Eichstätt befasst sich mit der "Theologie des Leibes" von Johannes Paul II. Die meisten Referenten stehen konservativen geistlichen Bewegungen nah. Der Theologe Martin Kirschner sagt: Es sei wichtig für die innerkatholische Streitkultur, diese Gruppen nicht auszuschließen.

Martin Kirschner im Interview mit Christiane Florin |
    Ein Liebespaar am Meer.
    Ein Liebespaar am Meer. (imago / Westend61)
    Christiane Florin: Kann man so lieben?, fragt die katholische Universität Eichstätt ein ganzes Wochenende lang. "So" – das meint: So wie es sich der frühere Papst Johannes II. vorstellte, er hat es in einem Buch namens "Theologie des Leibes" dargelegt. Dieses Werk ist Thema einer Internationalen Tagung in Eichstätt. Und, was auffällt: Alle Referentinnen und Referenten im Programm sind von dieser Theologie begeistert. Ist das Wissenschaft oder sind das einseitige Leibesübungen? Darüber spreche ich nun mit Martin Kirschner. Er ist Professor für Theologie an der Universität Eichstätt. Guten Tag.
    Martin Kirschner: Guten Tag, Frau Florin.
    Florin: Herr Kirschner, die "Theologie des Leibes" – was ist das?
    Kirschner: Die Theologie des Leibes ist zunächst mal eine Sicht von Johannes Paul II. auf den Menschen als ein Wesen in Beziehung, die die Leiblichkeit des Menschen ernst nimmt, die die Sexualität auch in Verhältnis zur Gottesbeziehung setzt und von dort her versucht, im Grunde genommen, eine ganzheitliche Sicht des Menschen zu entwerfen, das in die christliche Spiritualität einzubetten, aber auch eben in die Vorgaben der katholischen Sexualmoral und diese Normierungen. Und im Grunde genommen von daher dieses Verständnis von Sexualität und Ehe und Partnerschaft, wie es in der katholischen Kirche gelehrt wurde, nochmal neu zu erschließen für die heutige Zeit.
    "In sich schlechte Handungen"
    Florin: Und warum war diesem Papst Sexualität so wichtig?
    Kirschner: Im Hintergrund steht vor allen Dingen auch seine Erfahrung als Moraltheologe und Philosoph und die phänomenologische Tradition , dass er den Menschen als ein ganzheitliches Wesen eben aus Geist, Seele und Leib sieht und von dort her auch erschließen möchte. Da gehört die Sexualität ganz wesentlich dazu, denn da sind im Grunde genommen unsere vitalsten Impulse und unsere größten Sehnsüchte drin gespeichert.
    Florin: Sie haben vorhin das Wort 'Normierung' ja schon genannt. Dieser Papst ist in der Öffentlichkeit so angekommen, dass er jemand war, der die Norm stark betont hat, also kein Sex vor der Ehe, keine künstlichen Verhütungsmittel. Stimmt das mit dem Inhalt des Buches überein?
    Kirschner: Da sehe darin die große Spannung, die dieses Werk von Johannes Paul II. durchzieht: eben einerseits ein Modell und eine Vision zu entfalten, in personalen Kategorien, in einem Beziehungsdenken, als lebbares Modell. Und auf der anderen Seite aber an naturrechtlichen Normen, die lehramtlich vorgegeben sind, festzuhalten und dort auch, also diese Normen im Grunde genommen auch sehr abstrakt und absolut zu verstehen, also dass er immer wieder von in sich schlechten Handlungen auch spricht. Darin sehe ich eine Spannung, die die Rezeption sehr stark behindert hat, und die im Grunde genommen in der katholischen Kirche auch sehr viel an Kommunikation blockiert hat.
    Heraus aus den Normblockaden
    Florin: Sie sagen Spannungen, Andere sagen ja Widerspruch. Der aktuelle Papst Franziskus hat die Gläubigen einmal befragt vor einigen Jahren zur Sexualmoral. Und bei dieser Befragung kam heraus, dass eine Mehrheit der Katholikinnen und Katholiken weltweit mit dieser Lehre, mit dieser Sexualmoral der katholischen Kirche nichts anfangen kann, also entweder wird sie unbekannt oder sie wird offensiv ignoriert. Und Papst Franziskus hat sich ja dann auch davon, oder von einigen Teilen, verabschiedet. Er hat diese Normierung 'Felsblöcke' genannt. Warum wird es nun auf einer Tagung an einer Universität propagiert?
