Updike: Als ich "Rabbit in Ruhe" beendete, war ich mir gar nicht so sicher, ob ich in zehn Jahren noch am Leben sein würde. Ich habe ihn getötet, um ganz sicher zu gehen, dass ich nicht auf schlechterem Niveau über ihn schreiben würde. Außerdem fand ich ein vierbändiges Werk ästhetisch befriedigender als eine unabgeschlossene Romanreihe. Rabbit musste sterben, weil ich glaubte, es sei besser für ihn und besser für die Bücher. Aber zehn Jahre später merkte ich, dass es da noch einige offene Fragen gab - hauptsächlich hatten sie damit zu tun, ob Rabbit nun eine uneheliche Tochter hat oder nicht. Und deshalb hatte ich das Gefühl, dass es noch einiges für mich zu tun gab, außerdem wollten manche Leser wissen, was nun Rabbits Witwe und sein Sohn mit ihrem Leben anstellten. Aus mehr oder minder sentimentalen Gründen beschloss ich also, nun eine Novelle über Rabbit zu schreiben - keinen großen Roman wie die vier vorangegangenen Bücher, das wäre mir nicht fair erschienen angesichts des Anspruchs dieser Bücher. Es ist eher eine Art Postskriptum, ein Brief an Menschen, die sich für Rabbit interessieren.
Als Sie Ihr erstes Buch über Rabbit schrieben, nannten Sie ihn Ihr "Ticket nach Amerika". Die Figur war Ihnen ziemlich unähnlich, zum Beispiel viel ungebildeter als Sie. Ein viel durchschnittlicherer Amerikaner als Sie selbst, außerdem war er Sportler. Inwiefern konnte er also zu einem Ticket nach Amerika für Sie werden?
Zum Beispiel, weil er immer in meiner ursprünglichen Heimat, in Ostpennsylvania lebte. Er verschaffte mir einen Zugang zum Land meiner Kindheit, und für einen Schriftsteller sind die Eindrücke, das Milieu der Kindheit etwas ganz und gar Einmaliges - man glaubt, dass man diese Welt kennt, und ist ganz aus dem Häuschen, sich dort wieder aufhalten zu dürfen. Außerdem fallen Rabbit durch seine Cleverness Dinge auf, die ein gebildeterer Mensch vielleicht nicht bemerken würde. Rabbit kennt nur die Welt, in der er lebt, und er nimmt ihre Veränderungen im Lauf der letzten 40 Jahre mit einer Intensität und Konzentration wahr, die ich nicht künstlich erzeugen muss, sondern die ganz und gar dem Charakter dieser Figur entsprechen. Diese für Amerika äußerst konfuse, aufgeregte und laute Zeit ergab durch seine Erfahrung und seine Perspektive auf gewisse Weise Sinn.
Ihr erster Rabbit-Roman war ungewöhnlicherweise im Präsens geschrieben. Was bedeutete dies für Sie als Schriftsteller, die Gegenwartsform?
