Christoph Reimann: John Niven, in Ihrem neuen Buch kehrt Steven Stelfox zurück, der Zyniker, der Schwulenhasser, Egomane und Superreiche. Er war schon der Protagonist in Ihrem Bestseller "Kill your friends" aus dem Jahr 2008. Warum haben Sie ihn zurückgebracht?
John Niven: Mir gefällt es, wenn es Autoren gelingt, unsere Gegenwart auch über einen längeren Zeitraum mit ihren Figuren zu beobachten. Und wenn man sich Trump anguckt, den Brexit, all den Irrsinn der letzten Jahre, dann scheint mir Steven Stelfox genau der richtige dafür zu sein. Stelfox liebt unsere Gegenwart, die Unruhe, das Chaos, weil er glaubt, Geld damit machen zu können.
Außerdem gefiel mir die Symmetrie: "Kill your friends" hat im Jahr 1997 gespielt, und das neue Buch spielt im Jahr 2017, also genau 20 Jahre später. Im ersten Buch war Stelfox 26, jetzt ist er 46. Und in der Zwischenzeit passiert oft viel, nicht so sehr in den zehn Jahren zwischen 26 und 36, aber ganz bestimmt zwischen 36 und 46. Diese Veränderungen führen dann zur Midlife-Crisis: Die Männer verlassen ihre Ehefrauen und kaufen sich Sportwagen.
Reimann: Und Steven hat all das: die dicken Autos, die Flugzeuge, alles.
Als Millionär bist Du heute in London kein "Big Player" mehr
Niven: Ja. Aber interessanterweise glaubt er, arm zu sein. Er ist 300 Millionen Dollar schwer, aber er umgibt sich mit Milliardären. Ich selbst war mit Milliardären unterwegs, und die leben in einer ganz anderen Welt. Es hört sich schlimm an, aber wenn du heute Millionär in London bist, dann bist du längst kein großer Player. Um wirklich mitspielen zu können, brauchst du weitaus mehr Geld.
Stelfox denkt, er ist zur falschen Zeit aus der Musikindustrie ausgestiegen. Er ging wahrscheinlich um das Jahr 2003 herum. Zu diesem Zeitpunkt sah es so aus, als würde die ganze Branche sterben. Das glauben ja heute noch viele: Das Internet kam auf und hat das Geschäft kaputt gemacht. Aber das stimmt nicht: Heutzutage machen Plattenlabels mehr Geld als je zuvor.
Reimann: Wirklich?
Niven: Ja, 100 Prozent. Weil sie endlich von Spotify und Youtube bezahlt werden. All diese Firmen, die über die letzten zehn Jahre ein Imperium darauf aufgebaut haben, Urheberrechte zu missachten – die fangen jetzt an, zu bezahlen. Es ist längst noch nicht genug, und ganz sicher landet immer noch zu wenig bei den Künstlern. Aber ich versichere Ihnen: Plattenfirmen fangen gerade an, richtig Asche mit Streaming zu machen.
Reimann: Es ist also nicht zu weit hergeholt, dass Musikmanager in Privatjets durch die Gegend fliegen, wie Sie in Ihrem Buch behaupten?
Niven: Wenn du in den oberen Etagen von Sony arbeitest, Justin Bieber betreust, klar sitzt du dann in einem Privatjet. Warner Brothers, Sony, auf jeden Fall haben die noch Firmen-Flugzeuge.
Reimann: Schauen wir uns mal die Handlung an. Sie haben ja schon gesagt, dass Steven Stelfox eigentlich aus der Musikindustrie ausgeschieden ist. Jetzt ist er superreich, aber auch gelangweilt. Da bekommt er das Angebot, als Berater tätig zu werden. Denn Lucius Du Pre, der ziemlich dem verstorbenen Michael Jackson ähnelt, hat ein Problem am Hals: Er wurde gefilmt, als er Sex mit einem Minderjährigen hatte. Jetzt wird er erpresst. Und Stelfox – das ist sein Auftrag – entwickelt einen Plan, der Lucius verschwinden lässt und ihn selbst noch reicher macht. Warum macht er das? Nur aus Langeweile und Gier?
Niven: Langeweile, Gier, und er hat diese niederträchtigen Fähigkeiten, die er vermisst, anzuwenden. Ich will ja nicht zu viel verraten. Aber als es darum geht, einen Plan zu entwickeln, um Lucius Du Pre – der Michael Jackson gar nicht mal so sehr ähnlich ist - , als es darum geht, ihn loszuwerden, denkt er zunächst darüber nach, ihn einfach umzubringen.
