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John Boyd Dunlop
Der Erfinder des bequemen Fahrens

Für seinen zehnjährigen Sohn Johnny bastelte der Tierarzt John Boyd Dunlop 1888 aus mehreren Gummistreifen den ersten mit Luft gefüllten Fahrradreifen. Inzwischen ist diese Erfindung weder von Fahrrädern noch von Autos wegzudenken. Reich geworden ist Dunlop mit der Idee trotzdem nicht.

Von Irene Meichsner |
    Johnny Dunlop auf seinem Fahrrad. Sein Vater John Boyd Dunlop erfand den ersten luftgefüllten Gummireifen.
    Johnny Dunlop auf seinem Fahrrad. Sein Vater John Boyd Dunlop erfand den ersten luftgefüllten Gummireifen. (Imago / United Archives International)
    "Johnny war ein kräftiges Kerlchen, dem die Erschütterungen auf den Pflastersteinen gar nicht so viel auszumachen schienen. Aber er beklagte sich immer, dass sein Dreirad 'so langsam' sei."
    Es war Johnny, sein zehnjähriger Sohn, der John Boyd Dunlop dazu motivierte, über ein bequemeres und schnelleres Fahrrad nachzudenken, wie der Vater später in seinen Lebenserinnerungen schrieb.
    Vielleicht war Dunlop von dem Lärm, den Johnny machte, wenn er mit seinem Rad durch die Gegend kurvte, auch einfach genervt. Weil die Reifen im 19. Jahrhundert noch aus massivem Hartgummi bestanden, wurde man auf den holprigen Straßen ordentlich durchgeschüttelt. Aber Dunlop hatte eine Idee: Er klebte dünne Gummistreifen zu einem Schlauch zusammen und umwickelte ihn mit einem festen Leinenstoff. Das Ventil bastelte er sich aus einem Babyschnuller und der Spitze einer Stricknadel. Dann brauchte man den Schlauch nur noch mit Luft aufzupumpen - und fertig war Dunlops erster "pneumatischer Reifen", der das Radfahren sehr viel komfortabler machen sollte. Dazu Helmut Schilling, ehemaliger Technischer Direktor der Firma Dunlop in Hanau:
    "Der Vollgummi-Reifen reagiert ja beim Überfahren eines Steines oder einer Schwelle nahezu überhaupt nicht. Während natürlich der luftgefüllte Reifen nachgibt und diesen ganzen Stoß oder die Unebenheit abfängt!"
    Werkstatt im Schlafzimmer
    Der Erfinder des luftgefüllten Gummireifens, John Boyd Dunlop (1840 bis 1921).
    Der Erfinder des luftgefüllten Gummireifens, John Boyd Dunlop (1840 bis 1921). (Imago / United Archives International)
    John Boyd Dunlop, am 5. Februar 1840 auf einer Farm im schottischen Dreghorn geboren, war eigentlich Tierarzt und lebte schon lange in Irland. Er besaß eine große Praxis in Belfast - wo er eines der häuslichen Schlafzimmer zur Reifen-Werkstatt umfunktionierte. Am 28. Februar 1888 machte der kleine Johnny im Schutz der Dunkelheit die erste heimliche Probefahrt auf einem Dreirad mit einem "Luftreifen". Dunlop ließ sich die Erfindung noch im gleichen Jahr patentieren. Im Mai 1889 fuhr William Hume, Vorsitzender eines Fahrradklubs aus Belfast, bei einem Radrennen auf dem Gelände des nordirischen Cricket-Klubs der Konkurrenz auf einem Fahrrad mit Dunlop-Reifen auf und davon. Der Unternehmer und Leiter des irischen Radfahrerverbands, Harvey du Cros, schrieb hellauf begeistert:
    "Die Vibrationen mit der Konsequenz nervöser Erschöpfung, die sich beim Radfahren auf Dauer sogar noch nachteiliger auswirkt als die rein körperliche Ermüdung, sind praktisch ausgelöscht!"
    Dunlop hängte seinen Tierarztberuf endgültig an den Nagel und gründete in Dublin einen Fahrrad- und Reifenhandel - zusammen mit du Cros, dem er wenig später auch sein Patent verkaufte. Was Dunlop nicht wusste: 1845 hatte sein schottischer Landsmann Robert William Thomson schon einmal ein Patent auf einen Luftreifen erhalten, sich damit aber nicht durchsetzen können. Ulrich Kubisch vom Deutschen Technik-Museum in Berlin:
    "Bei Thomson war das große Problem, dass es noch keine richtigen Straßen gab. Sie müssen sich vorstellen, das waren ja große Schlagloch-Rollbahnen. Und ein Pneumatik-Reifen, der ging ganz schnell kaputt."
    Das Geschäft blühte
    1890 wurde Dunlops Patent wieder kassiert. Er trug es mit Fassung, das Geschäft blühte trotzdem. Schon vier Jahre nach der Firmengründung konnte 1893 im hessischen Hanau die erste Auslandsniederlassung gegründet werden. Die alten Drei- und Hochräder wurden zu Auslaufmodellen. Die Zukunft gehörte dem neuen "Sicherheitsfahrrad", das vor allem Frauen als regelrechte Befreiung empfanden - mit zwei Laufrädern ähnlicher Größe, einem Kettenantrieb und den "pneumatischen Reifen". Die junge Irin Elizabeth Priestley sprach 1895 von einem "Geschenk des Himmels":
    "Entlangzugleiten, so wie man es selber möchte, die Freude an der schnellen Bewegung zu spüren, das Panorama einer sich ständig verändernden Landschaft an sich vorüber ziehen zu lassen, diesen neuen Geist der Unabhängigkeit kennenzulernen, von einer Spritztour aufs Land mit einem gesunden Appetit, einem klareren Kopf und einem glücklicheren Lebensgefühl zurückzukehren - all das macht die Freuden des Radfahrens aus."
    Dunlop, der selber das Fahrradfahren erst über seine Arbeit am "Luftreifen" gelernt hatte, zog sich 1895 aus dem Geschäft zurück. Er starb 1921 in Dublin im Alter von 81 Jahren. Reich war er durch seine Erfindung nicht geworden. Aber alt genug, um noch mitzuerleben, wie sich der "pneumatische Reifen" auch beim Auto durchsetzte - ein entscheidender Schritt auf dem Weg ins neue Zeitalter der Mobilität.