Es war ein Experiment. Damals gab es im Englischen sehr wenige Romane im Präsens - wie die Tradition in Europa oder im Deutschen aussieht, weiß ich allerdings nicht. Als ich dann meinen Helden erschuf, der fast ausschließlich in der Gegenwart lebt und kein sonderlich grüblerischer Mensch ist, ein Mensch ohne Sinn für Geschichte, da fand ich diesen Verzicht auf die Vergangenheit, die Beschränkung auf "sagt sie", "sagt er" ungemein stimulierend und spannend. Es war wie eine neue Art zu schreiben. Und natürlich ist mir aufgefallen, dass heute viele Autoren im Präsens schreiben und dadurch den ganzen Ballast der Vergangenheit, der grammatikalischen Vergangenheit, abschütteln. Man lässt statt dessen die Gegenwart für die Vergangenheit sprechen. Ich wollte Englisch auf dem neuesten Stand verwenden. Aber mit siebzig stößt man auf ganze Wortfelder - nicht nur technisches Vokabular, sondern auch Terminologien zur Beschreibung von Beziehungen oder Musik - die einem fremd sind. In "Rabbit, eine Rückkehr" kommen zum Beispiel einige jüngere Menschen vor, die natürlich so reden, wie junge Menschen heute eben reden. Aber schon was die nachfolgende Generation betrifft, würde ich mir das nicht mehr zutrauen, da müsste ich kapitulieren. Der Mensch im Mittelalter mag noch gedacht haben, in derselben Welt zu leben wie sein Vater und sein Sohn. Aber im Amerika des 21. Jahrhunderts kann man das nicht mehr glauben. Ich habe als Autor von humoristischen Gedichten begonnen, kein sonderlich erhabenes Genre, heute fast ausgestorben, aber ich erinnere mich noch, wie aufregend es war, genau den richtigen Reim, die richtige Formulierung zu finden, um jemanden zum Lachen zu bringen. Damals, in meiner Jugend, hatte ich das Gefühl, als ich am Schreibtisch saß, ein sprachliches Kunststück zu vollbringen, das vor mir noch nie jemandem gelungen war. Und auch wenn ich heute hauptsächlich Prosa schreibe, dann habe ich immer noch dieses eine Ziel vor Augen: die Sprache klar auf den Punkt, sie zum Glänzen zu bringen. Der Wert eines Buchs besteht also auch in seinem Beitrag zur Sprache - dass Englisch so noch nie benutzt wurde und nach dem Tod des Verfassers nie mehr so benutzt werden wird.
Sie haben erwähnt, es gab einmal die Mode. so zu reden und zu handeln wie eine HeminQwavfiQur. Wäre auch eine Updike-Mode denkbar?
Es fällt mir schwer, mir das vorzustellen. Wie einflußreich man für andere Autoren ist, kann man selbst natürlich immer am schlechtesten beurteilen, aber sonderlich viel bewirkt habe ich wohl nicht. Im Sprache ist dann lebendig, wenn sie Dinge lebendig werden lässt - wenn es einem gelingt, mit wenigen Worten einen Menschen oder einen Sessel heraufzubeschwören. Natürlich gibt es immer Dinge, die noch der schlechteste Zeichner besser festhalten kann als ich mit tausenden von Worten. Literatur arbeitet mit den Erinnerungsressourcen anderer Menschen. Wenn man schreibt, eine Frau in einem roten Kleid kommt in ein Zimmer, dann muß der Leser die Frau, das rote Kleid und das Zimmer aus seiner Erinnerung beisteuern. Literatur ist insofern ein stets vom Scheitern bedrohtes soziales Kunstwerk, keine absolutes und für sich stehende Kunst wie etwa Musik oder Malerei. Deshalb hat Literatur immer etwas Verschwommenes, Dunkles. Ich versuche, die Sprache am Leben zu erhalten, indem ich mir beim Schreiben in Erinnerung rufe, dass ich etwas mitteilen möchte, dass ich in einem sozialen Kontext mit dem idealen Leser stehe, dass ich mit ihm flirte, ihn necke, man will Spannung aufbauen, vor allem aber will man eine Welt heraufbeschwören, die dem Leser real erscheint und die so selbst etwas Lebendiges wird.
Dienen Sie der Sprache oder dient die Sprache Ihnen?
Der Schriftsteller dient insofern der Sprache, als keine zwei Schriftsteller völlig gleich schreiben. Man erschafft also beim Schreiben sozusagen ein Markenprodukt. Hemingways Englisch drang zum Beispiel nicht nur ins Bewußtsein anderer Autoren, sondern beeinflußte die Redeweise seiner Zeit - es gab viele Amerikaner in der Generation meines Vaters, die wie Hemingwayfiguren sprachen und handelten: lakonisch, nie mehr sagend, als unbedingt erforderlich. Hemingway hat tatsächlich so etwas wie einen Lebensstil erschaffen. Zu den vielen mißlichen Dingen, die einem alternden Schriftsteller widerfahren, zählt die Erfahrung, dass einem die Sprache langsam abhanden kommt. Wenn man zwanzig, dreißig ist, eine Befreiung, es kam mir vor wie Fliegen. Nicht alle meine Romane sind im Präsens geschrieben, die Vergangenheit hat durchaus ihre Vorzüge, aber für Harry ist die Gegenwart die richtige Zeit.
