"Der brennende See" - spontan mag man an Sonnenuntergänge, Rosamunde-Pilcher und hoch kochende Emotionen denken. Nichts liegt John von Düffel und seinem neuen Roman ferner. Der brennende See entpuppt sich darin als Horrorszenario einer von Umweltverschmutzung und Klimawandel bedrohten Welt. Den titelgebenden See gibt es tatsächlich, im indischen Bangalore. Das größte Gewässer der Stadt sei so verschmutzt, dass die Chemikalien und Abfälle darin immer wieder Feuer fingen, heißt es in einer dem Roman als Motto vorangestellten Zeitungsmeldung. Ein Roman zur Klimakrise? Das wirkt aktualitätsheischend. Der See als Schauplatz fügt sich indes bestens in das Werk von John von Düffel, der sich dem Element Wasser persönlich sehr verbunden fühlt. Er ist ein passionierter Schwimmer und begegnete dieser Leidenschaft von Beginn an auch literarisch. Angefangen bei seinem Debütroman erzählt er nämlich immer wieder von Menschen, die auf die eine oder andere Weise zum Wasser zurückkehren.
In seinem neuen Roman ist nicht nur der See von Bedeutung, sondern auch das Wetter. So überschreibt von Düffel jedes Kapitel mit einer Vorhersage. Das erste Kapitel beginnt wie folgt: "Bei einer Durchschnittstemperatur von 18 Grad Celsius klettert das Thermometer auf Tageshöchstwerte von bis zu 25 Grad. Nachts Abkühlung auf 8 Grad bei klarem, wolkenlosem Himmel. Tagsüber viel Sonne, gelegentlicher Durchzug leichter Wolkenfelder. Schwacher bis mäßiger Wind aus westlichen Richtungen. Regenwahrscheinlichkeit unter zehn Prozent. Drei-Tages-Prognose vom 21. bis 24. April."
Letzte Dinge und Klimawandel
Um welches Jahr es sich handelt, wird nicht gesagt. In jedem Fall ist es ein außergewöhnlich heißer April, wie wir ihn in der Vergangenheit schon erlebt haben und in der Zukunft wohl häufiger erleben werden. Doch der Klimawandel schiebt sich in diesem Roman, dessen Handlung sich an nur vier Tagen abspielt, erst langsam ins Bewusstsein. Zuerst geht es um Privates: Nach dem Tod ihres Vaters sucht Hannah, eine Frau um die vierzig, ihre alte Heimat auf, um dort letzte Dinge zu klären. Ihr Vater war Schriftsteller und obsessiver Schwimmer. Er ist seiner Tochter zeitlebens eher fremd geblieben, auch wenn sie seine Vorliebe für leichtes Gepäck und das Schwimmen teilt. Mit seinem Tod verstärken sich ihre Fremdheitsgefühle. In seiner Wohnung findet sie nämlich das Foto einer jungen Frau, die sich später als junges Mädchen entpuppt. Sie heißt Julia und ist obendrein die Tochter von Hannahs früherer besten Freundin. Das ist mindestens ein Zufall zu viel, wie die ganze Konstruktion ohnehin seltsam unelegant wirkt.
Immer wieder versucht John von Düffel, Spannung aufzubauen, indem er Dinge verunklart, bloß um sie später geradezu läppisch aufzulösen. Die 16 Jahre alte Julia ist Klimaaktivistin und hatte sich mit Hannahs Vater angefreundet. Die längste Zeit des Romans steht die Frage im Raum, ob es sich bei dem Mädchen womöglich um eine Halbschwester von Hannah handeln könnte. Eine Frage, die, so hat man zumindest den Eindruck, den Autor so wenig interessiert, dass er das später eher nebenbei beantwortet. Was ihn wirklich zu interessieren und umzutreiben scheint, sind die Proteste der Schüler und Schülerinnen. Als Sprachrohr des Klimaaktivismus nutzt er Julia, die als Figur womöglich deswegen so blass bleibt, weil sie weniger spricht als Floskeln ausstößt. So sagt sie etwa zu Hannah:
"Die letzte Chance, etwas zu verändern, ist jetzt. Deswegen diskutieren wir nicht länger, sondern fahren in die Braunkohlereviere, behindern den Tagebau und blockieren die Zufahrten der Kohlekraftwerke. Wir werden so lange stören, so hohe Kosten verursachen, bis sich das Geschäft nicht mehr lohnt. Und das gilt für alle Deals zulasten der Zukunft: die Grundwasserabsenkungen für den Tagebau und die Neubaugebiete, die zu noch trockeneren Böden führen, zu noch mehr verlandeten Seen und brennenden Bäumen. Wir werden dem nicht tatenlos zuschauen, sondern die Baugruben unter Wasser setzen und alle Tiefgaragen fluten."