    Kirschner: Also ich möchte erst mal noch auf das eingehen, was Sie jetzt gesagt haben. Also ich sehe den Widerspruch nicht auf der inhaltlichen Ebene, sondern auf der formalen Ebene. Wie wird dieses Modell sozusagen gelehrt. Und da ist für mich in der Tat 'Amoris laetitia' ein Schlüssel, um das im Grunde genommen in einer neuen Form zu rezipieren und aus diesen Blockaden herauszukommen.
    Florin: "Amoris Laetitia ", also die Sicht von Papst Franizskus.
    Kirschner: Die Sicht von Papst Franziskus. Ich meine, dass die katholische Kirche sich hier im Grunde genommen in eine Blockade und in ein Dilemma hineinmanövriert hat und dass Papst Franziskus mit den beiden Synoden und mit dem Dokument 'Amoris laetitia' da einen sehr guten Weg geöffnet hat, wie man da neu draufschauen kann, ohne sich in diesem Dilemma zu verfangen. Wenn hier an der katholischen Universität diese Tagung stattfindet, dann ist die zunächst mal von einem Lehrstuhl der der Universität und von einem Verein organisiert und bringt unterschiedliche, wissenschaftliche, kirchliche, aber auch Vertreter der Theologie des Leibes, aber auch Vertreter aus der Praxis zusammen.
    Das heißt, es ist nicht unmittelbar eine wissenschaftliche Reflexion auf diese Theologie des Leibes, sondern es ist im Grunde genommen an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Verkündigung und auch Praxis. Gerade mit diesem theologischen Forum versuchen wir im Grunde genommen, diese Sicht, die sich ja häufig ja auch in einer Subkultur oder in einem Milieu bewegt, noch einmal zu öffnen für die Fragestellung der Gesellschaft und für andere Sichtweisen. Denn das ist, meine ich, nämlich ein zentrales Problem unserer Gesellschaft, dass die unterschiedlichen Zugänge und Gruppierungen und Milieus so wenig im Gespräch miteinander sind.
    "Wichtig, auch andere Fragestellungen und Sichtweisen miteinzubeziehen"
    Florin: Nun sind einige Vortragende, oder eigentlich fast alle Vortragenden - abgesehen von diesem theologischen Forum - aus sehr konservativen Milieu der katholischen Kirche. Es sind auch Referenten vom Regnum Christi dabei, also einer sehr straff organisierten Gemeinschaft, die nicht mal jeder Bischof in seinem Bistum haben möchte. Was haben solche Bewegungen an einer Universität zu suchen?
    Kirschner: Also ich denke zunächst mal, dass diese Schubladen - konservativ, liberal und so - nochmal ihre eigene Problematik haben.
    Florin: Aber sie sind ja nicht falsch, Sie haben ja die Spannung selber angesprochen.
    Kirschner: Die Spannung ist da, genau. Nur dass man eben gleichzeitig über diese Zuordnung im Grunde genommen sich auch nicht den Zugang zur Sache verstellen sollte, und da habe ich den Eindruck, dass dieser Zugang im Grunde genommen hier auch sehr erfahrungsnah gesucht wird. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist, dass ich auch meine, dass wir im Grunde genommen, dass es wichtig ist, diese Gruppen und Netzwerke, die sich besonders der "Theologie des Leibes" auch nochmal zuwenden und verschrieben haben und die es international gibt, nochmal zu öffnen auf andere Fragestellungen, auf andere Sichtweisen, auf die Pluralität, auch auf die wissenschaftlichen Reflexionen der Gegenwart hin, also auf diesen Pluralismus hin. Und das wäre für mich also ein zentraler Punkt, den ich mit diesem theologischen Forum auch versuche, eben [...]
    Florin: Sie sehen es eben als Vorbild für die innerkatholische, innerkirchliche Streitkultur?
    Kirschner: Ja, als einen Ansatz, das weiter zu treiben, ja.
    Florin: Ja, herzlichen Dank. Das war Martin Kirschner, Professor für Theologie von der Universität Eichstätt und mit ihm habe ich darüber gesprochen, warum ausgerechnet die Liebe die katholische Theologie entzweit.
    Kirschner: Herzlichen Dank, Frau Florin.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.