Ursprünglich wollten Sie nicht Schriftsteller, sondern Karikaturist werden und haben auch eine künstlerische Ausbildung erhalten. Wenn Sie heute eine Zeichnung von Rabbit anfertigen würden, wie sähe die aus?
Ich sehe ihn vor mir als ein Mann mit einem breiten Gesicht und feinen Gesichtszügen, hellblauen Augen und einer kurzen, hasenartigen Nase - also nicht so einer großen Nase, wie ich sie habe, eher eine kleine unauffällige Nase, wie ich sie gerne hätte. Den Mund sehe ich nicht so genau vor mir, ein kleiner Mund mit einem schüchternen Lächeln, wie ich es von Fotografien von mir kenne. Doch alles, was ich heute mit einem Stift zeichnen könnte, wäre grobschlächtig im Vergleich zu dem, was mir hoffentlich mit Worten aufs Papier zu bannen gelingt.
Sie haben also das Zeichnen für das Schreiben aufgegeben.
Ich war wohl ein ganz durchschnittliches Kind, jedes Kind kann zeichnen, es sei denn man ist Mozart und kann mit drei Jahren Klavier spielen. Alle Kinder zeichnen, und die meisten Menschen hören dann irgendwann damit auf. Ich habe noch lange mit dem Zeichnen weitergemacht, als Jugendlicher versuchte ich mich als Karikaturist und zeichnete Poster. Noch in Harvard lud man mich hauptsächlich wegen meiner Karikaturen, nicht wegen meiner Texte zur Mitarbeit an an einer humoristischen Literaturzeitschrift ein. Während der Collegezeit vollzog sich dann der Wandel zum Schriftsteller, ich dachte, ich kann schreibend darstellen, was ich zeichnend niemals aufs Papier zu bringen vermochte. Aber das bringt mich als Autor mit Ehebruch in den Vorstädten in Verbindung; solche Konstellationen werden mitunter als "updike-isch, beschrieben. Allerdings gibt es jenen ehelichen Puritanismus, der mir noch als Stoff diente, heute so nicht mehr - die Institution der Ehe ist heute so provisorisch, dass der Ehebruch nicht mehr diesen Kitzel der Schändung von etwas Heiligem auslöst. Für mich hingegen war das Ehegelöbnis noch ewig, das Auseinanderbrechen einer Familie eine Tragödie. Inzwischen ist es etwas ganz Normales, über das sich niemand mehr groß aufregt. Ich habe oft über die Entzauberung des Familienlebens geschrieben, über Betrug und Ehebruch, aber für mich persönlich zumindest stellte die Familie eine nie versiegende Quelle von Freude, Fröhlichkeit und Wärme dar. Nie im Leben hätte ich darauf verzichten wollen. Die literarische Bedeutung des Ehebruchs, wie er von Flaubert und Tolstoi geschildert wurde, besteht darin, dass hinter dieser aufrührerischen Tat seitens der Frau tatsächlich die Revolution aufscheint, die Unterminierung der Fundamente unserer Gesellschaft. Deshalb ist Ehebruch ein lohnendes Sujet, dem wir einige Meilensteine in der Kunst des Romans verdanken. Emma Bovarys Handeln ist von Bedeutung, weil sie am Ende nicht nur eine schlechte Ehefrau, sondern auch eine schlechte Mutter ist. Ihr armes Kind ist völlig verstört. Darin liegt für mich die wahre Tragödie - in den verstörten, verlassenen Kindern, die das Ergebnis des sexuellen Furors sind.
John Updike - ein Mann der Familienwerte? Klingt schrecklich konservativ.
