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Johnen vom Deutschen Roten Kreuz
Versorgung in Idlib liegt in der "Verantwortung aller Konfliktparteien"

Die Einigung der Türkei und Russlands auf eine entmilitarisierte Zone im syrischen Idlib, begrüßte Christoph Johnen vom Deutschen Roten Kreuz im Dlf. Er zeigte sich aber auch skeptisch und forderte zur Einhaltung des Völkerrechts auf: "Wo Zivilisten sind, darf kein Konflikt geführt werden."

Christof Johnen im Gespräch mit Silvia Engels |
    Christof Johnen ist beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) für den Bereich Internationale Zusammenarbeit zuständig
    Die Versorgungslage der Zivilbevölkerung in Idlib sei weiterhin sehr schwierig, sagte Christof Johnen, Leiter der Internationalen Zusammenarbeit beim Deutschen Roten Kreuz, im Dlf (Deutschlandradio / Cara Wuchold)
    Silvia Engels: Die Provinz Idlib im Norden Syriens ist der letzte Landstrich, der unter der Kontrolle von Gegnern des Assad-Regimes steht. Hier sind sowohl gemäßigte Oppositionelle zu finden wie auch dschihadistische Terroristen. Daneben leben Zivilisten hier und Tausende von Binnenvertriebenen aus Syrien. In den letzten Wochen hatte sich das Kampfgeschehen in der Region deutlich verstärkt. Die syrische Führung unter Machthaber Assad plante eine Militäroffensive. Nun haben sich wichtige Akteure im Konflikt, nämlich die Türkei und Russland, gestern Abend auf eine entmilitarisierte Zone geeinigt.
    Am Telefon hat mitgehört Christof Johnen. Er ist der Leiter für internationale Zusammenarbeit beim Deutschen Roten Kreuz. Guten Tag!
    Christof Johnen: Hallo, Frau Engels.
    Engels: Ihre Dachorganisation, das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, und auch Ihre Partnerorganisation, der Rote Halbmond, die sind in der Region Idlib in der Flüchtlingsversorgung schon sehr aktiv. Sie selbst hatten in den letzten Wochen vor einer humanitären Katastrophe in Idlib gewarnt. Ist das jetzt nach dieser Vereinbarung Ihrer Ansicht nach sicherer geworden?
    Johnen: Für jeden Zivilisten, der sich in der Provinz Idlib aufhält, ist natürlich jeder Tag, an dem es keine Kämpfe gibt, ein besserer Tag. Insofern ist das zunächst eine sehr erfreuliche Nachricht.
    Was Ihr Kollege aber schon ansprach: Es wird zu sehen sein, inwiefern sich alle Konfliktparteien an die getroffene Vereinbarung halten, wie weit der Einfluss auf diese, ja nun doch vielfältigen Konfliktparteien reicht, dass sie sich daran halten, und was es tatsächlich für die Zivilbevölkerung bedeutet.
    "Die Versorgungslage ist einfach kritisch"
    Engels: Welche Garantien brauchen Sie als Hilfsorganisation, um dort überhaupt weiterarbeiten zu können?
    Johnen: Wir haben in Idlib schon seit längerem das Problem, dass der humanitäre Zugang, die bedingungslose und ausreichende Versorgung der Menschen in der Provinz Idlib mit Hilfsgütern, die sie benötigen, nicht gewährt wird. Deswegen ist unsere alte und fortbestehende Forderung die, dass humanitärer Zugang zu den Menschen gewährt wird, weil die Versorgungslage ist einfach kritisch. Es wurde schon angesprochen: Die Anzahl der Menschen, die in der Provinz leben, hat sich mehr als verdoppelt. Das ist eine recht ländlich geprägte Provinz in Syrien.
    Die Versorgungslage ist einfach schwierig. Es gibt zum Beispiel kein einziges Kraftwerk in der gesamten Provinz. Das heißt, die gesamte Energieversorgung, ob für Brotbäckerei oder auch für Wasserpumpwerke, wofür auch immer, muss alles über Generatoren, die mit Diesel betrieben werden, geschafft werden. Das heißt, es ist eine kritische Versorgungslage, die wir nicht bedienen können.
    Helfer könnten viel mehr tun
    Engels: Werden Sie denn jetzt auf Grundlage dieser Vereinbarung Ihre Unterstützung ausbauen? Wollen Sie mit mehr Menschen dorthin, mit mehr Hilfskonvois?
    Johnen: Die große Herausforderung ist für uns das Material. Es gibt Mitarbeiterinnen, Mitarbeiter und Freiwillige des syrischen Roten Halbmondes, die sind in der gesamten Provinz. Die Kolleginnen und Kollegen könnten viel mehr tun, wenn sie Sicherheitsgarantien bekommen und nicht immer wieder auch ihr eigenes Leben aufs Spiel setzen müssten und wenn mehr Hilfsgüter zu ihnen gebracht werden könnten, die dann verteilt werden können.
    Engels: Das heißt, das ist beides nicht der Fall. Kann hier beispielsweise die Türkei, die sich ja jetzt sehr engagiert hat, kann sie hier mehr tun, damit diese, natürlich unter Unsicherheit stattfindende Versorgung besser wird?
    Johnen: Es ist die Verantwortung aller Konfliktparteien. Es ist die rechtliche, die wirklich völkerrechtliche Verantwortung aller Konfliktparteien, alles dafür zu tun, dass Zivilbevölkerung mit den lebensnotwendigen Hilfen unterstützt wird. Dazu gehört, glaube ich, dann auch die Türkei – richtig.