Aber dann denkt er an die Boulevard-Blätter der 70er, die immer wieder geschrieben haben, dass Elvis gar nicht tot ist, dass er an einer Tankstelle in Thailand oder so arbeitet. Und Stelfox fragt sich: Was wäre passiert, wenn Elvis ein Jahr nach seinem Tod einfach wieder aufgetaucht wäre? Wie viel Geld hätte man damals als RCA-Chef damit gemacht?
Also entwickelt er den Plan, den Tod von Lucius Du Pre zu faken, ihn irgendwo weit weg zu verstecken, und nach sechs Monaten holt man ihn zurück und macht unendlich viel Geld. Natürlich sagen ihm alle, dass er damit nicht durchkommen wird. Aber da zeigt er einfach auf den Fernseher, auf dem gerade Trump zu sehen ist, der erzählt, dass nie mehr Menschen bei einer Amtseinführung dabei waren als bei seiner …
Wir haben noch länger mit John Niven gesprochen –
hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
Wir leben in neuen Realitäten
Reimann: Es muss offensichtlich falsch sein, um Realität zu werden.
Niven: So lange man die Lüge laut genug wiederholt, warum nicht?
Reimann: Hat Steven Stelfox von Trump gelernt? Er bewundert ihn ja. Oder haben die beiden einfach denselben Hintergrund?
Niven: Ich glaube, er hat Trump einfach nur beobachtet und festgestellt, dass wir jetzt in einer neuen Realität leben. Die alten Regeln sind außer Kraft gesetzt. Im Buch habe ich versucht, dass so zu beschreiben: Früher sagte man: Zeig mir deine Wahrheit, und ich zeige dir meine, also die Manic Street Preachers paraphrasierend. Jetzt heißt es: Hier ist meine Lüge. Beweis mir, dass ich falsch liege. Und das ist gar nicht so einfach. Gucken Sie sich die Rechtskonservativen und den Brexit an, oder Trump – die kommen ungestraft mit ihren Lügen davon.
Reimann: Macht es Ihnen Spaß, sich solche bösen Figuren wie Steven Stelfox auszudenken? Oder macht es Ihnen Angst, wenn Sie sehen, dass Personen wie Trump real existieren?
Niven: Böse Charaktere zu entwickeln wie Steven Stelfox ist immer verführerisch. Er kann Dinge sagen, die wir die meiste Zeit über nicht aussprechen können. Abgesehen von den Leuten auf Twitter, die sich hinter einem Avatar verstecken und ihren Hass verbreiten – und das auch ganz genauso meinen.
Reimann: Aber fasziniert es Sie als Schriftsteller, zu sehen, wie manche Menschen heute die Realität zu Ihren eigenen Gunsten verdrehen?
Nachrichten gleichen einem Sketch von Monty Python
Niven: Ja, auf jeden Fall. Mich fasziniert, wie ein einzelner Schwachkopf wie Donald Trump es geschafft hat, die ganze Welt zu infizieren. Ich kann mich gar nicht mehr an eine Party oder ein Essen erinnern, an dem Trump nicht innerhalb der ersten zehn Minuten zum Thema wurde. Das ist schon eine Leistung, die er vollbracht hat.
Reimann: Würden Sie Ihr Buch als Satire bezeichnen? Und falls ja: Was ist der Zweck einer Satire, wenn die ganze Welt den Eindruck macht, eine riesige Satire zu sein?
Niven: Gute Frage. Ich glaube, für Satiriker sind es gerade interessante Zeiten. Man schaut sich die Nachrichten an und hat das Gefühl, einen Monty-Python-Sketch zu sehen. Ich würde mein Buch aber nicht als klassische Satire bezeichnen. Denn es gibt keine Moral, ich will dem Leser nicht vorschreiben, was er zu denken hat. Obwohl ich hoffe, dass am Ende relativ klar ist, wie man Stelfox zu verstehen hat.
Was Stelfox zu einer tragenden Figur macht: Er sagt diese unentschuldbaren Dinge. Aber er trägt sie so vor, als würde jeder denken wie er. Er denkt, dass er absolut richtig liegt damit. Darin liegt der Humor.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
John Niven: "Kill 'Em All"
Aus dem Englischen von Stephan Glietsch
Heyne Verlag München, 2019. 384 Seiten, 20 Euro.
Aus dem Englischen von Stephan Glietsch
Heyne Verlag München, 2019. 384 Seiten, 20 Euro.