Man schreibt nun mal nur über das, was einem ungeheuerlich und schockierend vorkommt. Die 60er Jahre, und das darf man nicht vergessen, waren eine Zeit des Überflusses. Es gab sehr viel Geld, so viel, dass man sich für seinen Beruf nicht weiter interessierte. Damals schuftete man keine 16 Stunden wie jetzt, wir erleben heute Zustände wie während der Weltwirtschaftskrise, weil man uns einredet, wir müßten mit den Deutschen und den Japanern konkurrieren. Anfang der 60er Jahre hatte man in den Vorstädten noch viel Zeit, sich zu amüsieren, und die Frau des Nachbarns zu verführen zählte definitiv zum verfügbaren Amüsement. Damit ist es aus und vorbei. Junge Menschen erzählen mir heute, sie seien zu müde, um noch mit jemand anderem ins Bett zu gehen. Es herrscht eine Erschöpfung und Fixierung auf den Beruf vor, die es in den 60ern einfach nicht gab.
Als Sie Ihr erstes Buch über Rabbit schrieben, nannten Sie ihn Ihr "Ticket nach Amerika". Die Figur war Ihnen ziemlich unähnlich, zum Beispiel viel ungebildeter als Sie. Ein viel durchschnittlicherer Amerikaner als Sie selbst, außerdem war er Sportler. Inwiefern konnte er also zu einem Ticket nach Amerika für Sie werden?
Zum Beispiel, weil er immer in meiner ursprünglichen Heimat, in Ostpennsylvania lebte. Er verschaffte mir einen Zugang zum Land meiner Kindheit, und für einen Schriftsteller sind die Eindrücke, das Milieu der Kindheit etwas ganz und gar Einmaliges - man glaubt, dass man diese Welt kennt, und ist ganz aus dem Häuschen, sich dort wieder aufhalten zu dürfen. Außerdem fallen Rabbit durch seine Cleverness Dinge auf, die ein gebildeterer Mensch vielleicht nicht bemerken würde. Rabbit kennt nur die Welt, in der er lebt, und er nimmt ihre Veränderungen im Lauf der letzten 40 Jahre mit einer Intensität und Konzentration wahr, die ich nicht künstlich erzeugen muss, sondern die ganz und gar dem Charakter dieser Figur entsprechen. Diese für Amerika äußerst konfuse, aufgeregte und laute Zeit ergab durch seine Erfahrung und seine Perspektive auf gewisse Weise Sinn.
Ihr erster Rabbit-Roman war ungewöhnlicherweise im Präsens geschrieben. Was bedeutete dies für Sie als Schriftsteller, die Gegenwartsform?
Es war ein Experiment. Damals gab es im Englischen sehr wenige Romane im Präsens - wie die Tradition in Europa oder im Deutschen aussieht, weiß ich allerdings nicht. Als ich dann meinen Helden erschuf, der fast ausschließlich in der Gegenwart lebt und kein sonderlich grüblerischer Mensch ist, ein Mensch ohne Sinn für Geschichte, da fand ich diesen Verzicht auf die Vergangenheit, die Beschränkung auf "sagt sie", "sagt er" ungemein stimulierend und spannend. Es war wie eine neue Art zu schreiben. Und natürlich ist mir aufgefallen, dass heute viele Autoren im Präsens schreiben und dadurch den ganzen Ballast der Vergangenheit, der grammatikalischen Vergangenheit, abschütteln. Man lässt statt dessen die Gegenwart für die Vergangenheit sprechen. Ich wollte Englisch auf dem neuesten Stand verwenden. Aber mit siebzig stößt man auf ganze Wortfelder - nicht nur technisches Vokabular, sondern auch Terminologien zur Beschreibung von Beziehungen oder Musik - die einem fremd sind. In "Rabbit, eine Rückkehr" kommen zum Beispiel einige jüngere Menschen vor, die natürlich so reden, wie junge Menschen heute eben reden. Aber schon was die nachfolgende Generation betrifft, würde ich mir das nicht mehr zutrauen, da müsste ich kapitulieren. Der Mensch im Mittelalter mag noch gedacht haben, in derselben Welt zu leben wie sein Vater und sein Sohn. Aber im Amerika des 21. Jahrhunderts kann man das nicht mehr glauben. Ich habe als Autor von humoristischen Gedichten begonnen, kein sonderlich erhabenes Genre, heute fast ausgestorben, aber ich erinnere mich noch, wie aufregend es war, genau den richtigen Reim, die richtige Formulierung zu finden, um jemanden zum Lachen zu bringen. Damals, in meiner Jugend, hatte ich das Gefühl, als ich am Schreibtisch saß, ein sprachliches Kunststück zu vollbringen, das vor mir noch nie jemandem gelungen war. Und auch wenn ich heute hauptsächlich Prosa schreibe, dann habe ich immer noch dieses eine Ziel vor Augen: die Sprache klar auf den Punkt, sie zum Glänzen zu bringen. Der Wert eines Buchs besteht also auch in seinem Beitrag zur Sprache - dass Englisch so noch nie benutzt wurde und nach dem Tod des Verfassers nie mehr so benutzt werden wird.