Dialoge wie aus einer Vorabendserie
Während einen diese aktionistischen Parolen eher kalt lassen, gelingt von Düffel mit einer geschilderten Protestaktion ein beeindruckendes Sinnbild des drohenden Klimawandels: aufgespießte tote Fische aus dem See türmen sich zu einer apokalyptischen Installation. Doch die Fähigkeit, ergreifende Bilder und Szenen zu entwerfen, verlässt von Düffel, wenn er sich seinen Protagonisten zuwendet. Die Hauptfigur Hannah wirkt in ihrer raubeinigen Art so ausgedacht wie ihre Beziehungen. Die beiden erwachsenen Frauen, Hannah und ihre alte Schulfreundin, würden, das muss man leider so klar sagen, auch einem Unterhaltungsroman gut anstehen, mit ihrem ausgestellten Hang zu viel Alkohol, sich sehr aufdrängenden Männern und flachen Dialogen. Wenn es ganz schlimm kommt, sprechen sie wie in einer Vorabendserie.
Die einzig wirklich interessanten Figuren in diesem Roman sind Männer beziehungsweise Jungen. Marvin, der kleine Bruder der Klimaaktivistin Julia, bildet das rätselhafte Zentrum des Buches. Von ihm heißt es, er sei mit dem zweiten Gesicht gesegnet, sehe also mehr als die anderen und könne Dinge geradezu vorhersehen. Die Erwachsenen bringt er regelmäßig aus dem Takt, indem er sie fragt, warum sie eigentlich so traurig seien. Doch eine originelle Figur ergibt noch keinen originellen Roman.
Private und gesellschaftliche Generationenfrage
Dabei ist es keine schlechte Idee, die persönliche Generationenfrage, die Hannah nach dem Tod ihres Vaters begleitet, mit der gesellschaftspolitischen Generationenfrage zu verschränken. Bloß, gelingt es dem Roman nicht, klar zu machen, was er im Kern erzählen möchte. In einem Interview sagte John von Düffel, es gehe in dem Buch grundsätzlich um die Frage, was wir für eine Welt hinterließen, was für ein geistiges und gesellschaftliches Erbe. Diese Frage ist schon deshalb relevant, weil sie sich tagtäglich in vielen Familien stellt. Dort prallen derzeit Gegensätze aufeinander, wie seit langem nicht mehr. Davon kann auch Julias Mutter ein Lied singen:
"Vielleicht ist es normal, dass sich der Protest der Kinder irgendwann gegen die Eltern richtet, auch wenn sie am selben Strang ziehen. Vielleicht interessiert sich jede jüngere Generation zu jeder Zeit mehr für die Unterschiede als für die Gemeinsamkeiten, schon allein um sich abzunabeln. Aber Julia ist immer extremer geworden, immer fanatischer nicht nur im Hinblick auf Ernährung oder Kleidung, sondern auch in der Art, wie sie uns angefeindet hat, unsere Art zu leben".
Doch auch ein relevantes Thema ergibt noch keinen relevanten Roman. In diesem Fall scheint es geradezu die Botschaft zu sein, die dem Gelingen im Wege steht. Denn all das, was von Düffel seinen Figuren über den Klimawandel und den dringenden Handlungsbedarf in den Mund legt, ist zwar richtig und wichtig, berührt einen beim Lesen aber nur am Rande. Viel fähiger erweist sich der Roman, wenn er Familienangelegenheiten auslotet. Das überrascht nicht, hat sich von Düffel doch gerade als Erzähler von Familiengeschichten einen Namen gemacht. Auch diesmal liefert er die tiefsten Einsichten, wenn er vom Tod des Vaters und seinen Auswirkungen auf seine Tochter erzählt. Berührende Sequenzen, in denen der Bruch zwischen den Generationen erfahrbar wird. Richtig retten können sie den Roman allerdings nicht.
John von Düffel: "Der brennende See"
Dumont Verlag, Köln, 318 Seiten, 22 Euro
Dumont Verlag, Köln, 318 Seiten, 22 Euro