    Engels: Es gab 2016 ja den Fall der syrischen Stadt Aleppo. Dort geriet trotz auch einer unter Beteiligung Russlands ausgehandelten Waffenruhe ein Hilfskonvoi der Vereinten Nationen und ihrer Partnerorganisation, des Roten Halbmondes unter Beschuss. 20 Zivilisten und Mitarbeiter starben. Wie groß ist jetzt Ihr Vertrauen in diese entmilitarisierte Zone und die zusagen, die Sie vielleicht bekommen?
    Johnen: Ich sagte es schon: Die Nachricht hat uns oder mich zunächst positiv gestimmt. Aber man sollte auch aufgrund der gerade auch von Ihnen geschilderten Erfahrungen vorsichtig sein. Wir müssen natürlich auch unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schützen, um nicht wieder solche Dinge wie 2016, und zwar ziemlich genau vor zwei Jahren, im September zu erleben. Nur müssen dafür alle Konfliktparteien bereit sein, uns Sicherheitsgarantien zu geben und diese dann auch einzuhalten.
    Engels: Das heißt, bislang haben Sie die auch in der Fortentwicklung von dem Fall damals nicht bekommen, und erwarten auch trotz der Ansprüche, die Sie stellen, sie auch diesmal nicht, von der Türkei nicht, von Russland nicht?
    Johnen: Wir haben natürlich immer wieder Sicherheitsgarantien. Es ist ja nicht so, dass wir seit dem September 2016 nicht sehr viele Menschen in Syrien unterstützt haben. Der syrische Rote Halbmond versorgt jeden Monat zirka fünf Millionen Menschen im Land mit lebensnotwendigen Hilfen.
    Es ist nur gerade in diesen besonders umkämpften Gebieten, wie es damals Aleppo war, wie es dann die östliche Ghouta später war und wie es jetzt hoffentlich nicht mehr Idlib sein wird, da haben sich diese Garantien in der Vergangenheit nicht immer als haltbar herausgestellt, oder sie wurden widerrufen, was dann auch Hilfen nicht möglich machte.
    "Wo Zivilisten sind, darf kein Konflikt geführt werden"
    Engels: Wie kommen Sie denn mit der dauernden Schwierigkeit zurecht, dass schwer zu unterscheiden ist, ob in einem Wohngebiet oder auch in einem Flüchtlingsgebiet nur Zivilisten leben oder auch Terroristen sich diese Region bewusst als Schutzschilde heraussuchen?
    Johnen: Die Unterscheidung ist ganz einfach. Wenn es feststeht, dass sich irgendwo Zivilisten aufhalten, dann ist es kein militärisches Ziel mehr. Das ist völkerrechtlich klar geregelt. Dass das militärisch eine ganz andere Herausforderung mit sich bringt, ist ein anderes Thema, aber völkerrechtlich ist: Wo Zivilisten sind, darf kein Konflikt geführt werden.
    Engels: Das heißt, Sie werden trotz der unsicheren Situation in Idlib weiterarbeiten?
    Johnen: Selbstverständlich! Im Roten Kreuz und im Roten Halbmond wird ja sehr viel der Arbeit durch Menschen vor Ort gemacht, durch die Kolleginnen und Kollegen des syrischen Roten Halbmondes, die in der Provinz sind. Die haben ja keine Wahl, irgendwo anders hinzugehen, und die setzen ihre Arbeit fort und gehen dafür große, große Risiken ein.
    "Wir haben diese Stärke, dass wir lokale Helfer vor Ort haben"
    Engels: Aber zwangsläufig wird doch eine humanitäre Organisation wie Ihre indirekt so auch zu einem politischen Akteur, weil Sie ja auch immer Fall für Fall unterscheiden müssen, hier ist nun unsere Hilfe, weil Zivilisten betroffen sind, gefragt, hier können wir es nicht einordnen. Wie machen Sie das?
    Johnen: Es ist im Falle von Idlib so, das ist ja eine übergroße Anzahl von Zivilisten, die sich in der Provinz aufhalten. Wir haben diese Stärke, dass wir lokale Helfer vor Ort haben. Das sind Menschen, die aus der Region kommen. Die kennen die Menschen, die sind in den Gemeinden verwurzelt. Das sind diejenigen, die uns die wertvollen Informationen geben können, um eine neutrale und unparteiliche Hilfe zu gewährleisten.
    Engels: Versuchen wir noch einen Blick voraus. Wir haben es eben von unserem Korrespondenten gehört: Derzeit scheint es dann ja auch, selbst wenn es hält, eine Art Stillstand zu sein. Die Rebellen bleiben eingekesselt. Welche Erwartungen richten Sie an die Entwicklung in Idlib?
    Johnen: Wir hoffen, wie, glaube ich, sehr, sehr viele Menschen, wo jetzt zunächst die Eskalation vermieden worden zu sein scheint, dass das hält und dass es eine Verhandlungslösung geben wird. Ich glaube persönlich auch nicht, der Zustand, der jetzt ist, das wird kein dauerhafter Zustand sein. Dafür gibt es widerstrebende politische Interessen. Es ist nur zu hoffen, dass ein Ausgleich dieser Interessen auf diplomatischem und Verhandlungswege erfolgt und nicht zulasten einer Zivilbevölkerung, die zu einem erheblichen Anteil bereits mehrfach innerhalb dieses Konflikts vertrieben wurde.
    Engels: Christof Johnen. Er ist der Leiter für internationale Zusammenarbeit beim Deutschen Roten Kreuz. Wir sprachen mit ihm über die Vereinbarung, die gestern Abend für Idlib getroffen wurde. Vielen Dank für Ihre Zeit heute Mittag.
    Johnen: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.