Sie haben erwähnt, es gab einmal die Mode. so zu reden und zu handeln wie eine HeminQwavfiQur. Wäre auch eine Updike-Mode denkbar?
Es fällt mir schwer, mir das vorzustellen. Wie einflußreich man für andere Autoren ist, kann man selbst natürlich immer am schlechtesten beurteilen, aber sonderlich viel bewirkt habe ich wohl nicht. Im Sprache ist dann lebendig, wenn sie Dinge lebendig werden lässt - wenn es einem gelingt, mit wenigen Worten einen Menschen oder einen Sessel heraufzubeschwören. Natürlich gibt es immer Dinge, die noch der schlechteste Zeichner besser festhalten kann als ich mit tausenden von Worten. Literatur arbeitet mit den Erinnerungsressourcen anderer Menschen. Wenn man schreibt, eine Frau in einem roten Kleid kommt in ein Zimmer, dann muß der Leser die Frau, das rote Kleid und das Zimmer aus seiner Erinnerung beisteuern. Literatur ist insofern ein stets vom Scheitern bedrohtes soziales Kunstwerk, keine absolutes und für sich stehende Kunst wie etwa Musik oder Malerei. Deshalb hat Literatur immer etwas Verschwommenes, Dunkles. Ich versuche, die Sprache am Leben zu erhalten, indem ich mir beim Schreiben in Erinnerung rufe, dass ich etwas mitteilen möchte, dass ich in einem sozialen Kontext mit dem idealen Leser stehe, dass ich mit ihm flirte, ihn necke, man will Spannung aufbauen, vor allem aber will man eine Welt heraufbeschwören, die dem Leser real erscheint und die so selbst etwas Lebendiges wird.
Dienen Sie der Sprache oder dient die Sprache Ihnen?
Der Schriftsteller dient insofern der Sprache, als keine zwei Schriftsteller völlig gleich schreiben. Man erschafft also beim Schreiben sozusagen ein Markenprodukt. Hemingways Englisch drang zum Beispiel nicht nur ins Bewußtsein anderer Autoren, sondern beeinflußte die Redeweise seiner Zeit - es gab viele Amerikaner in der Generation meines Vaters, die wie Hemingwayfiguren sprachen und handelten: lakonisch, nie mehr sagend, als unbedingt erforderlich. Hemingway hat tatsächlich so etwas wie einen Lebensstil erschaffen. Zu den vielen mißlichen Dingen, die einem alternden Schriftsteller widerfahren, zählt die Erfahrung, dass einem die Sprache langsam abhanden kommt. Wenn man zwanzig, dreißig ist, eine Befreiung, es kam mir vor wie Fliegen. Nicht alle meine Romane sind im Präsens geschrieben, die Vergangenheit hat durchaus ihre Vorzüge, aber für Harry ist die Gegenwart die richtige Zeit.
Ursprünglich wollten Sie nicht Schriftsteller, sondern Karikaturist werden und haben auch eine künstlerische Ausbildung erhalten. Wenn Sie heute eine Zeichnung von Rabbit anfertigen würden, wie sähe die aus?
Ich sehe ihn vor mir als ein Mann mit einem breiten Gesicht und feinen Gesichtszügen, hellblauen Augen und einer kurzen, hasenartigen Nase - also nicht so einer großen Nase, wie ich sie habe, eher eine kleine unauffällige Nase, wie ich sie gerne hätte. Den Mund sehe ich nicht so genau vor mir, ein kleiner Mund mit einem schüchternen Lächeln, wie ich es von Fotografien von mir kenne. Doch alles, was ich heute mit einem Stift zeichnen könnte, wäre grobschlächtig im Vergleich zu dem, was mir hoffentlich mit Worten aufs Papier zu bannen gelingt.
Sie haben also das Zeichnen für das Schreiben aufgegeben.
Ich war wohl ein ganz durchschnittliches Kind, jedes Kind kann zeichnen, es sei denn man ist Mozart und kann mit drei Jahren Klavier spielen. Alle Kinder zeichnen, und die meisten Menschen hören dann irgendwann damit auf. Ich habe noch lange mit dem Zeichnen weitergemacht, als Jugendlicher versuchte ich mich als Karikaturist und zeichnete Poster. Noch in Harvard lud man mich hauptsächlich wegen meiner Karikaturen, nicht wegen meiner Texte zur Mitarbeit an an einer humoristischen Literaturzeitschrift ein. Während der Collegezeit vollzog sich dann der Wandel zum Schriftsteller, ich dachte, ich kann schreibend darstellen, was ich zeichnend niemals aufs Papier zu bringen vermochte. Aber das bringt mich als Autor mit Ehebruch in den Vorstädten in Verbindung; solche Konstellationen werden mitunter als "updike-isch, beschrieben. Allerdings gibt es jenen ehelichen Puritanismus, der mir noch als Stoff diente, heute so nicht mehr - die Institution der Ehe ist heute so provisorisch, dass der Ehebruch nicht mehr diesen Kitzel der Schändung von etwas Heiligem auslöst. Für mich hingegen war das Ehegelöbnis noch ewig, das Auseinanderbrechen einer Familie eine Tragödie. Inzwischen ist es etwas ganz Normales, über das sich niemand mehr groß aufregt. Ich habe oft über die Entzauberung des Familienlebens geschrieben, über Betrug und Ehebruch, aber für mich persönlich zumindest stellte die Familie eine nie versiegende Quelle von Freude, Fröhlichkeit und Wärme dar. Nie im Leben hätte ich darauf verzichten wollen. Die literarische Bedeutung des Ehebruchs, wie er von Flaubert und Tolstoi geschildert wurde, besteht darin, dass hinter dieser aufrührerischen Tat seitens der Frau tatsächlich die Revolution aufscheint, die Unterminierung der Fundamente unserer Gesellschaft. Deshalb ist Ehebruch ein lohnendes Sujet, dem wir einige Meilensteine in der Kunst des Romans verdanken. Emma Bovarys Handeln ist von Bedeutung, weil sie am Ende nicht nur eine schlechte Ehefrau, sondern auch eine schlechte Mutter ist. Ihr armes Kind ist völlig verstört. Darin liegt für mich die wahre Tragödie - in den verstörten, verlassenen Kindern, die das Ergebnis des sexuellen Furors sind.
John Updike - ein Mann der Familienwerte? Klingt schrecklich konservativ.
Man schreibt nun mal nur über das, was einem ungeheuerlich und schockierend vorkommt. Die 60er Jahre, und das darf man nicht vergessen, waren eine Zeit des Überflusses. Es gab sehr viel Geld, so viel, dass man sich für seinen Beruf nicht weiter interessierte. Damals schuftete man keine 16 Stunden wie jetzt, wir erleben heute Zustände wie während der Weltwirtschaftskrise, weil man uns einredet, wir müßten mit den Deutschen und den Japanern konkurrieren. Anfang der 60er Jahre hatte man in den Vorstädten noch viel Zeit, sich zu amüsieren, und die Frau des Nachbarns zu verführen zählte definitiv zum verfügbaren Amüsement. Damit ist es aus und vorbei. Junge Menschen erzählen mir heute, sie seien zu müde, um noch mit jemand anderem ins Bett zu gehen. Es herrscht eine Erschöpfung und Fixierung auf den Beruf vor, die es in den 60ern einfach nicht gab.